Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson

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Unbestreitbare Wahrheit - Mike  Tyson

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kam und ein paar Sekunden Stille herrschte. Genau in diesem Augenblick klopften wir dann alle ans Fenster und brüllten „Cus, Cus!“ In einer Tausendstel Sekunde vollzog Cus eine 180-Grad-Drehung, ließ sich auf den Boden fallen, stützte sich mit der linken Hand ab und war bereit, mit der rechten Hand hochzuschnellen, um den Eindringling niederzuschlagen. Wir bogen uns vor Lachen.

      Einmal ging einer der Sparringspartner, die in Cus’ Haus wohnten, abends aus, um die Nacht in der Stadt zu verbringen. Tom und ich wachten am nächsten Morgen früh auf und gingen hinunter zum Frühstück. Wir warfen einen Blick ins Wohnzimmer, und Cus lag auf dem Boden und robbte, mit dem Gewehr in der Hand, ganz stilecht vorwärts. Der Typ war nach Hause gekommen und hatte ans Fenster geklopft, aber Cus nahm vermutlich an, irgendein IBC-Mitglied sei hinter ihm her. Tom und ich stiegen über ihn, um uns in der Küche ein Müsli zu genehmigen.

      Es gibt unzählige solcher Storys über Cus. Er war einfach einmalig und eine schillernde Persönlichkeit. Aber die beste Beschreibung von Cus hörte ich in einem Interview, das der große Schriftsteller Gay Talese einem jungen Mann, Paul Zuckerman, gab, der Recherchen über Cus anstellte, um eine Biografie über ihn zu schreiben.

      „Er war ein römischer Krieger, der 2.000 Jahre zu spät zur Welt kam. Krieger lieben den Krieg, brauchen den Krieg, in dieser Atmosphäre fühlen sie sich am wohlsten. In Friedenszeiten halten sie sich für ruhelose und nutzlose Objekte. Sie machen gern viel Wirbel. Cus, wie auch Patterson, fühlten sich lebendig, wenn Verwirrung, Intrigen, Kampfstimmung herrschten. Dann war er voll gefordert, seine Nervenenden und sein Gehirn waren voll in Aktion, und wenn alles in Bewegung war, dann war er zufrieden. Wenn dies nicht zutraf, musste er eine entsprechende Atmosphäre schaffen oder alles dramatisieren, musste das Feuer schüren, um sich lebendig zu fühlen. Das gab ihm einen Kick. Er war ein Aktionist, benötigte Action.“

      Cus war ein General, und ich war sein Soldat. Und wir waren bereit, in den Krieg zu ziehen.

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      Ich war ein nutzloser Nigga, bei dem nicht mal Thorazin wirkte, und galt als geistig zurückgeblieben, und da kam dieser alte Mann, ein Weißer, und verpasste mir ein Ego. Einmal sagte Cus zu mir: „Mike, wenn du bei einem Psychiater im Sprechzimmer sitzt, und er fragt dich: ‚Hören Sie Stimmen?‘, antwortest du ihm: ‚Nein.‘ Aber die Stimmen flüstern dir zu, Nein zu sagen, ist es nicht so?“ Cus war ein tiefsinniger Mensch. Niemand hat mir je deutlicher zu Bewusstsein gebracht, dass ich ein Schwarzer bin. Er war so hartgesotten und sprach mit mir, wie es ein verbitterter Schwarzer getan hätte. „Mike, sie glauben, sie seien besser als du“, sagte er. Wenn er jemanden mit einem Fiat oder einem Rolls Royce sah, warf er mir einen Blick zu und sagte: „Den könntest du auch haben. Es ist nicht das Schwierigste im Leben, reich zu werden. Du bist diesen Leuten überlegen. Sie können nie und nimmer das tun, wozu du fähig bist. Du hast es im Blut. Meinst du, ich würde dir das sagen, wenn du’s nicht im Blut hättest? Vermutlich könnte ich dich zu einem besseren Boxer machen, aber ich könnte keinen Boxweltmeister aus dir machen.“

      Wow. Ich hatte immer angenommen, ich sei Scheiße, weil mir das meine Mutter immer wieder vorgeleiert hatte. Nie fand jemand ein gutes Wort für mich oder über mich. Und da kam dieser Kerl und sagte: „Ich wette mit dir, dass du einen Oscar gewinnen könntest, wenn du es versuchen würdest. Du wärst als Schauspieler bestimmt genauso gut wie als Boxer. Willst du Rennfahrer werden? Ich wette, du wärst der Beste der Welt, denn du bist cleverer und taffer als die anderen Jungs in dieser Branche. Du könntest überall Erfolg haben. Du darfst dir nie sagen, ich kann das nicht. Ich kann nicht, gibt’s nicht.“

      Wenn ich mutlos war, was häufig der Fall war, munterte mich Cus damit auf, mir eine exotische Welt voller Schätze vorzustellen. Alles, was er mir erzählte, war so fremd für mich, aber es gefiel mir.

      „Du brauchst nur auf mich zu hören“, sagte er. „Menschen königlicher Abstammung werden deinen Namen kennen. Junge, hörst du mir auch zu? Die ganze Welt wird erfahren, wer du bist. Der Name deiner Familie wird in aller Munde sein. Man wird deine Mutter, deine Familie, deine Kinder respektieren. Wenn du einen Raum betrittst, werden die Leute aufstehen und dir Beifall spenden.“

      Cus würde mich nicht im Stich lassen. Wenn ich mutlos war und am liebsten aufgegeben hätte, gab er mir neuen Mut. Cus predigte immer: „Meine Aufgabe besteht darin, die Schäden, die dein wahres Talent daran hindern, sich zu entfalten und dein Potenzial zu verwirklichen, Schicht für Schicht abzutragen.“ Er vollzog diesen Schälungsprozess an mir, und es tat weh. Ich schrie: „Lass mich allein. Aarggh!“ Er quälte meinen Geist. Er beobachtete mich beim Training mit einem älteren Jungen, und ich bildete mir ein, ich sei müde, und schlug deshalb nicht zurück. Mein Kontrahent drangsalierte mich. Später redete Cus mit mir darüber, konfrontierte mich mit meinen Ängsten. Er war ein Perfektionist. Ich trainierte am Sandsack alle möglichen Schläge, und Cus stand da und beobachtete mich.

      „Es ist gut, aber es ist nicht perfekt“, murmelte er in seinem breiten Bronx-Slang.

      Cus wünschte sich den gemeinsten Boxer, den Gott je erschaffen hatte, jemanden, der seine Gegner zu Tode erschreckte, noch bevor diese in den Ring stiegen. Er brachte mir bei, mich innerhalb und außerhalb des Rings wild und brutal zu verhalten. Zu der Zeit brauchte ich das. Ich war so unsicher, so ängstlich. Als kleines Kind war ich von Menschen traumatisiert worden, die immer auf mir herumhackten. Ich hasste diese Demütigung, schikaniert zu werden. Dieses Gefühl lässt einen den Rest des Lebens nicht mehr los. Sie werden es nie vergessen, sowas vergisst man nie, denn dies hinterlässt ein übles Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Deshalb vermittelte ich diesen Leuten immer den Eindruck, dass ich ein gemeiner, wilder Scheißkerl sei.

      Aber Cus vermittelte mir das Selbstvertrauen, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, je wieder schikaniert zu werden. Ich wusste, niemand würde sich je wieder physisch mit mir anlegen.

      Cus war viel mehr für mich als nur ein Boxtrainer. Er brachte mir so viel Wertvolles bei. Er war wie ein Guru und sagte immer Dinge, die mich zum Nachdenken brachten:

      „Egal, was jemand sagt, egal, welche Entschuldigung oder Erklärung dieser vorbringt, das, was er letztlich tut, entspricht dem, was er eigentlich schon immer tun wollte.“

      „Nun, ich bin kein Gott, ich entdecke nur und decke auf. Meine Aufgabe besteht darin, den Funken zu entzünden, das Feuer zu schüren, bis es lichterloh brennt.“

      Selbst in den banalsten Situationen verhielt er sich weise. Camille war immer darauf bedacht, dass die Jungs im Haus ihre Aufgaben erfüllten. Ich hasste Hausarbeit und war ganz auf mein Boxtraining konzentriert. Eines Tages sagte Cus zu mir: „Du weißt, Camille will unbedingt, dass du bei der Hausarbeit hilfst. Wenn du sie machen würdest, müsste ich mir weniger Gedanken machen. Es könnte mir egal sein, aber das trägt auch dazu bei, dich zu einem besseren Boxer zu machen.“

      „Wie soll ich ein besserer Boxer werden, wenn ich den Müll raustragen muss?“, spottete ich.

      „Etwas zu tun, was man hasst, ist eine gute Vorbereitung für jemanden, der nach Größe strebt.“

      Danach musste Camille mich nie wieder an meine Pflichten im Haushalt erinnern.

      Eines Tages rief mich Cus in das Zimmer, in dem er sich gerade aufhielt.

      „Hast du Angst vor Weißen?“, fragte er unvermittelt. „Gehörst zu der Sorte? Hast du Angst vor Schnauzern und Bärten? Ich kannte schwarze Boxer, die Angst davor hatten, weiße Kontrahenten zu schlagen. Du gehörst besser nicht dazu.“

      Es war seltsam. Cus sagte mir freiweg, ich solle mich nicht einschüchtern lassen, aber die Art, wie er mir das vermittelte, schüchterte mich ein.

      Cus

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