Schwertmeister der Magie: Drei Fantasy Sagas auf 2500 Seiten. Alfred Bekker
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Dass Ar-Don offenbar durch seine Augen sehen und alles wahrnehmen konnte, was ihm widerfuhr, beunruhigte Gorian zunehmend. Achte darauf, wessen Gedanken du Einlass in deine Seele gewährst! So lautete eines der Axiome des Ordens der Alten Kraft, das sich auf spezielle Übungen bezog, die eine geistige Beeinflussung durch Magie verhindern sollten.
Als Gorian diese Zeilen zum ersten Mal gelesen hatte, waren sie ihm rätselhaft erschienen, kryptische Weisheiten aus einer vergangenen Zeit, deren Bedeutung niemandem mehr wirklich klar zu sein schien. Nun aber glaubte Gorian zu begreifen, was damit gemeint war.
Er selbst war es, der es zugelassen hatte, dass der Geist des Gargoyle zu ihm sprach. Vielleicht, weil er zu schwach gewesen war, um diesen Einfluss von Anfang an abzuwehren. Vielleicht aber auch, weil er dieser Stimme insgeheim recht geben musste. Zumindest zu einem Teil.
Es war, als würde der Gargoyle auch all seine Gedanken lesen, denn wie um Gorians letzte Überlegungen zu bestätigen, sagte er: „Ohne mich wirst du es nicht schaffen, Gorian. Das weißt du im Grunde selbst, und deswegen schenkst du mir dein inneres Ohr, deswegen lauschst du aufmerksam jedem einzelnen meiner Gedanken, und deswegen sind wir uns inzwischen so nahe, dass ich alles sehe, alles empfinde, alles erleide, was dir geschieht und zustößt. Ich führe dich. Und ich rette dich. Aber du musst es zulassen!“
Gorian streckte den Arm aus. „In diese Richtung!“, bestimmte er.
„Meine Güte, wenn du jedes Mal so lange brauchst, um dich bei einer Weggabelung an die richtige Richtung zu erinnern, werden uns die aufgetauten Eiskrähen zerhackt haben, lange bevor wir diesen verfluchten Tempel erreichen“, maulte Beliak.
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Sie liefen durch den Wald, und Gorian achtete nun darauf, die Führung zu behalten. Er spürte seine Beine und Füße kaum noch, und zeitweilig hatte er das Gefühl, nur noch zu den allernötigsten Gedanken fähig zu sein, denn eine bleierne Schwere machte sich schleichend in ihm breit. Er wurde immer müder, aber sie konnten sich allenfalls kurze Pausen erlauben, zu dicht waren ihnen die Verfolger auf den Fersen. Und davon abgesehen mussten sie damit rechnen, auf weitere Patrouillen der Frostkrieger zu stoßen.
Während einer der kurzen Pausen, die sie einlegten und in denen Beliak von den Wassergeistern eines anderen Bachs Neuigkeiten zu erfahren versuchte, was sie ihm allerdings verweigerten, versuchte sich Gorian mit Magie zu kräftigen. Sein Vater hatte ihm ein paar entsprechende Übungen beigebracht und ihm Zauberformeln gelehrt, welche die Müdigkeit zumindest für eine Weile zurückdrängten. Aber auch hinsichtlich dieser Disziplin war Gorian noch weit von einer bescheidenen Meisterschaft entfernt.
Seit der Orden der Alten Kraft gegen Morygors Schergen kämpfte, sannen die Schwertmeister verstärkt nach Möglichkeiten, die Macht des Schlafes über den Menschen zu brechen. Schließlich bestand einer der entscheidenden Vorteile, welche die untoten Frostkrieger auf dem Schlachtfeld hatten, darin, dass sie nie ermüdeten. Und so hatten die Ordensmeister in diese Richtung Experimente mit verschiedenen Formen der Magie angestellt. Einige hatten Substanzen zu sich genommen, die das Bedürfnis nach Schlaf zurückdrängen sollten, während andere dieses Ziel mit geistigen Konzentrationsübungen erreichen wollten. Auch waren beide Methoden miteinander kombiniert worden, allerdings ohne einen wirklich durchschlagenden Erfolg zu erzielen.
Zumindest keinen Erfolg, der ohne teils fatale Nebenwirkungen gewesen wäre. Gorian erinnerte sich daran, was ihm sein Vater darüber erzählt hatte, dass etwa diejenigen, die diese Substanzen zu sich genommen hatten, sich allmählich verändert hatten. Die Betreffenden waren geradezu bösartig geworden und gleichgültig gegenüber den hohen Idealen des Ordens. Als man die Gefahr erkannt hatte, waren die Versuche zwar eingeschränkt worden, man hatte sie aber nie völlig aufgegeben.
Für Nhorich war dies ein Grund von vielen gewesen, sich vom Orden abzuwenden. Den Schlaf völlig zu bannen war offensichtlich nur zu einem sehr hohen Preis möglich, auch dann, wenn dafür lediglich geistige Übungen angewendet wurden.
Dennoch hatte Nhorich seinem Sohn gezeigt, wie man die Alte Kraft dafür einsetzen konnte, ihn aber eindringlich ermahnt, dies nur in allergrößter Not und für eine begrenzte Zeit zu tun. „Diejenigen, die den Schlaf zu lange zurückgedrängt hatten, wurden, wie sich zeigte, leichter zu Opfern magischer Einflüsterungen und Manipulationen“, echoten Nhorichs Worte in Gorians Erinnerungen wider. „Manche wurden gar zu Verrätern – und einige von ihnen sind es noch und wandeln weiterhin unerkannt unter den angesehenen Meistern der fünf Häuser.“
War das der Grund, dass sich Ar-Dons Stimme wieder mit dieser Vehemenz bei ihm meldete? Schwächten der Schlafentzug und die Ermüdung Gorian auch geistig so sehr, dass der Gargoyle den Moment für einen erneuten Manipulationsversuch für vielversprechend hielt?
Na warte!, durchfuhr es Gorian zornig, denn der Gedanke, durch ein fremdes Wesen auf irgendeine Weise beeinflusst zu werden, entfachte Wut in ihm. So schwach, wie du glaubst, bin ich nicht! Schließlich bin ich am Tag des herabstürzenden Sternenmetalls geboren worden, und selbst Morygor hat vor dem Verlauf meiner Schicksalslinie so viel Angst, dass er einen der Frostgötter ausgesendet hat, mich zu töten!
„Oh, du Narr! Du armer, verbohrter Narr! Wenn du glaubst, dich dem Frostreich ohne meine Hilfe widersetzen zu können, irrst du dich gewaltig! Selbstüberschätzung - ah, das war auch unser Fehler!“
„Unser?“, gab Gorian in Gedanken zurück. Eigentlich widerstrebte es ihm, auf dieser Ebene mit Ar-Dons Geist zu kommunizieren, denn immerhin war der Gargoyle gegen seinen Willen in sein Inneres eingedrungen, und er empfand die Gedanken dieses Wesens als etwas, das dort nicht hingehörte.
„Ar-Don... Meister Domrich... Ich bin viele“, lautete die Antwort. „Viele, die dir helfen wollen. Viele, die dir den rechten Weg weisen können...“
Und auf einmal erschien mit überwältigender Kraft ein Bild des Tempels der alten Götter vor Gorians innerem Auge – allerdings sah er ihn aus einer Perspektive, wie er ihn bei seinem ersten und einzigen Besuch auf jener Lichtung nicht zu Gesicht bekommen hatte. Es musste sich um die Rückseite des Tempels handeln, und Gorian gewahrte eine Öffnung im verfallenden Mauerwerk, etwa so groß wie ein menschlicher Kopf, bei der allerdings nicht zu erkennen war, ob dort irgendwann einmal Steine herausgeschlagen worden waren oder ob sie von den Erbauern des Tempels so angelegt worden war.
Als Gorian den Tempel zusammen mit seinem Vater vor ungefähr sechs Jahren zum ersten Mal betreten hatte, um die Schwerter Sternenklinge und Schattenstich aus ihrem Versteck zu holen, hatte Gorian die Öffnung nicht bemerkt. Offenbar war dies der Blickwinkel, den Ar-Don von seinem Grab aus auf den Tempel hatte.
Vater muss seine Bruchstücke tatsächlich ganz in der Nähe des Bauwerks vergraben haben, erkannte Gorian. Und zwar in einem Abstand, der nicht mehr als fünfzig Schritte beträgt.
Und offenbar konnte Ar-Don den normalerweise unsichtbaren Tempel sehen – sofern das der richtige Ausdruck war, denn sehr wahrscheinlich nahm Ar-Don seine Umgebung – zumal in seinem momentanen Zustand –