Rave On. Matthew Collin

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Rave On - Matthew Collin

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nicht so irre ist. Vielmehr schäumt er vor berechtigter Wut und versucht, zurückzuschlagen – mit allem, was er in die Hände bekommt. Mad Mike Banks sieht sich nicht nur als zwanghaften Verkünder unbequemer Wahrheiten, sondern auch als militanten Techno-Kämpen und Verfechter wirtschaftlicher Autarkie. Sowohl seine Crew als auch seine Plattenfirma tragen den Namen Underground Resistance. Dabei handelt es sich um ein Kollektiv junger schwarzer Männer aus Detroit, die sich zusammen auf einer Mission in unbekannte Klangwelten befinden, ganz egal, wohin sie diese letztlich führen wird. Seine Ideologie, so erklärt er, besteht darin, sich völlig unabhängig vom Musikbusiness zu bewegen, indem man seine eigenen Netzwerke und Systeme erschafft, um das langfristige Überleben von Underground Resistance zu sichern sowie seine kreative Identität bewahren zu können. In anderen Worten: Es handelt sich um einen Versuch, tunlichst zu vermeiden, dass sie jemals wie so viele andere junge kreative Schwarze vor ihnen übers Ohr gehauen werden.

      Dies ereignete sich im Januar 1992, im tiefsten Winter. Obwohl die Sonne schien, war das Thermometer an diesem erbarmungslosen Mittwintertag auf 19 Grad unter Null gefallen. Als wir so dahinfuhren, begaben wir uns auf wahrlich surreales Terrain und drangen in eine dystopische Landschaft ein, in der ganze Häuserblöcke einfach abgerissen worden waren – so wie ein trotziges Kind einen ganzen Landstrich aus Lego-Steinen plattmacht. Langsam, so schien es, eroberte dort die Natur die Umgebung zurück. Schritt für Schritt verwandelte sich die Gegend in eine Art urbaner Prärie. Ein Bild, das oft mit der mysteriösen „Zone“ aus Andrei Tarkowskis Sowjet-Sci-Fi-Klassiker Stalker verglichen wird: ein Ort, an dem die normalen physischen Gesetze ihre Gültigkeit eingebüßt zu haben scheinen. Nichts, auch keine Fotografie, hätte einen wirklich auf die Ruinen von Detroit vorbereiten können – außer man stammte vielleicht aus einem Krisengebiet, gezeichnet von kriegerischen Auseinandersetzungen. Es überstieg schlichtweg die Vorstellungskraft eines Westeuropäers. Tatsächlich wirkte es gleichzeitig auf provokante und steinerweichende Art und Weise monströs, aber eben auch äußerst faszinierend.

      Die einzigen Einrichtungen, die hier offenbar regen Zulauf verzeichnen konnten, waren einerseits die Kirchen, die himmlische Erlösung versprachen, und andererseits die Schnapsläden, die eine raschere Linderung irdischer Leiden versprachen. Als die soziale Anatomie der Stadt zunächst zu eitern und dann sogar abzusterben begann, machten sich ein paar ihrer eigentlichen Beschützer mitschuldig an ihrem Untergang. So wurde etwa dem Polizeichef vorgeworfen, sich aus einem Fond zur Bekämpfung von Drogenmissbrauch bedient zu haben, während, wie mir erzählt wurde, ein Teil seiner Einsatzkräfte entlassen wurde, weil nicht genug Geld zur Verfügung stand, um sie zu bezahlen. „Crack fraß ein Loch in die Stadt“, erklärte mir Banks einige Jahre später. „Sie luden das Crack und die Waffen hier ab und das führte mehr oder weniger zu einer Art Apokalypse – einem von rechtsaußen betriebenen verdeckten Genozid.“

      Wir kommen nahe an jener Stelle vorbei, wo einst die inzwischen abgerissene illegale Soul-Kneipe stand, in der 1967 die Unruhen ausbrachen, nachdem die Polizei eine Party zu Ehren zweier schwarzer GIs, die gerade aus Vietnam heimgekehrt waren, aufgelöst hatte. Schließlich erreichen wir den West End Boulevard. Hier befand sich einst die Geschäftszentrale von Motown, die nun ein Museum zu Ehren des Geschäfts-Genies Berry Gordy und seines Kaders ruhmreicher Stars beherbergt. Das Schild vor dem Eingang verspricht nicht zu viel: „Hitsville USA“. In dem erhaltenen Kellerstudio deutet Banks aufgeregt auf ein Spielzeugklavier, das bei einigen Motown-Hits in den Sechzigerjahren als Soundeffekt zum Einsatz kam: „So wie bei Techno schnappten sie sich allen möglichen alten Kram, der so herumlag, um ihn zu benutzen“, schwärmt er.

      Underground Resistance zählten zu Detroits zweiter Techno-Welle, die auf dem aufbaute, was in den Achtzigerjahren von den Impulsgebern des Genres –

      Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson – aufgebaut worden war. In den frühen Neunzigerjahren galten UR als heftigstes Motor-City-Package seit Iggy and the Stooges. Bei ihren Live-Auftritten glichen sie einem paramilitärischen Einsatzkommando, ganz in Schwarz mit maskierten Gesichtern, um ihre Identitäten geheimzuhalten. Wenn sie live durch die Clubs dröhnten, fühlten sich Tracks wie „Sonic Destroyer“ und „The Punisher“ an, als würden sie einem den Brustkorb zerquetschen können. Sogar Kevin Saunderson, ein Mann, der für seinen brutalen Drumsound und unerbittlichen Bass berühmt war, ließ mich wissen, dass sie ihn beim ersten Hören in Erstaunen versetzten: „Sie waren so heavy, dass sie mich richtiggehend schockiert haben“, sagte er. „Ich hätte nicht geahnt, dass irgendwer in Detroit so einen harten Sound hervorbringen würde – schon gar nicht zwei schwarze Jungs. Es erwischt einen ganz unvorbereitet.“1

      Ich hatte mich an jenem Tag schon vorab mit Banks und Mills im Büro von UR verabredet. Es handelte sich dabei um ein spartanisch gehaltenes Ambiente, das wenig mehr zu bieten hatte als einen Schreibtisch, auf dem ein Telefon stand, sowie eine Weltkarte, die an die Wand gepinnt war. Auf der Karte war Südafrika, das zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1992 immer noch unter der Kontrolle von F.W. de Klerks weißem Minderheitsregime stand, mit einem Filzstift übermalt worden. Auf dem nunmehr schwarz einkolorierten Hintergrund prangte ein einziges, auf Kopierpapier ausgedrucktes Wort: „RIOT“ – Aufruhr.

      „Ein Aufruhr ist die Sprache der Unerhörten“, sagte Martin Luther King einst. Der ehemalige MC und „Informationsminister“ von UR, Robert Hood, beschreibt die Crew als Kinder jenes Aufruhrs, der Detroit 1967 erschütterte, angetrieben von einem dringlichen Aufruf, Maßnahmen zu ergreifen, inspiriert von ihrem Hass auf Ungerechtigkeit und kollektivem Zorn auf jene Stadt, die vor ihren Augen zerfiel. „In dieser Zeit wütete das Crack. Da gab es jede Menge Entlassener aus der Automobilindustrie. Familien fielen auseinander und wurden von der Drogenepidemie erfasst. Alleinstehende Mütter mühten sich ab, um ihre Kinder über die Runden zu bringen. Dann waren da noch die Drogengangs, die langsam überhandnahmen. Es gab Drive-by-Schießereien und Autoentführungen. Während Schulen geschlossen wurden, öffneten immer mehr Gefängnisse ihre Pforten“, erörtert Hood. „Wir beobachteten, was da so abging. Wir konnten den Druck spüren. Die Stadt implodierte. Man konnte fühlen, wie sich die Schlinge um die Stadt zuzog und dass Politiker nichts mit Detroit zu tun haben wollten. Die Stadt wurde abgeschrieben. Wenn man sich also Tracks wie ‚Riot‘ von Underground Resistance aus dem Jahr 1991 anhört, vernimmt man den Schrei Detroits, ausgelöst durch den Druck einer rassistischen Gesellschaft, die die Stadt umgibt und von innen heraus ausbluten lässt.“

      Ihr brandstifterischer Sound wurde durch dieses verdorbene Umfeld geprägt, wie schon Mike Banks während unserer Tour durch die Stadt an jenem Nachmittag im Winter 1992 veranschaulicht hatte. Doch so wie Sun Ra, George Clinton und viele andere afrofuturistische Musiker – darunter auch Detroiter Techno-Pioniere wie Juan Atkins –, träumten auch er und seine Mannen davon, die irdischen Fesseln abzustreifen und in interstellare Welten zu flüchten, die frei von Vorurteil und Unterdrückung waren. Es waren diese Visionen, die Mike Banks unter dem Künstlernamen The Martian auf seinem anderen Label Red Planet mit Tracks wie „Cosmic Movement“ und „Star Dancer“ auszuleben versuchte.

      Die Reaktion von UR auf die wirtschaftlichen Unbilden, die sie ringsum wahrnahmen, bestand darin, ihre Unabhängigkeitserklärung zu formulieren. So entwickelten sie eine Philosophie ökonomischer Autarkie, die jemandem wie Berry Gordy bekannt vorgekommen sein muss und ihnen sowie anderen, die sie in den folgenden Jahrzehnten nachahmten, gut zu Gesicht stehen sollte. „Wir begriffen, dass schwarze Musiker in den Vierziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahren ausgebeutet und von Vertretern der Musikindustrie, die gerissen genug waren, diese Künstler und ihre mangelnden Kenntnisse der Branche auszunutzen, im Stich gelassen worden waren“, erklärt Hood. „Wir konnten unsere eigenen Platten machen, uns selbst ums Artwork und den Vertrieb kümmern. Wir mussten uns vor keiner höheren Macht verantworten. Wir konnten alles selbst machen und dabei eigenständig agieren. Das war eine Guerilla-Denkweise. Niemand würde uns vorschreiben, was wir zu tun hätten, wie wir den Vertrieb oder die Vermarktung regelten. Niemand kontrolliert unsere Musik. Wir bestimmen, was Sache ist.“

      Ihre Musik war aber auch eine Reaktion auf die Kommerzialisierung afroamerikanischer Kultur, wie Banks mir 1992 mitteilte. Er fühlte sich abgestoßen von den erwartungsfrohen

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