Es begann in der Abbey Road. George Martin
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Ich empfand das als nicht sonderlich intelligent, da sie den Umsatz freiwillig und absichtlich beschnitten. Am Ende zerbrach das Geschäftsmodell, und HMV-Platten waren überall zu kaufen. Das aber führte zu einer massiven Auseinandersetzung mit der EMI. Ein Mann, der den alten Zeiten partout nicht Lebewohl sagen wollte, empörte sich so sehr, sodass der letzte Ausweg für ihn in einer Kündigung bestand. So eine Entscheidung mag aus heutiger Sicht dumm anmuten, belegt und betont jedoch den starken Wunsch der Menschen, ihre Individualität beizubehalten.
1952 war die Zeit für mich reif, meine Identität zu suchen. Ich schlug Peter Ustinov vor, gemeinsam mit meinen Kollegen von der London Baroque Society eine Platte zu machen. Peter war das Enfant terrible der britischen Schauspielzunft, unsere Antwort auf Orson Welles. Da er das Publikum immer mit seiner sogenannten „Mundmusik“ erheiterte, entschieden wir uns für die doppelseitige Single „Mock Mozart“/„Phoney Folk Lore“. Die A-Seite beschreibe ich gerne als dreiminütige Mini-Oper von Peter. Ich kategorisierte die Produktion unter dem Überbegriff „The Voices And Noises Of Peter Ustinov“. Peter sang alle Teile, also Sopran, Altstimme und Tenor, und wurde von Anthony Hopkins auf dem Spinett begleitet.
Das Ganze entwickelte sich zu einem kleinen Abenteuer. Natürlich verfügten wir damals noch über keine Mehrspurtechnik. Da er im Grunde genommen ein vierköpfiges Ensemble imitieren musste, war Peter gezwungen, mit sich selbst zu singen. Dazu benutzten wir zwei Bandmaschinen und mischten dabei gleichzeitig. Natürlich war das alles noch in Mono, wodurch wir natürlich Generationen an Aufnahmequalität verloren. „Generationen“ bedeutet das prozentuale Verhältnis zwischen Signal und Geräusch. An dieser Stelle sollte ich den technisch eher Desinteressierten etwas über den mechanischen Aufnahmeprozess erklären. Die Aufnahmequalität wird von der Qualität/Quantität der Moleküle des Bandes an sich bestimmt. Das Verhältnis des ursprünglichen Signals zum Hintergrundrauschen – damit meine ich die kaum wahrnehmbaren Geräusche des Bandes, die durch den rein physischen Prozess des Anliegens am Tonkopf entstehen – bestimmt das Endresultat.
Das Verhältnis des ursprünglichen Signals, also der Tonquelle, zum Hintergrundrauschen verändert sich durch den mechanischen Abrieb, verkleinert sich also zugunsten des Hintergrundrauschens. Während bei der ersten Aufnahme das Rauschen noch eindeutig im Toleranzbereich liegt, nimmt es bei einer erneuten Aufnahme auf ein anderes Band zu. Je öfter dieser Prozess wiederholt wird, desto stärker hörbar wird das Phänomen. Jede weitere Aufnahme verschlechtert also das gewollte Tonsignal und verstärkt die Störgeräusche um den Exponenten 2. Bei zwei Aufnahmen wird das Rauschen viermal höher, bei drei Aufnahmen sogar neunmal. Dieser Faktor verringerte sich deutlich mit der Entwicklung der Bandaufnahmetechnik, da technisch ausgefeiltere Tonköpfe, ein leichterer Druck des Bandes gegen den Tonkopf und vor allem deutlich besseres Bandmaterial zu klanglich besseren Ergebnissen führten. Im Fall von Ustinov nahmen wir vier Mal auf, und darum verstärkte sich das Rauschen sechzehnmal. Doch ein Großteil des Publikums hört die Geräusche noch nicht mal. Ich glaube zudem, dass die Käufer der Platten noch nicht ahnten, dass der Hintergrundpegel so hoch war. Allerdings würde es den heutigen Hi-Fi-Puristen sicherlich auffallen.
Nun standen wir noch vor einem zusätzlichen Problem. Obwohl die Theorie der mehrfachen Stimmen machbar anmutete, ergab sich bei den Aufnahmen ein Problem. Ich fand heraus, dass Peter im Studio Schwierigkeiten hatte, zu der schon mitgeschnittenen Spur, auch „Track“ genannt, seines Gesangs zu singen. Wie viele andere war er ein „Kopierer“. Um synchron zu der ersten Stimme zu singen, musste er sie zuerst hören und setzte zeitlich versetzt kurz danach an – was natürlich zu spät ist.
Somit arbeiteten wir in kleinen Häppchen. Ich hetzte ständig vom Regieraum zu Peter und zurück. Zwischendurch gab ich ihm Anweisungen: „Hör zu, Peter. Bitte sing diesen Teil ti dum, ti dum, ti dum – und beginn exakt, wenn ich dir mit meiner Hand ein Signal gebe.“ Somit konnte er den genauen Anfangspunkt der Phrase erkennen und passend dazu die Melodie singen.
Es war ein beschwerlicher, langer und mühseliger Arbeitsprozess, der sich aber letztendlich auszahlte. Die Produktion der B-Seite hingegen viel uns wesentlich leichter, da Peter seine „Party-Stückchen“ imaginärer Folk-Songs zum Besten gab.
Doch dann stand die monatliche „Ergänzungs-Besprechung“ der EMI an. Bei „Mock Mozart“ angelangt, richteten sich alle Augen auf mich. Purer Horror machte sich auf den Gesichtern der Kollegen breit. Die Kommentare folgten schnell.
„Was ist das, George?“
„Peter Ustinov!!??“
„Was hast du dir nur dabei gedacht, George?“
„Das ist doch blanker Unsinn. Niemand hat bislang so eine Platte produziert.“
Oscar unterstütze mich, so gut es nur ging, doch die anderen dachten anscheinend, ich sei verrückt geworden. Ich musste mich mit jedem einzelnen der Kollegen herumschlagen, um sie davon zu überzeugen, dass die Platte eine Chance hatte. Die Veröffentlichung stand auf der Kippe, doch nachdem sie auf den Markt gekommen war, zahlte sich mein Wagemut aus. Eine Woche nach Veröffentlichung rief mich der Geschäftsführer von HMV aus der Oxford Street an und fragte: „Diese Peter-Ustinov-Platte – haben Sie die produziert?“
„Ja“, antwortete ich kleinlaut und wartete darauf, gegen was für einen Angriff ich mich jetzt zur Wehr setzen musste.
Doch er überraschte mich: „Können Sie mir möglicherweise bei der Beschaffung weiterer Exemplare behilflich sein? Ich haben schon 200 Stück verkauft und kann nirgendwo nachbestellen.“
(Der Geschäftsführer war übrigens zufälligerweise Ron White, später Manager des EMI-Verlags.)
Mit dem Lächeln eines Siegers ging ich zu meinen „Meistern“ und rieb ihnen die Neuigkeiten genüsslich unter die Nase. „Ihr habt viel zu wenig Platten gepresst.“ Ich glaube, dass die Erstauflage 300 Exemplare betrug. Als die Nachpressung gefertigt war, sank die Nachfrage unglücklicherweise. Schon wieder eine Lektion gelernt! Am heutigen Standard gemessen, klingt die Auflagenhöhe von 300 Platten lächerlich gering, doch damals gab es Produktionen, von denen sich vielleicht nur 180 Stück absetzen ließen. Trotzdem rechnete sich das aus ökonomischer Perspektive, da die Aufnahmekosten gering waren, ganz im Gegensatz zu den tatsächlich sehr hohen Endverbraucherpreisen.
Dazu kam noch, dass ein Künstler wie Peter keinen Vorschuss erhielt. Er bekam Tantiemen in Höhe von 5 %, damals die höchste Umsatzbeteiligung. Der größte Kostenfaktor bestand im Mieten des Spinetts, was uns 15 £ kostete, und in der Gage für Anthony Hopkins, die mit einer vergleichbaren Summe zu Buche schlug. Zur Kostendeckung musste man also nur 200 oder 300 Platten zu je 7 Schilling an dem Mann bringen.
Die Plattenproduktion mit Peter stellte eine Ausnahme von der Regel dar, da die meisten Künstler – besonders Sänger – Exklusivverträge mit den Plattenfirmen abgeschlossen hatten. Bedeutende Interpreten bekamen Verträge mit einer Laufzeit von zwei Jahren, möglicherweise um eine Option für weitere drei Jahre ergänzt. Der Vorteil für diese Interpreten bestand in der Zusage von regelmäßigen Veröffentlichungen, die sich natürlich finanziell niederschlugen. Einige erhielten eine Tantiemenvorauszahlung (allerdings musste man für so eine Vertragsklausel schon ziemlich erfolgreich sein), da die EMI mit ihren Künstlern in finanzieller Hinsicht ähnlich wie mit dem Personal umsprang – und dementsprechend knauserig war. Die durchschnittliche Bezahlung pro Platte lag bei einem Penny, die höchste Entlohnung bei einer 5-prozentigen Beteiligung. So ließ sich natürlich die mangelnde Verbundenheit der Künstler mit der Firma erklären.
Die Vielfalt der Interpreten beeindruckte mich immer wieder. In derselben Woche nahm ich Bob und Alf Pearson auf („My Brother And I“ war ihr großer Hit), Dick