Mach dein Glück! Geh nach Berlin!. Horst Bosetzky

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Mach dein Glück! Geh nach Berlin! - Horst Bosetzky

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Vater ist der Apotheker“, verriet ihm Julius voller Stolz. „Ich will auch mal Apotheker werden. Und du?“

      „Nein“, murmelte Ernst Schering. „Da hänge ich mich lieber auf.“

      Ein Fünkchen Hoffnung

       1840

      Wilhelmine Meier aus Velten lebte, seit ihre Mutter an den Folgen der Cholera gestorben und ihr Vater im Irrenhaus gelandet war, mit ihrer Großmutter zusammen im Armenhaus für Frauen in der Berliner Auguststraße. Ein Stückchen weiter nordwärts, und zwar in der Gartenstraße hinter dem Hamburger Tor, war ihre Freundin Luise zu Hause, sofern man deren elende Unterkunft als Zuhause bezeichnen konnte. Wenn sie nicht gerade irgendwelche Hilfsarbeiten zu verrichten hatten oder zum Hackschen Markt geschickt wurden, Zündhölzer zu verkaufen, trafen sich die beiden Achtjährigen am Koppeschen Armenfriedhof, der an der Einmündung der Großen Hamburger in die Linienstraße gelegen war und nach seiner Auflassung Teil des Koppenplatzes werden sollte, benannt nach dem Berliner Stadthauptmann und Ratsherrn Christian Koppe.

      „Wollen wir wat spielen?“, fragte Wilhelmine.

      Luise guckte irritiert. „Wat denn? Und zum Spielen sind wa doch schon ville zu jroß.“

      „Dann warten wa, bis ´n Nasenquetscher von der Charité kommen tut und zum Thürmchen fährt.“

      Nasenquetscher hießen die polternden Holzkarren, auf denen die Leichen von mittellos Verstorbenen, Selbstmördern und Unfallopfern zum Leichenschau- und Obduktionshaus gebracht wurden, das an der Linienstraße gelegen war und auf seinem Dach einen kleinen Turm trug, was ihm den Spitznamen das Thürmchen eingebracht hatte.

      „Bevor et dunkel wird, kommt doch keen Karren“, sagte Luise. „Und solange darf ick nich' von zu Hause wegbleiben.“

      So blieb ihnen nichts, als über den Armenfriedhof zu schlendern und zu gucken, ob da gerade wieder einer verbuddelt worden war, der sich vergiftet, erhängt oder ersäuft hatte. Nein, es war nichts los, nur eine offene Grube konnten sie entdecken.

      „Wer da wohl rinkommt?“, fragte Wilhelmine.

      „Na, bestimmt een Toter“, meinte Luise.

      Auf dem noch nicht zur Beisetzung genutzten Teil des Friedhofs hing allerlei Wäsche, und auf dem von der Sonne verbrannten Rasen wurde Linnen gebleicht.

      „Hier landen wir nu ooch mal“, sagte Luise.

      Wilhelmine lachte. „Wer weeß. Vielleicht wird allet ma bessa.“

      „Ja, wie bei dei´m Vata.“

      Wilhelmine fasste sich an den Kopf. „Mensch, den muss ick ja heute besuchen! Kommste mit?“

      Luise zögerte erst, ließ sich dann aber überreden, und so machten sich beide auf zur psychiatrischen Abteilung der Charité, der Irrenanstalt, wie man im Volke sagte. Bei einem Besuch dort fühlte sich Wilhelmine einerseits immer wie eine, die auszog das Gruseln zu lernen, andererseits aber war sie vom Elend der Kranken auch derart ergriffen, dass sie am liebsten im Krankenhaus geblieben wäre, um ihnen zu helfen. Der Pförtner kannte Wilhelmine und ließ die beiden Mädchen passieren. Auf dem Weg zum Besucherzimmer kamen sie an einer Reihe von Patienten vorbei, die an katatonen Symptomen litten, das heißt, in starren Posen verharrten. Ein Mann schnitt schreckliche Grimassen. Wilhelmines Vater war der Trunksucht verfallen und wegen heftiger epileptischer Anfälle eingeliefert worden. Als sie mit ihm sprach, machte er aber einen ganz normalen Eindruck.

      Von der Charité war es nicht weit bis zur Gartenstraße. Hier in der Berliner Armenkolonie, dem sogenannten Vogtland, standen etliche „Familienhäuser“, und in einer der vielen kleinen abgeteilten Stuben des Quergebäudes Gartenstraße 92a lebte Luises Familie. Die Großmutter lag todkrank auf dem Stroh, das in der hinteren Ecke aufgeschichtet war. Die Mutter hockte neben ihr am Boden und nähte einige Lumpen zu einer Hose zusammen. Zwei kleine, halbnackte Kinder, Luises Geschwister, spielten mit einer leeren Branntweinflasche. Der Junge begann zu weinen, weil er Hunger hatte.

      „Hier, bring die Hose zum Tischler Geliert“, sagte die Mutter zu Luise. „Das ist direkt über uns. Und wenn er dir das Geld dafür gibt, dann gehe und hole für sechs Pfennig Brot.“

      Wilhelmine fand, dass es die Freundin noch immer um einiges besser hatte als sie, denn durch ihre Stube im Armenhaus für Frauen war kreuzweise ein Seil gespannt, und in jeder Ecke hauste eine vaterlose Familie. In der Mitte, wo sich die Seile kreuzten, stand ein Bett, in dem ein alte Marktfrau lag, die mit einmal mit Milch, Käse und Eiern gehandelt hatte. Sie war mit keinem verwandt, alle zusammen aber pflegten sie. Das war der Dank dafür, dass sie ihnen früher immer etwas zugesteckt hatte, damit sie nicht verhungerten.

      „Ich habe frohe Kunde für dich“, sagte die Mutter, als Wilhelmine bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam.

      „Ziehen wir wieder in eine richtige Wohnung?“

      „Nein, das nicht, aber ich habe für dich einen Platz in der Armenschule bekommen.“

      Wilhelmine jubelte und umarmte die Mutter. So jung sie noch war, sie hatte schon begriffen, dass man am ehesten aus dem Armenviertel herauskam, wenn man richtig lesen und schreiben konnte und gute Umgangsformen hatte. Neulich hatte sie mit ihrer Freundin durch das Schaufenster des Manufactur-Waaren-Geschäftes gespäht, das Rudolph Hertzog letztes Jahr in der Breiten Straße eröffnet hatte, und die vornehme Damenwelt bewundert.

      „Vielleicht kommen die auch aus dem Vogtland und haben einen reichen Mann gefunden“, hatte Luise gesagt.

      Wilhelmine war da anderer Ansicht. „Ich will keinen reichen Mann finden, ich will das alleine schaffen! Ich will was lernen.“

      So sah sie die Armenschule als ein Geschenk des Himmels an. Voller Vorfreunde lief sie am nächsten Morgen los, um ja als Erste da zu sein. Und es ließ sich auch alles wunderbar an, denn ihr Lehrer, ein schlanker junger Mann, hatte ein gewinnendes, intelligentes Gesicht und ein sanftes, bescheidenes Wesen.

      Er begrüßte die Kinder mit herzlichen Worten und stellte sich vor.

      „Mein Name ist Ferdinand Schmidt.“

      Von der Theke zur Apotheke

       1840

      Ernst Schering verfügte schon als junger Mensch in hohem Maße über das, was man landläufig als ein „dickes Fell“ bezeichnete, er war also abgeklärt, gelassen, gleichmütig, psychisch robust und das Gegenteil eines Menschen, der sich wie ein Blatt vom Winde umherwirbeln ließ, und trotzdem nahm ihn der Kampf, der in ihm tobte, ganz gehörig mit: Sollte er dem Wunsche der Eltern nachgeben und Apotheker werden – oder sollte er der Stimme seines Herzens folgen und als Förster durchs Leben gehen? Jetzt war es Herbst geworden, und noch immer neigte sich die Waage eindeutig auf die Seite mit der Aufschrift FÖRSTER und JÄGER.

      Seine Eltern spürten das und arbeiteten nach Kräften daran, ihn umzustimmen. So erzählte seine Mutter beim Frühstück am Sonntag von einem seltsamen Traum.

      „Ich sehe dich bei uns in der Küche stehen und Asche aus dem Herd nehmen und in eine Schüssel tun. Dann kippst du Milch rein und rührst alles um – und als du fertig bist, hast du Goldklumpen in der Schüssel.“

      Ernst

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