Rave On. Matthew Collin
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Und dennoch stellte sich immer noch die Frage, ob die Stadt – vielleicht, nur vielleicht – wieder von einem Aufschwung erfasst werden könnte. „Wer weiß das schon? In Detroit sind schon verrücktere Dinge passiert“, sinnierte Mark Binelli 2013. Es ist ein so durchgeknallter Ort, dass die wildesten Experimente, Ideen, die in keiner funktionierenden Stadt jemals ernst genommen würden, hier vielleicht eine Chance hätten.“19
Jeder, der während des Movement-Festivals im Mai 2014 rund um die Hart Plaza abhing, konnte sich eventuell weismachen, dass diese Art von Optimismus nicht fehl am Platze war. Vielleicht, ja nur vielleicht … Wenigstens ein Wochenende lang war Downtown Detroit zum Leben erwacht. Immerhin machten die Kinder des Transmat, des Metroplex, des KMS, von UR und Submerge sowie Carl Craigs Planet E und all die anderen ihre Aufwartung. Die Straßen der Innenstadt waren voller Technoheads: obsessive Electronic-Music-Fans in kultigen T-Shirts mit Plattenlabel-Motiven, jugendliche „Candy Raver“ in farbenprächtigen Cyber-Outfits, mit kindischen Rucksäcken und fluffigen Moonboots ausstaffiert, Hipster mit akribisch gestylten Bärten, aufgepumpte Sportskanonen in Shorts und geschmeidige Disco-Queens in Hotpants sowie gewöhnliche Männer und Frauen jeglicher Hautfarbe, die Techno schon immer geliebt hatten – und immer lieben werden. Ein paar Ausgeflippte waren sogar kostümiert erschienen. Da fanden sich etwa ein Captain America und ein Mann, der sich als Sternenbanner verkleidet hatte, sowie ein wunderlicher Kleinwüchsiger, der von Kopf bis Fuß in einem purpurnen Bodystocking steckte, was ihm die Optik eines Zeichentrick-Kobolds verlieh. Außerdem präsentierte sich ein Mädchen nur in Höschen und BH, dafür aber mit chirurgischen Bandagen, die ihr ganzes Gesicht verhüllten.
Techno war selbstverständlich omnipräsent an diesem Wochenende: überall in der Innenstadt und nicht nur auf dem Festival, sondern auch bei Afterpartys, Symposien, Vorträgen, spontanen Raves, die mithilfe tragbarer Soundsystem auf Gehwegen initiiert wurden, in Plattenläden, im Rahmen von Internet-Broadcasts und zufälligen Begegnungen von Gleichgesinnten aus allen Ecken der USA und auch darüber hinaus. Sogar ein ältlicher frommer Prediger hatte Lautsprecher auf dem Bürgersteig postiert und bolzte nun Hard Trance, während er dazu bizarre atonale Riffs auf seinem Keyboard improvisierte. Neben seinem Kommandostand ermahnte ein Plakat die Passanten: „Gebt euer Herz Jesus.“
In einer Reihe von Verkaufsständen wurde eine Auswahl von T-Shirts mit Slogans und Motiven feilgeboten, die die Loyalität der Partygäste zur Stadt, ihrem Stamm und den Drogen zum Ausdruck bringen sollten: „Detroit Hustles Harder“, ein Siebdruckporträt von Frankie Knuckles mitsamt dem Motto „Frankie Forever“, eine Karikatur eines Aliens, der sich gerade ein paar bunte Pillen gönnte.
Am Flussufer hypnotisierte der Berliner DJ Dixon (bürgerlich: Steffen Berkhahn) die Hörerschaft mit seinem brummend-dröhnenden Sound und Tönen, die sich wanden und dahinschlängelten und miteinander harmonierten wie die tiefen Register einer Kirchenorgel, während sie von einem voluminösen Dub-Bass untermalt wurden. Schwaden von Marihuana-Rauch stiegen von der nahegelegenen Jungle-Stage auf, während ein paar junge Tänzer mit hyperkinetischer Beinarbeit zu bestechen wussten, Crusties in Kampfstiefeln durch die Gegend hoppelten und Männer mittleren Alters um einen mit aufwendigen Schnitzarbeiten verzierten Holzstab zappelten.
Doch der harte Kern der Techno-Aficionados hatte sich vor der „Made in Detroit“-Stage versammelt. Dort hatten sich die urbanen Bohemiens in Tanzzirkeln arrangiert, um zu den Grooves lokaler Legenden wie Mike Huckaby, Delano Smith, Terrence Dixon, Kenny Larkin und Stacey Pullen ihre anmutigen Moves der Öffentlichkeit zu präsentieren. Allein schon die Energie und der Elan, den die jüngere Generation lokaler DJs im Verlauf des Wochenendes auf die Bühne brachte, ließ erahnen, dass Techno der Marke Detroit als Genre noch längst nicht zum alten Nostalgie-Eisen zählte und ausschließlich von seiner ruhmreichen Vergangenheit zehrte.
Dennoch war es ein Mann aus der Frühphase des Hi-Tech Soul, ein Produzent, der schon auf jener Techno-Compilation von 1988 vertreten war, der allen anderen die Show stahl. Anthony „Shake“ Shakir, der an multipler Sklerose litt und dem Publikum von seinem Rollstuhl aus einheizte. Er vermengte Old-School-Techno mit „Wheel Me Out“ von Was (Not Was) aus Detroit, bevor er Derrick Mays „Strings of Life“ droppte und damit Detroiter sämtlicher Ethnien, Teenager wie Menschen mittleren Alters, Jungs mit Afros ebenso wie Männer mit ergrauten Schläfen, in einem transzendentalen Augenblick gemeinschaftlicher Ekstase in die Höhe springen ließ. Shakir kratzte die Kurve mit einem erstaunlichen, überaus virtuos vorgetragenen Mix, bei dem er zehn Minuten lang hin und her switchte und malende Beats aufeinanderprallen ließ, bevor er wieder in den Groove zurückfand, bei dem der Rhythmus sich von avantgardistischer Percussion über pulsierenden Eurobeat bis hin zu Disco-Tollerei transformierte. Während er weiterhin sein Ding durchzog, schwang eine große Rothaarige in Cowgirl-Jeans einen Hula-Reifen um ihren Körper. Sie wand und drehte sich, von himmlischer Euphorie ergriffen.
Am Sonntagabend nach dem Festival trat Derrick May im White House in der nahegelegenen Shelby Street auf. Selbst in seinen frühen Fünfzigern noch so dynamisch wie eh und je, rackerte May am DJ-Pult hoch über dem Floor. Die Hi-Hats zischten wie gläserne Regentropfen, die von der Decke herabzuprasseln schienen, und Synthie-Wellen breiteten sich aus wie reinste MDMA-Dosierungen.
Das erste Detroit Electronic Music Festival, der Vorgänger vom Movement, fand im Jahr 2000 statt, nachdem die Polizei gegen illegale Raves vorgegangen war. Das von May initiierte und von Carl Craig gebuchte Festival war als großes Techno-Homecoming geplant. „Diese Musik hat die ganze Welt erobert. Nun erobern wir Detroit“, erklärte Craig im unveröffentlichten Dokumentarfilm The Drive Home über das Ereignis.
Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Stadt ihren wichtigsten musikalischen Export seit Motown im großen Stil präsentieren musste, wie mir Craig erzählte: „Das Festival war als Statement gegenüber der Community gedacht, da Techno hier unterschätzt und zu wenig respektiert wurde. Wir fragten uns, warum das überall sonst möglich ist, aber nicht hier?“
Das liegt daran, dass Techno im Ausland stets angesagter war als in den USA. Trotz des Aufstiegs von EDM, Amerikas eigener verwässerter, aufgeplusterter und hetero-freundlicher Variante elektronischer Tanzmusik, die im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts regen Zulauf verzeichnet, gelten Leute wie May, Atkins, Saunderson, Craig und all die anderen zwar in den Augen vieler Europäer als echte kulturelle Pioniere, werden in ihrem Heimatland aber immer noch eher als Randfiguren wahrgenommen. Frankreich etwa zeichnete Jeff Mills 2017 für seinen Beitrag zur Bereicherung der französischen Kultur mit dem prestigeträchtigen Orden der Kunst und der Literatur aus. Doch als er einmal gefragt wurde, ob er mit seinem neuesten Projekt durch die USA touren würde, antwortete er traurig: „Amerika interessiert sich einfach nicht für das, was ich tue – und das war eigentlich schon immer so.“20
Ich fragte Robert Hood, wie er die Sache sah. „Die Nordamerikaner haben doch keinen blassen Schimmer, woher diese Musik stammt. Hier glauben alle, sie kommt aus Europa“, winkte er ähnlich resigniert ab. „Rasse spielt dabei eine Rolle. Im Verlauf der Zeit hat sich die Tendenz herauskristallisiert, schwarze Kunst und die Errungenschaften schwarzer Innovatoren abzuqualifizieren und zu belächeln. Doch die Frage, die sich nun stellt, lautet: Was wollen wir dagegen unternehmen? Wollen wir uns auflehnen und weiterkämpfen – oder sollen wir uns zurücklehnen und die Situation, so wie sie ist, einfach zur Kenntnis nehmen? Ich denke, dass wir aufstehen und uns zu Wort melden müssen. Wir dürfen uns nicht länger mit dem Platz hinten im Bus zufriedengeben.“
Sogar Ghetto Tech – jener unflätig krakeelende ortsansässige Verwandte von Miami Bass und Chicagoer Juke, der sich auch von Cybotron und frühem Electro hatte beeinflussen lassen und für den DJ Aussaults Track „Ass N Titties“ von 1996 (Textauszug: „Ass. Titties. Ass and titties. Ass ass ass ass ass and titties“) als Paradebeispiel gilt – schien in der City nicht weniger populär zu sein als