Rave On. Matthew Collin
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„Weißt du, Geld ist eine Sache, aber Seele eine andere.“
Prince, während eines Radio-Interview mit The Electrifying Mojo, 1986
Von Anfang an sahen sich die Belleville Three als Reisende auf einer Mission, ein neues Landschaftsbild zu erschaffen. So wie die anderen ihre Ära bestimmenden schwarzen Musiker, die zur gleichen Zeit aufkamen, Public Enemy und ihr Produktionsteam, die Bomb Squad, bezogen sie ihre Inspiration zum Teil aus Science-Fiction – einer von einer Parallelwelt handelnden Literatur, in der die brutale rassistische Geschichte der USA vielleicht gar nie so passiert wäre. „Die ursprüngliche Essenz bestand aus schwarzem Futurismus und schwarzer Science-Fiction“, erklärt Alan Oldham. „Ich war ein Fan von Comicbüchern. Dann gab es da noch Typen wie Juan Atkins, die Sci-Fi-Fans waren. Viele meiner Freunde fuhren auf Star Trek ab. Und als Star Wars ins Kino kam, war ich gerade in der achten Klasse. Alle waren total verrückt danach.“
Der US-Bundesstaat Michigan verfügt über eine lange Tradition darin, der Zukunft den Weg zu bereiten. Das zieht sich von der Einführung der Fließbandmassenproduktion durch Oldsmobiles bis hin zu Berry Gordys Hitfabrik Motown durch. Doch Techno spiegelte auch die Epoche, in der die Belleville Three lebten, gut wieder. „Zukunftsvisionen sagen in Wahrheit viel über die Gegenwart aus – und die Vorstellungen von der Zukunft ändern sich ganz abhängig von der jeweiligen Ära“, erörtert der Manager und gelegentliche Sänger der Underground-Resistance-Crew, Cornelius Harris. „Das bezieht sich stets darauf, wo die Menschen im Augenblick gerade stehen. Alles basiert dabei auf unseren Hoffnungen und Erwartungen.“
Für junge Schwarze, die in den Achtzigern in Detroit aufwuchsen, entsprach die Zukunft nicht jener optimistischen Fünfzigerjahre-Vision von alles erleichternder Haushaltstechnologie, Tagesausflügen zum Mars und frei verfügbaren Jetpacks. Vielmehr wirkte die Zukunft bedrohlich und bösartig – nicht unähnlich jener Welt, wie sie im dystopischen Sci-Fi-Film Robocop gezeigt wurde, der damals rund um Detroit gedreht wurde. „Wenn du einen Blick auf die Achtziger wirfst, die Zeit, in der Techno aufkam, dann waren sie geprägt von Aids und von Crack, das seinen Weg in die Viertel fand. Es herrschte Rezession und die Kriminalitätsrate war so hoch wie nie. Ich kann mich sogar an eine Nachrichtenreportage erinnern, in der es hieß, dass in der Zukunft der durchschnittliche schwarze Mann in der Stadt keine 24 Jahre alt werden würde“, erzählt Harris. Techno, so meint er, sei ein Versuch gewesen, sich ein anderes potenzielles Szenario herbeizuträumen. „Statt alles als gegeben hinzunehmen, malten sich diese Typen eine ganz andere Zukunft für sich aus. Statt erschossen, drogenabhängig oder zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden, machten sie diese großartige Musik und bereisten die Welt. Sie haben somit inmitten all dieser Negativität praktisch ihre eigene Zukunft ersonnen. Manchmal geschah das bewusst, manchmal unterbewusst, aber diese Jungs taten genau das Gegenteil von dem, was von ihnen erwartet worden war. Sie schufen sich ihre eigene Zukunft – und das in der angeblich übelsten Stadt des Landes.“
Sich einen Weg nach draußen träumen … Ich erinnerte mich an etwas, das Juan Atkins 1988 mir bei unserem Interview gesagt hatte. „Um das neue Detroit aufzubauen, müssen wir das alte Detroit niederreißen“, versicherte er mir. „Es ist so leicht, in dieser Stadt vom Weg abzukommen. Es ist so leicht, einen jungen schwarzen Mann zum Drogenkonsum und zu kriminellen Handlungen zu verführen. Hier gibt es ja sonst nichts zu tun. Man kann nirgendwo hingehen. Die Szene ist tot. Deshalb klingt unser Zeug auch so, wie es das nun einmal tut.“10
Atkins hat von Techno oft als eine Art alternativer Realität gesprochen – einem Portal eines imaginieren Reiches der Freiheit. Doch 1988 sagte er auch, er wäre der Ansicht, dass es notwendig sei, die Geschichte auszulöschen, um die Zukunft erschaffen zu können. „Wir beabsichtigen, alles zurückzuweisen, was uns an die Vergangenheit erinnert“, insistierte er. „Wir setzen uns nicht hin und sagen, dass wir möglichst schräge Musik machen wollen. Sie ist einfach ein Resultat der Umstände. Detroit ist eine postindustrielle Stadt. Die Industrie stellt den Betrieb ein und die Technologie rückt in den Vordergrund. Die Stadt ist ausgelaugt und unsere Musik erhebt sich wie ein Phönix aus der Asche der zerbröckelnden Industrienation.“11
Man kann es sich kaum mehr vorstellen, nun da Techno rund um den Erdball quasi allgegenwärtig ist und die Geräuschkulisse von Rolands 808- und 909-Modellen so vertraut geworden ist wie ein auf einer Gibson Les Paul angeschlagener Powerchord, wie schrecklich fremd und unglaublich radikal dieser Sound klang, als er auf den Labels von May, Atkins und Saunderson – Transmat, Metroplex und KMS respektive – zum ersten Mal unters Volk gebracht wurde. So wie die House- und Acid-Tracks, die ungefähr zur gleichen Zeit aus Chicago kamen, besaß er eine fesselnde Simplizität und transzendente Intensität, die einfach spannend war. Wie der Produzent Stacey Pullen, ein Vertreter der zweiten Detroiter Welle, vermutet, verfügten diese frühen Aufnahmen über die eigentümliche Fähigkeit, dem Verstand Räume zu eröffnen und den Hörer in esoterische Sphären zu entführen. „Sie ließen mich Dinge anders begreifen. Wie wir als Menschen sind und für welchen Weg wir uns entscheiden sollen.“12
Inspiriert oder direkt angezogen von den Belleville Three und Fowlkes betrat rasch eine zweite Generation die Bildfläche. Dazu zählten Leute wie Mays begnadeter Schützling Carl Craig, Mike Banks, Jeff Mills und Robert Hood von Underground Resistance sowie die Gebrüder Lenny und Lawrence Burden und deren Band Octave One. Von der anderen Seite des Flusses, aus Kanada, stießen Richie Hawtin und John Acquaviva dazu, die Plus 8 Records betrieben und Platten des Detroiter Newcomers Kenny Larkin veröffentlichten.
Das war schon eine beachtliche Ansammlung von Talent innerhalb einer so kurzen Zeitspanne, mit einem künstlerischen Elan ausgestattet, der sich oft im Design ihrer 12-Inch-Vinyl-Veröffentlichungen widerspiegelte. Ihre Anziehungskraft war faszinierend – als ob wir Übertragungen aus einem Paralleluniversum empfingen, wie ich einst, nachdem ich einen Stapel Platten in der Stadt erstanden hatte, staunend feststellte: „Oft verbergen sich in der Auslaufrille Botschaften der Künstler: ‚Gönn dir einen Trip zu einem höheren Bewusstseinszustand‘, ‚Die Bedürfnisse Vieler sind wichtiger als die Bedürfnisse Weniger oder eines Einzigen‘ oder ‚Glaubst du an Hexen?‘ Manche muss man verwirrenderweise von innen nach außen abspielen. Andere sind mit selbstgezeichneten Tiefseetauchern, Astronauten und abgefahrenen Grafiken übersät. Wiederum andere weisen überhaupt keine Informationen auf, nur ein schwarzes Label in einer schwarzen Tüte oder stahlblaues Vinyl in weißer Schrumpffolie.“13
Doch mit Anbruch der Neunziger hatten die Pioniere des Techno bereits die Entscheidungsgewalt über das Genre, das sie erschaffen hatten, verloren. Musiker auf der anderen Seite des Atlantiks ließen sich zwar gerne von ihnen inspirieren, schlugen aber ihre jeweils eigenen Richtungen ein. Dies führte zu einiger Unzufriedenheit in Detroit. Es fühlte sich an, als ob schon wieder schwarze Musik von weißen Europäern für deren Zwecke ausgebeutet würde. Angetrieben vom scheinbar unstillbaren Verlangen nach neuen Aufnahmen aus der rasch wachsenden Rave-Szene dieser Tage, entwickelten sich die Briten, Deutschen, Belgier und Niederländer zu fleißigen Techno-Produzenten. Ein paar von ihnen wie 808 State, A Guy Called Gerald, Baby Ford und LFO errangen den Respekt ihrer Detroiter Kollegen. Andere jedoch galten als käufliche Trittbrettfahrer, die außerdem, was noch viel schlimmer war, über keinerlei Soul oder Groove verfügten. „Es ist einfach nur verfälschte Musik“, beklagte etwa Derrick May. „Das ist einfach nicht funky.“
Der Umstand, dass die europäische Rave-Szene von Ecstasy befeuert wurde, verstörte ebenfalls so manchen Detroiter Musiker. Die meisten von ihnen ließen sich nicht auf Chemikalien ein und hatten kein Verständnis