Mach dein Glück! Geh nach Berlin!. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mach dein Glück! Geh nach Berlin! - Horst Bosetzky страница 9
„Als solcher wären Sie sicher auch beim Ableben Friedrich Wilhelm III. dabei gewesen“, sagte der Besitzer der „Grünen Apotheke“.
„Ja“, seufzte Appelius. „Der ist genau vor einer Woche von uns gegangen.“
Friedrich Wilhelm III. war für seine knappe Sprache berühmt gewesen, und Appelius ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, ihn zu parodieren. „Jeder Staatsdiener hat doppelte Pflicht: Gegen den Landesherrn und gegen das Land. Kann wohl vorkommen, dass die nicht vereinbar sind, dann aber ist die gegen das Land die höhere.“
„Bravo!“, Christian Schering klatschte in die Hände.
Der Lehrer Ludwig Kuhz, der mit dem Gastwirt längst seinen Frieden geschlossen hatte, das heißt, er hatte die Sache mit dem Böllerattentat nicht an die große Glocke gehängt, nachdem Schering ihn bis zu seiner Pensionierung einen kostenlosen Mittagstisch versprochen hatte, hielt einen kleinen Vortrag über die Vorzüge des verstorbenen Monarchen.
„Er hat Caspar David Friedrichs Gemälde Der Mönch am Meer und Abtei im Eichwald geliebt und angekauft, und er war musikalisch hochgelobt, hat er doch auch einen wunderbaren Präsentiermarsch komponiert.“
„Und leid tun kann er einem auch wegen des frühen Todes seiner Luise“, fügte die Apothekerfrau aus Prenzlau hinzu.
Appelius lachte. „Wir haben da in Berlin so eine Type, die Madame Du Titre. Als Luise gestorben ist und sie den König trifft, ist sie voller Mitleid mit ihm und sagt: 'Ja, Majestätken, et is schlimm for Ihnen. Wer nimmt ooch jern een Witwer mit sieben Kinderkens'. Apropos: Tod. Als ihr Mann im Sterbezimmer liegt, macht sie die Tür auf und ruft dem zu: „Jott Vater, wat soll denn det! Du weest doch, ick kann keene Dodten nich sehen!“
Der Prenzlauer Apotheker hatte eine Menge an Friedrich Wilhelm III. auszusetzen.
„Anfangs hat es ja bei uns eine Menge Reformen gegeben, ich meine, nachdem Napoleon hinweggefegt worden war, dann aber ging es los mit der Zensur und der Verfolgung von Leuten, die es wagten, den Mund aufzumachen.“
„Pssst!“, machte einer der Berliner.
„Mit dem neuen König wird alles besser werden!“, riefen mehrere. „Es lebe Friedrich Wilhelm IV. Hurra!“
Der Besuch von Friedrich Appelius hatte bei Christian und Marie Schering einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass sie sich schon bald auf ihren Sohn zugingen.
„Du, Erich, wir müssen einmal in aller Ruhe mit dir reden.“
Als er das hörte, zuckte er unwillkürlich zusammen, denn das konnte nichts Gutes bedeuten. Und so war sein langgezogenes „Jaaa ...“ auch mehr ein Stöhnen als eine Antwort. Aber was blieb ihm übrig, als sich zu ihnen an den Küchentisch zu setzen.
„Es geht um deine Zukunft“, begann sein Vater.
Ernst Schering winkte ab. „Bis ich mit dem Gymnasium fertig bin, da vergeht noch ein Jahr.“
„Man muss rechtzeitig wissen, was man will“, sagte seine Mutter.
Wieder bemühte er sich, einen leichten Ton anzuschlagen. „Kommt Zeit, kommt Rat.“
Sein Vater liebte keine langen Vorspiele und wollte schnell zur Sache kommen. „Ja, aber die Zeit ist gestern schon gekommen und der Rat auch – und der sieht so aus, dass deine Mutter und ich beschlossen haben, dass du Apotheker werden sollst.“
Ernst Schering glaubte sich verhört zu haben. „Was soll ich werden?“
„Apotheker!“ Und der Vater buchstabierte es auch noch. „Ich habe schon einmal vorgefühlt; in der Apotheke von Witzin würden sie dich als Lehrling nehmen.“
Ernst Schering war blass geworden. „Nein, niemals“, stammelte er. „Auf´m Dorf sind die Apotheken doch nur Krämerläden.“
Sein Vater fixierte ihn. „Es ist ein ehrbarer Beruf, und du zählst zu den Honoratioren Prenzlaus, wenn du später einmal die 'Grüne Apotheke' kaufst.“
Jetzt war es bei Ernst Schering mit jeder Contenance vorbei. „Ich hasse alles, was mit Chemie zu tun hat!“, schrie er. „Habt ihr vergessen, was mit Gottfried Nickholz passiert ist!?“
Seine Mutter winkte ab. „Das war ein Unfall, wie er in jedem Gewerbe passieren kann.“
„Und was ist mit Friedrich Krumbeck von der Holtz´schen Apotheke!?“, rief Ernst Schering. „Wie der sich mit seinem Quecksilber vergiftet hat?“
Der Vater lachte. „Das war ein Alchemist und kein Apotheker, der zählt nicht.“
Ernst Schering versuchte es andersherum. „Keiner wird mich nehmen wollen, weil er weiß, dass ich eine Abneigung gegen alles habe, was mit Chemie zu tun hat.“
„Doch“, konterte der Vater. „Ich habe mit beiden Apothekern gesprochen: Sie würden dich jederzeit als Lehrling nehmen. Aber Witzin hat Vorrang.“
Ernst Schering sprang auf. „Ich will aber kein Apotheker werden, ich will Förster und Jäger werden!“
„Du wirst das, was deine Familie will!“, riefen seine Eltern wie aus einem Munde.
„Dann wollt bitte, dass ich Förster und Jäger werde!“
„Nein, du wirst Apotheker!“
„Ich lasse mich nicht zwingen!“
„Wir zwingen dich nur zu deinem Glück.“
So ging es noch eine Weile hin und her, und keiner war bereit, irgendwie nachzugeben. In den nächsten Tagen lief Ernst Schering wie in Trance umher. Er, der so gar keine poetischen Anwandlungen hatte, formulierte in Gedanken sogar den Satz: Sie haben mir meine Seele gemordet. Immer hatte er sich als Förster und Jäger gesehen – und nun wollte man ihn dahin bringen, als Mann nicht mit einem wunderschönen grünen Rock, sondern mit einem schäbigen weißen Kittel herumzulaufen. Aus der Traum … Nein und abermals nein! Und um sich selbst zu vergewissern, wie schrecklich ein Leben als Apotheker sein würde, besuchte er in den nächsten Tagen die beiden Apotheken, von denen sein Vater gesprochen hatte.
In der „Grünen Apotheke“ sah er die Gehilfen im Laboratorium stehen, wie sie das an Pulvern und Essenzen mischten, was ihnen die Ärzten auf ihren Rezepten vorgegeben hatten. Schrecklich! Als Förster war er sein eigener Herr, hier aber nur Erfüllungsgehilfe der Ärzte und Quacksalber. Und statt gesunder Waldluft, hatte er den ganzen Tag über giftige Stäube einzuatmen. Als der Besitzer der „Grünen Apotheke“ auf ihn zukam, um ihn zu fragen, ob er sich schon darauf freue, vielleicht doch bei ihm als Lehrling anzufangen, ergriff er die Flucht.
In das Innere der Holtz´schen Apotheke kam er gar nicht erst, weil er auf dem Gehsteig davor über den kleinen Julius stolperte, den Sohn des Besitzers, der mit seinem Steckenpferd vor dem Eingang hin und her ritt.
„Willst du was abholen bei uns?“,