Es begann in der Abbey Road. George Martin
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Ärgernisse in der Art waren von Sir Thomas Beecham nie zu erwarten. Der nette Mann wohnte ganz in der Nähe und nahm gelegentlich bei uns auf. Zum Mittagessen ging er zu McWhirters, dem Arbeiterimbiss nebenan, und nicht in das Nobelrestaurant die Straße hoch. Dort servierte man Hausmannskost. Der Lunch kostete 3 Schilling und 9 Pence und 3 Pence extra, wenn man die Fleischbeilage wünschte.
An einem dieser Tage bat er die Serviererin um die Weinkarte. „Wir haben keinen Wein, mein Lieber. Ich kann Ihnen aber gerne eine gutes Glas Tizer holen.“ Ihn störte es nicht, denn er war ein bodenständiger Mensch, ganz im Gegensatz zu Malcolm Sargent. Der forderte stets Sandwiches mit geräuchertem Lachs und Champagner. Als Star mochte er es, sich vom Fußvolk abzuheben, wohingegen Beecham es genoss, sich unter den „einfachen“ Menschen zu bewegen.
Sargent hatte sich den Spitznamen „Flash Harry“ „eingefangen“. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem wir eins von Beethovens Werken probten. Als er nicht im Studio war, hatte jemand die Noten für „I’m Just Wild About Harry“ auf sein Notenpult gelegt. Er kam zurück, nahm sie in die Hand und sagte: „Ich schätze mal, dass bezieht sich auf einen berühmten Dirigenten, hier ganz in der Nähe, oder etwa nicht?“
Ein weiterer Dirigent, mit dem ich arbeitete, war Charles Mackerras. Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als wir als Oboisten im Ensemble für Don Giovanni im berühmten Theater Sadler’s Wells spielten. Die Gruppe musste über die Bühne marschieren und unter den Augen des Publikums auf einem Balkon spielen, wurde aber vom Orchestergraben aus dirigiert. Wir trugen Perücken und ein Wams und erhielten dafür sogar zusätzlichen Lohn, was mir damals nur recht sein konnte. Charles und ich waren die einzigen Oboisten der Gruppe, mit dem Unterschied, dass er das Instrument um Längen besser beherrschte. Mein Spiel ließ sich höchstens als mittelmäßig umschreiben, doch er verhielt sich immer freundlich und hilfsbereit. Zu der Zeit befand er sich noch im Sadler’s Wells in der Ausbildung zum Dirigenten. In seiner Freizeit sammelte er die Musik von Gilbert and Sullivan, die er sehr mochte.
Als die Rechte an den Werken von Arthur Sullivan gemeinfrei waren, machte Charles den brillanten Schachzug, verschiedene Stück aus diversen Opern zusammenzustellen und sie für ein Orchester zu arrangieren. Darüber hinaus engagierte er sich bei der Produktion eines Balletts, das auf Sullivans Musik basierte. Es hieß Pineapple Poll, wurde ein Riesenerfolg und unverzüglich von Len Smith für Columbia aufgenommen, der dabei das Covent Garden Orchestra einsetzte.
Oscar war völlig aufgebracht: „Du kennst Charles Mackerras“, beschimpfte er mich anklagend. „Warum hast du uns nicht Pineapple Poll gesichert?“
Ich fühlte mich schuldig und antwortete: „Ich wusste, dass er sich mit einer Produktion beschäftigte, dachte aber nicht näher darüber nach.“
Oscar versuchte das Beste aus dem Missgeschick zu machen, indem er das Werk mit dem Sadler’s Wells Orchestra unter der Leitung von Charles Mackerras aufnahm, doch die Platte war nicht annähernd so gut.
Es war typisch für die EMI, dass verschiedene Labels die gleichen Werke vertonen durften. Obwohl sich unsere Büros alle im selben Gebäude befanden – Len Smith arbeitete in Räumlichkeiten, die direkt über den Flur lagen –, bekämpften sich die Labels wie Rivalen. Alle vier Wochen trafen sich die Kontrahenten bei der sogenannten „Ergänzungs-Besprechung“, um sich darüber zu unterhalten, welche Aufnahmen für den kommenden Monat angesetzt wurden. Der eigentümliche Name dieser Meetings beruhte darauf, dass die in Frage kommenden Titel eine Ergänzung zum Gesamtkatalog darstellten. Oscar hegte ein unvergleichliches Misstrauen gegen Walter Legge von Columbia und wartete darauf, dass Walter den Produktionsplan vorstellte. Erst danach enthüllte er sein angepeiltes Programm. Und dafür gab es einen guten Grund. Falls Oscar kundgetan hätte, dass er eine Aufnahme des Sinfonia Concertante von Dittersdorf für den nächsten Monat plante, wäre folgende Antwort von Legge symptomatisch gewesen: „Das tut mir so leid, mein Lieber, jedoch ließ ich sie erst vor wenigen Tagen aufzeichnen. Ich habe sie nur noch nicht veröffentlicht, weil ich über stilistisch ähnliche Werke im Überfluss verfüge.“ Das war natürlich vollkommener Unfug. Hätte Legge die Idee so einer Aufnahme zugesagt, wäre er aus dem Konferenzzimmer geschlichen, hätte die Produktion durch einige schnelle Telefonanrufe fixiert und sich gleichzeitig eine Feder für seinen Kopfschmuck verdient. Da Oscar das Prozedere schon einige Male erlebt hatte, war er durch die Erfahrungen klüger geworden.
Neben den Meetings versammelten sich die einzelnen Labels zu einem monatlichen Verlagstreffen. Dabei hörten wir die neuen Stücke. Damals verfügten Interpreten und Verleger über keine Homerecording-Möglichkeiten, und so besuchten uns die verschiedene Vertreter – gebucht von Judy in 15-minütigen Intervallen – und sangen und klimperten uns ihre aktuellen Werke auf dem großen Flügel (der stand in unserem Büro) im guten, alten Tin-Pan-Alley-Stil vor. Wir machten uns Notizen und behielten Kopien der Noten. Ich hatte meinen Spaß dabei, da es mich an die Zeit der Varietés erinnerte und in der Tradition von George Gershwin stand, der als unbekannter Künstler auch seine Stücke feilbieten musste. Es lässt sich überhaupt nicht mit den polierten und durchproduzierten Demobändern vergleichen, die man uns heute präsentiert.
Da die Besprechungen vormittags stattfanden, hatte ich den Nachmittag für Aufnahme-Tests im Studio 2 zur Verfügung. Jede halbe Stunde kündigte sich ein neuer Interpret an. Damals verfügte Judy über ein wesentlich größeres Wissen über Pop und Jazz als ich. Sie nahm sich manchmal frei, flog in den Pariser Blue Note Club und hatte ihren Spaß mit dieser Szene.
Verglichen mit heute war das Geschäft meist weniger dramatisch, sensationsheischend und aufgesetzt. Es war ganz einfach Arbeit, obwohl eine höchst interessante, von der die Menschen, die sich außerhalb dieses Kreises bewegten, so gut wie gar nichts erfuhren. Kaum jemand hielt den Job eines Plattenproduzenten für erstrebenswert, was im eindeutigen Gegensatz zu heute steht, wo sich alle darum reißen und ihnen jedes Mittel recht ist, um sich zu etablieren.
Sogar die Rivalität unter den diversen Sub-Labels der EMI kann noch als gentlemanlike bezeichnet werden. Wir schnüffelten niemals nach Büroschluss in den Aktenordnern der anderen herum, um einen Vorteil zu erlangen, um zu wissen, was bei ihnen vor sich ging. Es bestand eher eine Parallele zum Automobilhersteller British Leyland, wo man leicht einen Mitarbeiter finden konnte, der auf seine Firmenzugehörigkeit stolz war: „Einmal ein Austin-Mann, immer ein Austin-Mann“. Auf uns übertragen hieß dass dann: „Einmal ein Columbia-Mann, immer ein Columbia-Mann.“
Dennoch hütete Oscar sein Täubchen Parlophone wie eine Henne ihre Küken (wenn dieser Vergleich ornithologisch überhaupt zulässig ist). Niemand durfte seinem Label zu nahe kommen. Allerdings gab es zeitweise nicht viel Arbeit bei Parlophone, da die Firma nach dem Krieg viele Interpreten verloren hatte. Einige Künstler wurden von Label zu Label verschoben, und so führte Oscar auch Produktionen für Columbia durch, da er bestimmte Musiker noch von Parlophone kannte und sie ihm ans Herz gewachsen waren. Zum Beispiel nahm er Robert Wilson auf, der eigentlich zu HMV gehörte.
Allerdings bestanden einige unumstößliche Gesetze. Parlophone produzierte niemals ein Musical, denn dieses Genre betreute HMV exklusiv. Die Differenzierung der Labels erstreckte sich sogar bis in die Geschäfte. Heutzutage werden Schalllatten überall verkauft. Damals konnte man Tonträger nur in Fachgeschäften erwerben, die wiederum nur ein Label vertrieben – ein Shop für HMV, ein anderes Geschäft für Columbia und so weiter. Speziell HMV hegte einen regelrechten Standesdünkel und war stolz auf ihre Läden. HMV-Platten