Es begann in der Abbey Road. George Martin

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Es begann in der Abbey Road - George Martin

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durch das versammelte 45-köpfige Orchester, bis ich endlich vor Sidney Torch stand, der auf seinem Dirigentenpodest thronte. Ein Schlagmann beim Kricket fühlt sich wahrscheinlich ähnlich, wenn er zur Spielfeldlinie auf dem Platz in Lords schreitet.

      „Guten Morgen, Mr. Torch“, quietschte ich mit einer piepsigen Stimme. „Mein Name ist George Martin. Ich bin Oscars Assistent und werde mit den Aufnahmen beginnen.“

      Ich machte mir vor Angst fast in die Hose, da ich wegen des Reflexes auf meine Unsicherheit offensichtlich ein wenig albern und unbedarft aufgetreten war, doch Sidney blieb nett und gelassen. Er lächelte wohlwollend, erklärte, das sei schon in Ordnung, und gab mir mehr oder weniger zu verstehen, dass er mich unbehelligt lassen würde, wenn ich ihm nicht in seine Arbeit pfuschte.

      Nach der ersten Begegnung kamen wir gut miteinander aus. Allerdings wurde er in kritischen Situationen äußerst jähzornig. Ich habe ihn dabei beobachtet – wenn das Orchester nicht seine Vorstellungen umsetzte – wie er den Taktstock durch den ganzen Raum schleuderte (und das ist ein sehr weiter Wurf). Dabei schrie er: „Herrgott noch mal, Gentlemen. Nun spielen Sie es doch endlich richtig!“

      Ich musste schnell lernen und lernte aus meinen Fehlern. Einen der ersten Schnitzer leistete ich mir 1950, also schon zu Anfang meiner Anstellung. Man schickte mich in ein Lichtspielhaus, um mir einen Film anzusehen, in dem Mario Lanza das Thema „Be My Love“ sang. Immer noch stark von der Klassik geprägt, empfand ich den Gesang des Mannes als Beleidigung durch und durch. Er behandelte die Melodie mit roher Gewalt und Ignoranz. Ich verabscheute jede Sekunde und verfasste daraufhin einen gehässigen Bericht, der aus der Feder eines Musikkritikers hätte stammen können, der alles von einer erhobenen, avantgardistischen Warte aus analysiert. Ich kritisierte das Stück als einen kitschigen und bis ins letzte kalkulierten Song, in dem jedes nur erdenkliche Klischee verwendet wird.

      Und so kümmerten wir uns nicht weiter um diese Nummer. Doch in meinem jugendlichen Leichtsinn hatte ich die auf der Hand liegende Möglichkeit übersehen, dass aus dem Stück ein Hit werden konnte. Und genau das geschah natürlich.

      Ich musste weiteres Lehrgeld bezahlen, als Oscar mich mit der Leitung von Jazz-Sessions beauftragte, zusätzlich zu den Klassik- und Easy-Listening-Aufnahmen. Ich begutachtete eine Plattenaufnahme von Humphrey Lytteltons Formation. Sie spielten einige Stücke, wobei ich speziell dem Bassisten kritisch zuhörte. Scheinbar erzeugte er mit seinem Instrument nur ein dumpfes Ploppen.

      Ich beobachtete den Musiker noch etwas länger und fragte ihn dann: „Könnten Sie die Noten nicht etwas deutlicher spielen?“

      Nach einer kurzen Pause reagierte der schockierte Mann und schleuderte mir eine nicht druckfähige Antwort ins Gesicht. Die Essenz seiner Meinung bestand jedenfalls im Vorwurf, dass ich keine Ahnung von den damals modernen Spieltechniken des Kontrabasses hätte – was sogar stimmte.

      Unbeeindruckt versuchte ich ihm meine Empfindung zu vermitteln: „Es klingt so, als würden Sie mit Boxhandschuhen spielen.“

      Ich lag nicht falsch, doch in dem Moment explodierte Humph. Er beschimpfte mich mit Ausdrücken, die ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört hatte, und rannte wutentbrannt aus dem Studio.

      Es war klar – jetzt brauchte ich Hilfe von höchster Stelle. Ich suchte Oscar in seinem Büro auf und erzählte ihm von dem Vorfall, was zu einer weiteren Explosion führte. Oscar schrie: „Du gehst jetzt sofort, holst Humph um alles in der Welt wieder ins Studio zurück und entschuldigst dich bei allen Anwesenden“, befahl er mir. Und dann drehte er sozusagen das Messer um, das in meiner Brust steckte: „Wenn du uns Humph vergrault hast, kannst du deinen Hut nehmen.“

      Außerhalb des Gebäudes fand ich den hochgradig verärgerten Künstler, der die Straße auf und ab stampfte. Ich biss in den sauren Apfel, entschuldigte mich bei ihm für mein dummes und ungebührliches Verhalten und überzeugte ihn letztendlich, die Session weiterzuführen. Damit – aber das verriet ich ihm damals nicht – war der Job wieder gesichert.

      Später entwickelte sich zwischen Humph und mir eine innige Freundschaft. Gemeinsam produzierten wir viele Platten, wie zum Beispiel „Bad Penny Blues“. Ich hatte die Lektion gelernt. Aus musikalischer Sicht hatte ich recht gehabt, doch nicht diplomatisch reagiert. Sine qua non – ein taktvolles Verhalten ist die unerlässliche Voraussetzung für die Arbeit eines Plattenproduzenten. Es ist eine schwierige Gratwanderung. Man darf sich nicht jeder kleinsten Laune eines Künstlers unterwerfen, aber auch selbst nicht zu unbedarft und massiv auftreten. Ich musste eine geeignete Umgangsform erlernen, um dem Musiker Fehler aufzuzeigen, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen. Man sollte führen, aber durfte auf gar keinen Fall Druck ausüben. Damals, wie auch heute, war die psychologische Feinfühligkeit das bedeutendste Charakteristikum eines Plattenproduzenten.

      Eine weitere, wenn auch weniger bedeutende Eigenschaft ist die Trinkfestigkeit. Sie wurde besonders gefordert, wenn ich mit schottischen Künstlern arbeitete. Parlophone hatte sich auf diesem Markt etabliert. Es war das Plattenlabel in Schottland und veröffentlichte Reels, Jigs und ähnliche folkloristische Musik. Oscar leitete für gewöhnlich die Sessions mit Robert Wilson. Auch standen bei uns die Akkordeonisten Mickey Ainsworth und Jimmy Blue unter Vertrag, und ich musste nach Schottland reisen, um sie aufzunehmen.

      Die beiden waren leidenschaftliche Whiskey-Trinker. Wir begannen die Aufnahmen um 10 Uhr morgens, und schon nach eineinhalb Stunden meinten die beiden betrübt: „Wir arbeiten so hart, dass uns der Durst plagt, George. Lass uns uns doch kurz einen genehmigen.“ Und so ließen wir alles stehen und liegen und begaben uns in die Bar an der Ecke. (In Schottland gibt es an jeder Ecke eine Bar.) Dort bestellten sich die beiden ihre „Erfrischungen“, immer doppelte, hochprozentige Whiskeys.

      Johnny Walker oder Bell waren verpönt. Es war wohl Pride of Methlane oder eine andere unbekannte Marke mit dem Effekt reinen Feuerwassers. Ich konnte mich nicht vor den Umtrunken drücken, bei denen sich die beiden die Drinks hinter die Binde kippten, ähnlich Desperados in einem stilechten Western. Stand ein Glas erst mal vor ihnen, wurde es augenblicklich runtergekippt und sofort mit einer dringenden Bitte zum Barmann zurückgeschoben: „Ach, bitte noch einen.“

      Doch was mich am meisten verblüffte – der Alkohol schien ihnen nichts anhaben zu können. Sie tranken während einer Session jeder eine halbe Flasche, wodurch ihre Finger noch schneller über die Tastatur des Akkordeons flitzen. Diese Fähigkeit stellte ich auch bei Annie Shand fest, einer Pianistin mit einer kleinen Band in Aberdeen. Ich nahm sie im dortigen Theater auf. Ungefähr zur Mitte der Aufnahmen hielt sie plötzlich inne, kramte in der Handtasche und zog eine große Whiskeyflasche heraus. „Möchte hier einer ’nen heißen Schluck?“, fragte sie beim Abschrauben des Verschlusses ihres Medizinfläschchens. „Heiß“ bedeutete in dem Fall, einen großen Schluck, der dem Format ihrer Handtasche nahezu gleichkam, die sie offensichtlich als persönliche Bar bei sich trug. In Annies Leben zählte der Whiskey zu den Grundnahrungsmitteln.

      Mal abgesehen von diesen Künstlern, die ich eher als Leichtgewichte bezeichnen möchte, hatten wir den großartigen Jimmy Shand (nicht mit Annie verwandt) unter Vertrag. Ich arbeitete häufig mit ihm und wurde mit schottischer Musik regelrecht „geimpft“, wogegen man sich gar nicht wehren konnte. Damals feierte schottische Tanzmusik in Großbritannien einen Erfolg nach dem anderen, und Jimmy wäre es beinahe gelungen, mich für die Musik zu begeistern. Jedes Mal, wenn ich zu ihm reiste, nahmen wir ungefähr 48 Titel auf – 12 oder 14 täglich – was dem Vorrat für ein Jahr entsprach, in dem wir sie nach und nach auf den Markt brachten.

      Jimmy war ein schüchterner und zurückhaltender Mensch – und, was ungewöhnlich für einen schottischen Musiker ist, abstinent –, der mit einem starken, pfeifenden Akzent sprach. Ich würde ihn als sehr höflich beschreiben, obwohl er Menschen generell misstraute, was aber möglicherweise an dem generellen Argwohn der Schotten gegenüber „Fremden“ lag. Allerdings teilten wir eine

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