Eine spanische Eröffnung. Harald Kiwull
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Читать онлайн книгу Eine spanische Eröffnung - Harald Kiwull страница 6
Sie strahlte mich an, stellte das Tablett auf den Tisch und wandte sich mir zu. Ich nahm ihre beiden Hände und blickte ihr in die Augen. „Ich danke dir, dass du den armen Verfolgten aufgenommen hast. Dr. Kimble auf der Flucht. Ich habe herrlich und entspannt geschlafen.“
Sie sah mich etwas verdutzt an, lächelte dann aber nur wortlos zurück und setzte sich.
Ich trat an die vordere Brüstung, legte die Hände auf die weiße, steinerne Balustrade, sog die Luft ein und genoss das Bild vor mir, die ebenso großartige Tagesversion des schon bei Nacht überwältigenden Eindrucks.
Es war fast windstill. Am Himmel war keine Wolke. Eine strahlende Sonne. Von der Höhe ein weiter Blick über das dunkelblaue, glitzernde Meer. Ganz in der Ferne zwei kleine Fischerboote, die in Richtung Süden zogen. Links unten wieder der in der Sonne glänzende weiße Leuchtturm. Und direkt tief unter uns der Sporthafen von Alcossebre mit dem Gewimmel von Booten.
Ich drehte mich um zu ihr: „Du lebst hier an einem wunderbaren Ort.“ Ich zögerte kurz: „Aber vor allem muss ich dir sagen, dass du wirklich toll aussiehst!“
Mit ihrem „Das sagt Vincent auch immer!“, brachte sie mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Allerdings“, setzte sie fort und köpfte ihr Ei auf, „Vincent ist gerade mal so groß wie ich, und“, sie zwinkerte mir mit dem rechten Auge zu, „und ich mag eigentlich nur große Männer.“
Ich merkte, dass ich etwas unruhig wurde.
Es war wirklich ein ganz besonderes Frühstück dort oben auf dem Berg über dem Meer.
Als wir uns zufrieden zurücklehnten, schloss Paquita die Augen, streckte ihre langen Beine von sich und begann zu schnurren wie eine Katze. Offenbar fühlte sie sich mit mir auch ganz gut.
Es war mir nicht so ganz geheuer, aber jetzt musste ich sie in meine Wirklichkeit zurückholen.
Ich erzählte ihr von meinem nächtlichen Gespräch mit Jan und was ich vorhabe, behielt aber einiges davon lieber für mich. Sie hörte aufmerksam zu.
„Aber ich muss wissen, wer die Kerle sind“, ich zögerte etwas, „und dafür brauche ich deine Hilfe.“
„Du kannst sicher sein, dass ich dich nicht in Gefahr bringen möchte. Die Typen sind gefährlich. Und wir kennen uns erst kurze Zeit. Wenn dir das Ganze etwas unheimlich ist, wenn du nicht magst, bitte sag es mir ehrlich. Ich möchte nicht, dass du irgendwas machst, was du eigentlich nicht möchtest.“
Sie blickte mir ernst in die Augen. „Ich helfe dir. Du kennst mich noch nicht genau. Du musst wissen, ich habe Abenteurerblut in meinen Adern.“ Sie lachte. „Meine Mutter war ein ziemlich wilder Vogel und mein Vater hatte auch einiges drauf.“ Einen Augenblick wurde sie nachdenklich und sah traurig vor sich hin. „Sie hätten dir gefallen. Und ich glaube, du ihnen auch.“
Sie nahm meine Hand.
„Also, was soll ich für dich tun?“
Ich blickte sie nachdenklich an.
„Es muss vorher noch einiges geklärt werden, auch dabei brauche ich dich und ohne dich würde es wahrscheinlich nicht gelingen. Es ist alles noch etwas theoretisch, aber ich habe beschlossen, ich muss die Sache angehen. Ich bin nicht das dumme Schäfchen, das geschlachtet wird.“
Ich erklärte ihr genau, was sie für mich tun könnte.
Eine Stunde später donnerte sie auf ihrem Motorrad mit den riesigen Satteltaschen den Berg hinunter.
Nachdenklich blieb ich zurück und erhielt kurze Zeit später einen Anruf von Jan, der mich ziemlich aufmunterte. Er war schon in der Nacht direkt nach unserem Gespräch mit Erfolg tätig geworden.
Ich setzte mich ganz nach vorne direkt neben die weiße Brüstung unter einen Sonnenschirm mit dem Blick hinunter auf die herrliche Kulisse. Nachdem ich mir nach einer kleinen Besinnungspause meine juristische Tasche geholt hatte, nahm ich ein Aktenbündel mit diesen prägnanten roten Einbänden, die den strafrechtlichen Inhalt anzeigen, heraus. Ich öffnete seufzend das erste Heft und löste etwas die Aktenschnur. Gegenüber meiner sehr sachlichen Büroatmosphäre im Landgericht Karlsruhe eine eigentlich eher schon unwirkliche Situation in dieser romantischen Umgebung.
Und als fast irreale Steigerung dazu noch die sogenannte „Badische Aktenordnung“. Ein unglaubliches Überbleibsel aus dem 18. Jahrhundert in der Justiz. Das Zusammenhalten der Seiten mit einem kleinen Schnürchen links oben, das durch zwei winzige Löcher in allen Blättern samt den Aktendeckeln durchgefädelt und dahinter mit dem „Badischen Aktenknoten“ zuverlässig zusammengebunden wird.
Die erforderlichen speziellen Locher und auch die Aktenstecher, mit denen man die Seiten durch Einführen in die kleinen Löcher exakt übereinander anordnet, damit das Schnürchen durchgeschoben werden kann, wurden übrigens – letztere sehr nachvollziehbar unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen – über Jahre im Gefängnis in Mannheim hergestellt.
Durch die Lockerung der Schleife ist es möglich, unkomplizierter und freier mit den verschiedenen Seiten zu arbeiten als mit einem Schnellhefter. Eine äußerst bequeme und praktische Methode für den Kenner des Systems, ein absolutes Gräuel für den, der es nicht kennt.
Eine einmal von mir auf entsprechende Anforderung an das Landgericht Hamburg übersandte, überaus sorgfältig badisch gebundene, besonders dicke Akte wurde mir in einem großen Karton zurückgesandt. Darin ein vollkommen ungeordnetes Paket von einzelnen Seiten und ein wütendes Schreiben, ich möge die Seiten gefälligst wieder selbst auffädeln. Was ich dann auch tat.
Den Hamburger Kollegen, bei dem sich wahrscheinlich in Unkenntnis des „Badischen Aktenknotens“ die Seiten auf dem Fußboden seines Büros verteilt hatten, in einer Antwort vom Vorteil unseres Systems zu überzeugen, erschien mir bei aller Weltoffenheit der norddeutschen Menschen eher aussichtslos.
Aktenordnung hin oder her, jedenfalls war es ja nun eigentlich meine Absicht auf der Anreise gewesen, mich mit dem Prozess zu beschäftigen. Aber Spaß machte es mir nicht gerade. Und ich hatte mich auf ein äußerst übles, sehr schwieriges und langwieriges Verfahren vorzubereiten.
3
Neben der Tankstelle bei Kilometer 1027 standen zwei schmutzige Riesenlaster mit spanischen Nummernschildern parallel zueinander geparkt. Von den Fahrern war weit und breit nichts zu sehen. Kein Fahrzeug an den Tanksäulen. Das gestreckte, flache Gebäude mit dem braunen Dach wirkte neu, aber schon etwas heruntergekommen. Auf der linken Seite war ein Café oder Restaurant integriert. Aber auch durch dessen Fenster war niemand zu erkennen. Alles wirkte irgendwie trostlos.
Ich fuhr in großem Bogen hinter das Haus. Mein roter Lancia war ziemlich auffällig, und es musste nicht unbedingt sein, dass man ihn schon von der Carretera N-340, auf der die Lastwagen mit Höchstgeschwindigkeit und extrem kurzen Abständen zueinander vorbeidonnerten, sehen konnte. Auch meine Freunde mit ihrem schwarzen Mercedes könnten dabei sein. Ich war sicher, dass sie auf der Suche nach mir waren. Und denen wollte ich nun wirklich nicht begegnen.
Ich stellte mich halbverdeckt so auf, dass ich aus dem Auto doch noch einen ganz guten Blick auf die Straße in Richtung Barcelona hatte. Von dieser Seite musste meine Sendung kommen. Aber es konnte dauern.
Meine Nachtruhe war nicht so ausgeprägt gewesen, und ich merkte, dass ich immer wieder leicht einnickte. Ich stieg deshalb