Es begann in der Abbey Road. George Martin
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Ich konnte die Einstellung nicht verstehen. Ich produzierte Klassik, und nichts war ärgerlicher, als die Musik in winzige „Fischgräten-dünne“ Stückchen mit einer Laufzeit von jeweils 4:30 Minuten zu sezieren. Ständig musste ich mich mit der Problematik auseinandersetzen, die Partitur gewissenhaft durchzuarbeiten und mich für den idealen Punkt einer Unterbrechung zu entscheiden. Allerdings fiel das oft mehr oder weniger willkürlich aus, und manchmal war ich gezwungen, den Schnitt mitten in einem Satz zu machen. Wenn ich keine ursprünglich vom Komponisten vorgesehene Pause in der Musik fand, musste ich die zweite Seite mit dem letzten Akkord der ersten Seite beginnen, denn sonst wäre ein eigenartiger Höreindruck erstanden. Das war absurd, aber es bot sich keine Alternative, denn durch die rein technischen Einschränkungen durfte eine Seite höchstens eine Spielzeit von 4:45 Minuten haben. Verschiedene Produzenten setzten beim selben Stück unterschiedliche Schnitte, abhängig vom Tempo, das der Dirigent den Musikern vorgab. Mich faszinierte der Vergleich, wo die anderen Tontechniker denn nun ihren Schnittpunkt ansetzten.
Es machte Spaß, wirkte sich allerdings negativ auf das Geschäft aus. Trotz der gebotenen Eile veröffentlichte die EMI eine Erklärung, in der sie bei einem möglichen Formatwechsel eine mindestens sechsmonatige Vorlaufzeit einräumte. Sir Ernest Fisk war für die katastrophale Entscheidung verantwortlich. Ich wähle den Begriff „katastrophal“, denn die Firma verlor ganze zwei Jahre. Meiner Ansicht nach lag in dieser Fehlentscheidung ein fundamentaler Grund für den Verlust des Repertoires von Columbia Records in den USA. 1953 musste die EMI den Katalog des Sub-Labels an Phillips abtreten, und 1957 verkauften die Manager RCA-Victor an Decca, und das nach einer 75-jährigen Zusammenarbeit. Sir Ernest Fisk war ein Australier, der nichts so sehr liebte wie eine Fahrradfahrt um den Hyde Park. Er wird als Vorsitzender der Geschäftsführung in die Firmengeschichte eingehen, der den Einstieg der EMI in den Langspielplattenmarkt verzögerte – Fahrrad hin oder her.
Eine Episode wird wahrscheinlich nicht in die Geschichte eingehen. Es ist der Tag, an dem mir beinahe gekündigt wurde. Ich wusste nicht, wie er aussieht, da der gute Mann in der Geschäftszentrale in Hayes arbeitete. Ich arbeitete mit einem Chor im Studio 1 in der Abbey Road, in dem eine große Orgel stand. Der Organist kam zu spät, ließ also mich, die Tontechniker und den kompletten Chor warten.
Ich hatte den Musiker noch nie gesehen. Um 10.20 Uhr, als die Session schon im vollen Gang sein sollte, ging ich nach oben und wartete auf die Ankunft des unbekannten Musikers. Ein Mann mit einer Halbglatze, gekleidet in einen schwarzen Mantel und eine Nadelstreifenhose, der einen Instrumentenkoffer trug, betrat das Gebäude.
Wütend ging ich auf ihn zu und meinte: „Es wird auch verdammt noch mal Zeit. Ist Ihnen überhaupt klar, dass wir auf Sie warten mussten? Wir warten schon seit gestrichenen 20 Minuten.“
„Wovon reden Sie überhaupt?“, fragte er mich.
„Sie wissen wohl am besten, was ich meine. Die Aufnahme sollte um Punkt 10 Uhr beginnen, und Sie lassen uns hier hängen.“
„Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?“, fragte er mit eiskalter Stimme.
Plötzlich tauchte ein schrecklicher Zweifel im hinteren Teil des Martin-Gehirns auf und zwickte mich. „Aber sicher – Sie sind der Organist … oder etwa nicht?“
„Nein, ich bin nicht der Organist. Ich heiße Fisk, und ich bin der Geschäftsführer dieser Firma.“
Gespenstische Stille. Hatte ich eine aussichtsreiche Zukunft verspielt? Ich entschuldigte mich unterwürfig und versuchte zwischen den Paneelen in den Boden zu versinken. Hoffentlich merkte er sich bloß nicht meinen Namen! Die nächsten Tage verbrachte ich in ständiger Furcht und Angst, da ich mich ihm gegenüber mehr als ungehörig verhalten hatte. Glücklicherweise gab es kein Nachspiel, wofür ich dem guten Mann wohl dankbar sein muss.
Der oberste Manager der Firmengruppe war ein vollkommen unterschiedlicher Charakter, den man den Spitznamen „der japanische General“ gegeben hatte. Gespräche mit ihm bestanden im Extremfall in wenigen Silben. Ich wechselte kaum ein Wort mit ihm, da Oscar für die direkte Kommunikation mit „Gott“ zuständig war, doch ich nahm des Öfteren seine Anrufe entgegen, bei denen er sich mit einem simplen „Mitell hier“ meldete. Danach herrschte Stille, eine Stille, die eine dringliche Aufforderung zum Sprechen ausdrückt. Und so redete man wenige Worte. Es folgte wieder eine lange Pause. Der Mann sprach einfach kein Wort zu viel.
Obwohl die Plattenlabels zu der Zeit einen großen Teil der Einnahmen für die EMI erwirtschafteten, wurde die Unterhaltungsindustrie meiner Meinung nach von der Geschäftsführung argwöhnisch beäugt. Vermutlich hätten sie lieber Fahrräder als Schallplatten produziert. Ich glaube auch, dass sie die hohen Kosten der Umstellung auf die Produktion von LPs fürchteten. Allerdings hatten sie keine Entschuldigung, nichts über den potentiellen Marktwert zu wissen, denn jeder wies sie darauf hin – Oscar, Leonard Smith und Norman Newell vom Pop-Segment der Columbia und Walter Legge, der für die Klassik Columbias verantwortlich zeichnete.
Damals konnte Walter Legge als die Primadonna der Welt der Klassik bezeichnet werden. Er war mit Elisabeth Schwarzkopf verheiratet und engagierte sich für den Unterhalt des originalen Philharmonia Orchestra, was ihm ganz offensichtlich nicht schadete. Schwarzkopf und das Orchester waren nur zwei der vielen Künstler und Ensembles, die unter seiner Leitung produzierten. Er war ein typischer Einzelgänger. Ich verehrte Legge, da er einen Hauch frischen Windes in die damals knochentrockene und gruftähnliche Struktur der EMI brachte.
Doch ein Oscar Preuss war nicht weniger außergewöhnlich. Als ich zu ihm stieß, muss er um die 60 gewesen sein. Er hatte die berufliche Laufbahn als Tontechniker-Lehrling im Alter von 14 oder 15 Jahren begonnen, also kurz nachdem Edison den Startschuss für eine technologische Revolution gab. Er fertigte sogar noch die Membran und die Nadeln für die ersten Grammophone an, darunter sogar noch die Zylinder-Maschinen. Damals musste sich der Tontechniker, der die Aufnahme leitete, noch sein Equipment selbst anfertigen. Über die Jahre hatte er die Karriereleier erklommen, bis er schließlich Parlophone vorsaß und auf einen riesigen Erfahrungsschatz zurückblicken konnte.
Während des ersten Arbeitsmonats bestand meine Aufgabe darin, Oscar auf Schritt und Tritt zu folgen und so viel wie möglich von ihm zu lernen. Nach einer Weile übertrug er mir kleinere Aufgaben. Er fragte mich: „George, vielleicht bin ich morgen nicht pünktlich im Büro. Könntest du bitte mit den Aufnahmen beginnen?“ Und ich war pünktlich vor Ort und organisierte die Tontechniker und die Musiker, sodass wir die erste Aufnahme schon „im Kasten“ hatten, bevor Oscar herein gestürmt kam und kommentierte: „Das ist überhaupt noch nicht gut. Da müssen wir was anderes versuchen.“ Es kostete einiges an Überwindung, mich bei den Musikern vorzustellen und sie zu informieren, dass ich mehr oder weniger die Verantwortung trug. Ich hege keine Zweifel, dass sie mich anfänglich als einen Grünschnabel betrachteten, doch mir war die Autorität übertragen worden (wenn auch nicht das Gehalt), und somit mussten sie mich tolerieren.
Die wohl beängstigendste Aufnahme-Session war meine erstmalige Arbeit mit Sidney Torch und dem Queen’s Hall Light Orchestra. Ich arbeitete im Studio 1 in der Abbey Road, im Grunde genommen fast schon eine Kathedrale mit den Ausmaßen von geschätzten 2.000 Quadratmetern. Sogar mit der guten, alten Compton-Kirchenorgel noch an ihrem Platz (auf der Fats Waller seine einzigen Orgel-Aufnahmen machte) war der Raum riesengroß. Oscar hatte mir gesagt, dass er erst ab 11 Uhr da sein werde, also eine Stunde nach Aufnahmebeginn. Ich