Mach dein Glück! Geh nach Berlin!. Horst Bosetzky

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Mach dein Glück! Geh nach Berlin! - Horst Bosetzky

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Vater blieb ernst. „Wenn du als Apotheker aus ein paar billigen Chemikalien ein Pulver mixt, das unsere Gebrechen heilt, die Schwindsucht oder die Gicht zum Beispiel, kannst du dir damit auch eine goldene Nase verdienen.“

      Ernst Schering richtete die Augen gen Himmel. „Und wenn ich als Förster im Frühtau durch die Wälder streife, brauche ich der Morgenstunde nur das Gold aus dem Munde nehmen, dann habe ich auch welches.“

      Sie kamen nicht weiter mit ihm. Zwingen wollten und konnten sie ihren Jüngsten nicht, sie mussten darauf setzen, ihm gut zuzureden. Und zur Verstärkung ließen sie noch ihren Ältesten nach Prenzlau kommen, den werdenden Oberjustizrath August Ferdinand, der immerhin schon Dreißig war und ein gestandener Mann. Er hatte in Berlin Jura studiert und dann als sogenannter Auskultator eine unbezahlte Ausbildungszeit auf den Justizämtern Gramzow, Löcknitz und Brüssow verbracht. Nach bestandenem Referendarsexamen war er nach Berlin ins Justizministerium gekommen und hatte sich auf allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten spezialisiert.

      Ernst Schering hatte den Bruder, der immerhin 14 Jahre älter war als er, nie als gleichberechtigten Spielkameraden erlebt, sondern als eine Autorität, die noch vor den Eltern kam. Fast ehrfürchtig ging er nun, als August vorgeschlagen hatte, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, neben ihm her.

      „Was macht eigentlich dein alter Freund Gottfried Nickholz?“, fragte August.

      „Keine Ahnung ...“ Ernst Schering war die Frage peinlich, denn irgendwie fühlte er sich mitschuldig am traurigen Schicksal des anderen. Aber was sollte er machen. „Wir haben uns aus dem Augen verloren.“

      „Sein Gesicht soll schrecklich aussehen ...“

      „Ja … Er ist nach Schwedt gegangen, in eine Tischlerlehre.“ Ernst Schering war bemüht, schnell das Thema zu wechseln. „Weißt du eigentlich, was alles neu ist in Prenzlau?“

      „Nein, in Berlin steht nicht alles in den Zeitungen, was in der Provinz passiert. Aber erzähle mal ...“

      Ernst Schering holte aus. „Das Schauspielhaus und die neue Synagoge sind eingeweiht worden. Das Schwedter Tor ist umgebaut worden. Die Chaussee nach Pasewalk ist fertig geworden. Das 'Institut der Tierschau und des Pferderennens' haben sie gegründet, und Oberbürgermeister Busch ist gestorben. Jetzt haben wir Carl Friedrich Grabow als Bürgermeister.“

      „Mensch!“, entfuhr es dem Neuberliner bei so viel an Sensation.

      „Ja, und dann ist das Sabinenkloster abgerissen worden. Und was hatten wir noch? Die Scharren auf dem Markt sind verschwunden, und eine Likörfabrik haben sie aufgemacht.“

      Der Bruder lächelte. „Aha, daher kommt es, dass du mich mit Reden besoffen machen willst – und nicht, weil ich das Thema Apotheke vergessen soll.“

      Ernst Schering fühlte sich durchschaut. Sie kamen nämlich gerade an der „Grünen Apotheke“ vorbei. Er fasste sich aber schnell und flüchtete sich in denselben heiteren Ton, den sein Bruder angeschlagen hatte. „Wenn du meinst, dass ich die mal übernehmen kann, dann bist du auf dem Holzwege, denn die Witts haben inzwischen einen Thronfolger, den kleinen Karl Friedrich August.“

      „Wie schön.“ Der Bruder wollte noch nicht zum eigentlichen Grund ihres kleinen Spazierganges zu sprechen kommen, sondern wartete erst noch mit einer kleinen Anekdote auf. „Apropos, Apotheker: Da hatte ich neulich im Amt wegen einer Grundstückssache im Dahmetal mit einem ganz berühmten Vertreter dieses Spezies zu tun … Weißt du mit wem?“

      „Nein, woher?“

      „Mit Otto Unverdorben.“

      „Was für´n Name!“, rief Ernst Schering aus. „Und – war er´s wirklich: unverdorben?“

      „Keine Ahnung. Er kommt aus Dahme, hat in Halle, Leipzig und Berlin Chemie studiert und lebt heute auf dem Rittergut Glienig. Was er entdeckt hat, ist das Anilin.“

      Ernst Schering lachte. „Ich kenne nur Anni Lien-hard, das ist unsere alte Putzfrau.“

      „Anilin“, wiederholte August Schering und buchstabierte es sogar. „Ich habe keine Ahnung davon, aber ein Freund von mir ist Chemiker, und der meint, dass es mal sehr wichtig für Preußen sein wird. In Oranienburg haben wir das 'Chemische Etablissement Dr. Hempel', und da arbeitet ein berühmter Mann, der auch einmal als Apotheker angefangen hat, der Friedlieb Ferdinand Runge. Der soll dieses Anilin aus Steinkohlenteer gewonnen haben.“

      „Was du nicht sagst ...“

      Ernst Scherings Begeisterung für alles Chemische und Pharmazeutische hielt sich weiterhin in Grenzen, und er war froh, dass sie nun am Ufer des Unteruckersees angekommen waren und sich sein Bruder erst einmal seinen Kindheitserinnerungen widmete. Doch schon wenige Minuten später kam er auf seine Mission zurück.

      „Du kannst dir sicherlich denken, mein lieber Ernst, warum ich dir das alles erzähle …?“

      „Nein, wirklich nicht ....“

      „Mensch!“, August Schering lachte und umarmte den kleinen Bruder, „weil ich dir klarmachen will, dass die Pharmazie und die Chemie in Deutschland und in aller Welt eine große Zukunft haben.“

      „Ich will Förster und nicht Apotheker oder Chemiker werden!“, rief Ernst Schering aus. „Vater will das, ich nicht! Niemals!“

      Der Bruder lächelte. „Man soll niemals nie sagen. Und was unseren Vater betrifft – ich weiß: Von der Theke zur Apotheke, das war der große Traum seines Lebens, und den hat er sich nicht erfüllen können. Nun sollst du es für ihn tun.“

      „Im Zweifelsfalle wäre mir die Theke lieber als die Apotheke.“

      „Seine Theke kriegst du nicht, die kriegt ein anderer Bruder.“

      Ernst Schering warf einen flachen Stein ins Wasser, der dreimal aufschlug und wieder aufstieg, ehe er versank. „Dann weiß ich auch nicht ...“

      Alea iacta est

       1841

      Einerseits hatte Schering den Tag seiner Abschlussprüfung herbeigesehnt, andererseits aber gehofft, der würde erst in ferner Zukunft kommen, vielleicht auch nie. Sicher, Schule war kein Zuckerschlecken, aber er hatte sich im Prenzlauer Gymnasium trefflich eingerichtet und wollte es eben sowenig verlassen wie sein Elternhaus, denn Nestwärme war ein hohes Gut. Doch er konnte nicht ewig Pennäler sein und sich von seinem Vater anhören: „Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst, wird gemacht, was ich sage.“ Auch hätte er gern eine Braut gehabt, eine Frau besessen. Dennoch: Es überwog bei ihm das Gefühl, dass doch bitte die Zeit stehen bleiben möge und er nie ein anderes Leben führen müsste als das eines Oberprimaners. Doch unaufhaltsam kam alles auf ihn zu.

      „Ernst, aufstehen! dass du mir nicht zur mündlichen Prüfung zu spät kommst!“

      „Ja-a ...“

      Es war soweit. Er kam sich vor wie eine Kugel, die soeben die Hand des Kegelbruders verlassen hatte – nun rollte sie und rollte … Und ob sie wirklich ein paar Kegel umwarf oder ins Leere ging und alle „Ratte!“ riefen, das war noch völlig offen.

      Er wusch sich, zog seine besten

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