Bon - Der letzte Highway. Jesse Fink
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Aber Holly fügt auch hinzu, dass Malcolm nur tat, was er für richtig für die Band hielt.
„Mit jemandem umzugehen, der an einer Suchterkrankung leidet, ist das Schwerste auf der ganzen Welt. Ich weiß darüber Bescheid. Aber tief drinnen in sich spürte, sah und wusste Bon das auch. Kurz vor Bons Tod traf ich Malcolm. Er war praktisch am Ende seiner Geduld angelangt. Ich weiß auch nicht, warum nichts für Bon unternommen wurde und keine Entziehungskur für ihn zustande kam. Es lag einfach an der Zeit. Es muss extrem hart für Malcolm gewesen sein, seinem überaus begabten Sänger dabei zuzusehen, wie er sich selbst so zugrunde richtete. Seine regelmäßigen Totalabstürze wirkten sich selbstverständlich auch auf den allgemeinen Zustand und das Wohlbefinden der Band aus. Da wäre wohl jeder irgendwann frustriert gewesen. 1980, als er starb, war ich gerade mal zwanzig. Das war ein anderes Leben – und ich habe seit damals viele Leben gelebt, so wie wir alle das seit unseren Jugendjahren getan haben. Auch wenn er nicht sagte, dass er mit dem Trinken und den Drogen aufhören wollte, sprach er doch darüber, wie sein Verhalten sich auf seine Beziehung zu Malcolm und dem Rest der Band auswirkte. Es ging dabei vor allem um Malcolm, der echt etwas dagegen hatte. Er wurde echt sauer auf Malcolm, wenn er trank, aber wenn er nüchtern war, war der Grundtenor eher von Traurigkeit geprägt. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass er aufhören wollte, aber seine Dämonen hatten ihn da schon voll in ihrer Gewalt. Er konnte nicht mehr aufhören. Manchmal hielt er es, wenn wir miteinander abhingen, eine Zeit lang aus, ohne viel abzufeiern, aber das funktionierte immer nur sehr kurz, weil er bereits so tief in seiner Sucht steckte. Auch wenn aufgrund von Bons unkontrollierbarem Missbrauch von Suchtmitteln und seiner Sorge, die Band im Stich zu lassen, zwischen ihm und Malcolm Spannungen in der Luft lagen, so war es doch durchaus verständlich, dass Malcolm von Bon frustriert war.“
Unser indisches Essen wird uns serviert und wir begeben uns zurück zum Prius.
* * *
Nachdem ich mich in ihrem Gästezimmer ausgebreitet und geduscht habe, ruft Holly mich zum Essen und präsentiert mir ihre alte Fotografentasche. Sie ist mit Backstage-Pässen und Aufklebern übersät. Von Led Zeppelins Nordamerikatournee 1977 etwa. Da ein alter Sticker von CEDRIC KUSHNER PRESENTS, NEW YORK, dort ein Pass von der ersten Welttournee von The Knack oder ein Aufkleber der Criteria Studios. Auf einem Backstage-Ausweis für die „The Return of Kiss“-Tour von 1979 hat sich Kiss’ verstorbener Manager Bill Aucoin mit Autogramm verewigt. Swan Song Inc. Eric Clapton. Eine Veranstaltung der Gulf Artists Productions mit Black Sabbath und Van Halen im Hollywood Sportatorium. ZZ Tops World Wide Texas Tour mit Nils Lofgren im Beacon Theatre. QUEEN US WINTER TOUR 1977 – GUEST PASS, NO ON-STAGE ACCESS. Jeff Beck und Tommy Bolin am 3. Dezember 1976 in Miami (Bolins allerletztes Konzert). SUNSHINE JAM ’76: A BENEFIT FOR JIMMY CARTER IN JACKSONVILLE AT THE GATOR BOWL FEATURING CHARLIE DANIELS BAND, LYNYRD SKYNYRD, MARSHALL TUCKER BAND, OUTLAWS, .38 SPECIAL, RICHARD BETTS, CHUCK LEAVELL, JERRY JEFF WALKER & FIREWORKS! Kiss mit Uriah Heep in Lakeland, 1976. Leon and Mary Russell. Santana. Outlaws. Rod Stewart. Aerosmith. The Who. Journey. Starz. Foghat. Ein Who’s who klassischer Rock-Legenden aus den Siebzigerjahren. Und auf einem zerknitterten blauen Gewebe: RON DELSENER PRESENTS AT THE PALLADIUM, DICTATORS, M S BAND, AC-DC.
Denselben kreisrunden Aufnäher aus Stoff sieht man auch auf Hollys Jeans auf einem Schnappschuss des Fotografen Chuck Pulin, der sie mit Bon zeigt. Sie zeigt mir auch eine Postkarte, die Bon ihr von der Tour geschickt hat. Darauf sind Marihuanapflanzen zu sehen. Inhaltlich beschränkt er sich auf „Bon“, ein „X“ sowie ein paar Schnörkel als Verzierung. Bis heute weiß Sie nicht, was er mit dieser Karte aussagen wollte. Sie kiffte nämlich nicht – im Gegensatz zu ihm.
Roy Allen erzählt mir, er hätte eine ähnliche Karte erhalten, die ihr Absender ebenfalls schlicht mit „Bon“ beschriftet hatte.
„Ich erinnere mich, dass Bon mir einmal eine Postkarte schickte. Ich weiß eigentlich immer noch nicht weshalb, aber so war er eben. Voller kleiner Überraschungen. So wie damals, als er mich mit ‚Hey‘ im Radio grüßte.“ Der betreffende Sender hieß KLBJ Austin. „Die Karte zeigte als Motiv Snoopy und Woodstock. Sie sagten etwas auf Französisch zueinander. Er unterzeichnete nur mit ‚Bon‘. Da stand nicht ‚Hoffe, es geht Dir gut‘ oder so ein Schnickschnack. Ich habe nie herausgefunden, was der französische Text bedeutete. Ich erinnere mich noch, dass mein Dad sagte, ich sollte die Karte vom Boden meines Pick-ups aufheben, weil ich sie sonst noch verlieren würde. Das tat ich aber nicht und ich bin mir sicher, dass sie auf dem Parkplatz irgendeiner Bierkneipe aus dem Wagen fiel. Nachdem sie verschwunden war, erklärte ich ihm noch, dass das keine große Sache wäre und ich mir sicher wäre, dass ich ihn schon bald wiedersehen würde.“
„Er freundete sich überall mit vielen Leuten an und blieb auch in Kontakt mit ihnen“, erzählte Angus Young. „Ein paar Wochen vor Weihnachten schrieb er stapelweise Postkarten an jeden, den er kannte, um sie auf dem Laufenden zu halten. Sogar seinen Feinden, glaube ich [lacht]. Er war schon eine echte Type.“
* * *
An diesem Abend unternehmen wir nach dem Abendessen mit drei ihrer fünf Hunde einen Spaziergang durch die Straßen ihrer grünen Ecke des tropischen Miami. Es ist ein ruhiges Viertel. Ihre Rock-’n’-Roll-Zeiten liegen längst hinter ihr.
Holly ist nicht die einzige, die davon ausgeht, dass Bon Material zu einer Reihe von Songs auf Back In Black beigetragen hat – sogar zu „etlichen“, wie sie es formuliert. Allerdings zählt ihre Meinung angesichts ihrer Verbindung zu Bon zu den bedeutendsten. Besonders erzürnte sie, dass „Have A Drink On Me“ als „Hommage“ an ihn auf dem Album erschien. Sie war sogar so wütend darüber, dass sie während der Tour anlässlich von Back In Black persönlich auf Malcolm losging. „Ich war ziemlich betrunken und sauer. Es ging steil bergab mit mir und meiner Sucht und ich ging auf eines ihrer Konzerte … Ich erinnere mich nur noch daran, wie ich mir dachte, warum ich überhaupt hier wäre und dass das doch verrückt war. Ich hege nicht den geringsten Zweifel daran, dass die unermessliche Trauer, die ich damals spürte – er war ja noch nicht lange tot –, dazu beitrug, dass ich das Gefühl hatte, Malcolm entgegentreten zu müssen. Der Hauptgrund war, dass ich unter dem Eindruck stand, sie würden sich über ihn lustig machen, vor allem, weil sie ‚Have A Drink On Me‘ auf diesem Album veröffentlichten. Ich empfand es als notwendig, etwas in Bons Namen dazu zu sagen. Ich hatte mit jemandem, den ich über Bon kennengelernt hatte, Kontakt aufgenommen und mich hinter die Bühne begeben, um Malcolm ganz konkret danach zu fragen, warum er Bon für ‚You Shook Me All Night Long‘ und andere Songs keinen Songwriter-Credit gegeben hätte. Außerdem wollte ich meinem Ärger darüber Luft machen, dass sie dem Album ‚Have A Drink On Me‘ hinzugefügt hatten. Immerhin war Bons Tod eine direkte Konsequenz aus seinem übermäßigen Alkoholkonsum. Das war so ungeheuerlich und geschmacklos. Ganz zu schweigen davon, dass es schrecklich respektlos gegenüber Bons Andenken war. Er war ja gerade erst gestorben. Ich hatte mich immer beschützend vor Bon gestellt, weil ich wusste, wie schlecht er sich wirklich wegen seiner Trinkerei fühlte und einfach nicht aufhören konnte – zumindest nicht für lange. Ich glaube, dass ich Malcolm damals für den ‚Bösewicht‘ hielt, obwohl ich mittlerweile seinen Frust völlig verstehe. Ich machte mich gleich, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte, aus dem Staub. Ich