Rave On. Matthew Collin

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Rave On - Matthew Collin

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eben über der Wasseroberfläche“, erklärt er, als wir auf der Dachterrasse seines Studios in der Gratiot Street sitzen, während langsam die Dämmerung über die Stadt hereinbricht. Die warme Abendluft fühlt sich sanft an und trotz heulender Polizeisirenen unten auf der Straße kann man immer noch verspieltes Vogelgezwitscher hören. Auf der anderen Straßenseite sind die Fenster, die Mays Studio gegenüberliegen, zugemauert worden. Im Erdgeschoss befindet sich ein Shop namens Cheap Charlies, in dem man Arbeiterklamotten aus zweiter Hand und Krimskrams für einen Dollar erstehen kann. An der Ampel stehen ein paar Reklamewände, auf denen unter anderem Cheeseburger und Kredite angepriesen werden. Die Zielgruppe scheint offensichtlich. Obwohl Eastern Market sich langsam zu einem der angesagtesten Viertel der Stadt mauserte – mit neuen Boutiquen und Hipster-Restaurants, die entlang des Techno-Boulevards eröffneten –, richteten sich die Werbeslogans nicht an die Wohlhabenden. Wir befanden uns nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, wo Zehntausende sich für die größte Rave-Party des Jahres versammelt haben. Allerdings gab es hier nur wenig Anzeichen für Leben – abgesehen von ein paar Stadtstreichern, die an diesem Freitagabend vorbeiflanierten.

      Als ich May 1988 zum ersten Mal interviewte, befand sich Detroit bereits seit Jahrzehnten in einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale. Dennoch war es mit einer Bevölkerung von ungefähr einer Million Menschen immer noch die siebtgrößte Stadt der USA. „Seventh City Techno“ lautete sogar die Überschrift der ersten großen Reportage über Techno, einem bahnbrechenden Artikel von Stuart Cosgrove, erschienen in der britischen Jugendkultur-Zeitschrift The Face. „Zehn Jahre nachdem Motown in wärmere Gefilde weitergezogen ist, bewegt sich die Motor City zu einem Beat, der eher aus Henry Fords Fabriken denn aus Berry Gordys Träumen entsprungen zu sein scheint“, versprachen die einleitenden Worte. „Techno ist der Sound des jungen Detroits: maschinell und von Verzweiflung getrieben.“ May belieferte Cosgrove für seinen Artikel mit seinem berühmtesten Zitat und beschrieb Techno als Sound, der klang „wie Kraftwerk und George Clinton, die in einem Fahrstuhl feststeckten – und nur ein Sequenzer leistet ihnen dabei Gesellschaft“.17

      Seit fast 25 Jahren konnte sich Detroit nicht mehr als Amerikas siebtgrößte Stadt bezeichnen. Vielmehr war es aus den Top-20 der größten US-Städte gepurzelt. Die Bevölkerung umfasste nicht einmal mehr 700.000 Menschen, was ungefähr jener Einwohnerzahl entsprach, die Anfang des 20. Jahrhunderts, zu Beginn des Automobil-Booms, die Stadt bevölkert hatte. Allein zwischen 2000 und 2010 war die Einwohnerzahl um unglaubliche 25 Prozent gesunken – ein wahrer Exodus. Mehr als 80.000 Gebäude standen leer. Es war nicht unbedingt verwunderlich, dass sich die Auswirkungen dieser Abwanderung im Straßenbild bemerkbar machten. Das Fehlen von Menschen vermittelte ein unheimliches Gefühl – als ob eine Epidemie oder ein gewaltsamer Konflikt die Menschen dahingerafft hatte. Der urbane Verfall hat eine bizarre Landschaft erschaffen, in der sich erblühende Enklaven bourgeoiser Beschaulichkeit an heruntergekommene Häuserblocks schmiegen, wo ausgebrannte Wohnungen ins Auge stechen und verfallende Fabrikgebäude inmitten eines Niemandslands thronen. „Detroit vermittelt einem das Gefühl eines Ground Zeros für … na, was denn eigentlich?“, fragte Autor Mark Binelli in seinem Buch über seine Heimatstadt. „Das Ende des amerikanischen Traums? Oder den Anfang von etwas anderem?“18

      Detroit wurde 2013 tatsächlich für insolvent erklärt, der größte Bankrott einer Stadt in der Geschichte der USA. Der Titel eines ungefähr zur gleichen Zeit von Underground Resistance veröffentlichten Tracks stellte eine berechtigte Frage: „Has God Left This City?“

      Die Unterhaltung, die wir an diesem Abend im Transmat führten, drehte sich um die aktuelle Einwohnerzahl und darüber, dass der Detroiter Polizeichef James Craig, ein Cousin Carl Craigs, den von Kriminalität heimgesuchten Bewohnern der Stadt gerade in der Verbandszeitschrift der National Rifle Association hatte ausrichten lassen, sich besser zu bewaffnen. „Die Leute können sich kaum vorstellen, dass ich immer noch hier wohne. Sie fragen mich, warum ich immer noch in Detroit bin“, erklärt May. „Aber ich bin glücklich. Ich habe alles, was ich brauche. Außerdem kann ich ja mit dem Flugzeug überall hin, wohin es mich gerade zieht. Warum sollte ich also abhauen?“

      Zudem war rund um die Jahrtausendwende etwas Seltsames passiert. Nachdem ihre verhärmte Stadtlandschaft von Fotografen wie Camilo José Vergara und Websites wie The Fabulous Ruins of Detroit in all ihrer heruntergekommenen Pracht verewigt worden war, hatte sich die Stadt zu einer Touristenattraktion bei Fans von sogenanntem ruin porn entwickelt. „Die Besucher kommen, um eine Stadt zu erleben, die aussieht wie das Set eines Katastrophenfilms“, sagte May. „Sie besichtigen die Ruinen, in denen wir nach wie vor wohnen.“

      Detroit war jener Ort, an dem sich die Flutwelle des Autokapitalismus im 20. Jahrhundert gebrochen und anschließend wieder zurückgezogen hatte. Hinterlassen hatte sie dabei eine urbane Schutthalde, die tatsächlich mitunter so aussah, als hätte hier ein Tsunami gewütet. Dies leistete unweigerlich einen Beitrag zur Mystik rund um Techno und verstärkte die pervertierte Romantik, die dessen europäische Bewunderer so in ihren Bann zog. „In Bezug auf Detroit gibt es in Europa diese Blade-Runner-Fantasie, bei der sich wunderbare Musik aus den Betonruinen erhebt“, sagt Alan Oldham. Eine Musik, die einem die Flucht in den Kosmos oder hinunter in die Tiefen des Meeres ermöglicht, erfüllt von apokalyptischen Visionen aus einer Welt, über die die ewige Nacht hereingebrochen war, voller zorniger Lärmausbrüche, mit denen ein Aufstand gegen einen brutalen Unterdrücker untermalt werden konnte.

      Doch gab es nun noch etwas anderes, das in Detroit die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen vermochte: städtisches Farmland und Gemeinschaftsgärten auf verlassenen Grundstücken, auf denen einst Häuser gestanden hatten. Neue Bewohner waren eingezogen. Bohemiens und unerschrockene Künstler, die die Landschaft für sich in Beschlag nahmen, als ob die Motor City das neue amerikanische Grenzland darstellte. Nicht nur die niedrigen Mieten und die Freiräume, die zum Experimentieren einluden, lockten die jungen Kreativen an, sondern auch die progressive Aura, die zum Entstehungsprozess von Techno beigetragen hatte. „Detroit ist ein Paradebeispiel für das, was die Propaganda bezüglich der Vereinigten Staaten gerne verkündet. Du hast die Freiheit zu tun, was du willst – und du kannst es zu deinen eigenen Bedingungen tun“, betonte Carl Craig. Ein Hochglanzmagazin, das ich am Flughafen kaufte, verkündete sogar, dass die Stadt „Amerikas großartigste Comeback-City“ wäre. „Tausende dieser neuen Siedler kommen hierher. Vielleicht, bloß vielleicht, bleiben ja ein paar von ihnen hier und tragen dazu bei, eine neue kreative Kaste zu bilden, die dabei behilflich ist, die Stadt wiederaufzubauen“, mutmaßte May.

      Ein Symbol der erhofften kreativen Revitalisierung war das Heidelberg Project – eine Fläche, die ungefähr zwei Häuserblocks entsprach und vom Detroiter Künstler Tyree Guyton als surreales urbanes Stückwerk neu imaginiert wurde: Häuser, Bäume und alte Autos, die mit einem wilden Wirrwarr hausgemachter Holzuhren, abgelegter Kinderspielsachen, einzelner Schuhe und allerlei Haushaltsgegenständen verziert waren, die Guyton gesammelt hatte, um ihnen auf diese Weise einen neuen Sinn zu verleihen. Tatsächlich handelte es sich bei ihm um einen alten Freund Derrick Mays, der seine Kunst in mancherlei Hinsicht auf dieselbe Weise verstand, als alchemistischen Akt, bei dem Verfall in Schönheit umgewandelt wurde. „Es ist Magie – so wie das, was Derrick macht. Es geht darum, anzunehmen, was einem das Leben hat zukommen lassen, um dann etwas Besseres damit zu machen. Kunst funktioniert als Medizin, so wie auch Musik. Es hilft einem dabei, klar zu sehen“, erklärt Guyton. „Derrick hob die Musik auf eine neue Ebene. Ich mache das Gleiche mit Kunst und hebe sie auf eine neue Bewusstseinsebene. Ich verwende die Kunst, um Umgebungen zu transformieren – und auch Menschen.“

      Unabhängige Kunstprojekte, städtische Farminitiativen auf verlassenen Grundstücken und hippe Restaurants wie das vielsagend benannte Craft Work erzeugten jede Menge Medieninteresse, obwohl sich einige Anwohner verständlicherweise skeptisch zeigten, wie viel ein paar enthusiastische weiße Bohemiens zu retten imstande wären. Immerhin war das mehrheitlich schwarze Detroit immer noch die ärmste Großstadt der USA und benötigte eine umfassende finanzielle Wiederbelebung. „Es heißt, Kunst und Kultur würden die Stadt retten können, doch ich sehe das sehr skeptisch“, sagte Mike Banks, während er seinen Blick von der hinteren Veranda des Underground-Resistance-Gebäudes

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