Rave On. Matthew Collin

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Rave On - Matthew Collin

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Daseins zu übertünchen. Er bestand darauf, dass UR die Alternative, ja, das Gegengift verkörperten: „Harte Mucke aus einer harten Stadt.“

      „Schwarze Leute leben nicht wie Gruppen in der Art von New Edition und tragen 900-Dollar-Anzüge. Das echte Leben sieht eher so aus, wie es Public Enemy beschreiben“, beteuerte er.

      „Wir stehen daher für Widerstand“, ergänzte Jeff Mills. „Wir werden immer gegen diesen Shit ankämpfen – Revolution, damit sich was ändert.“2

      „Unsere Musik erhebt sich wie ein Phoenix aus der Asche der zerbröckelnden Industrienation.“

      Juan Atkins, 1988

      Mehr als zwei Jahrzehnte später stehe ich auf der Hart Plaza, in Downtown Detroit. Elektrische Marschtrommeln zischen und krachen wie ein Feuerwerk entlang des Ufers des Detroit Rivers. Die Rhythmen schallen rund um das Septett von verglasten Wolkenkratzern am Ufer. Mike Banks und seine schattenhafte Crew von Techno-Aufwieglern pushen in der ersten Nacht des Movement Festivals 2014 eine begeisterte Menschenmenge in ihrer Heimatstadt zum Höhepunkt.

      Zu diesem Zeitpunkt galten Underground Resistance längst als Veteranen eines Musikgenres, das den Sound der Populärmusik im Verlauf der letzten 30 Jahre auf der ganzen Welt verändert hatte. Von Blues und Jazz bis hin zu Motown, von Parliament-Funkadelic über die MC5 und die Stooges bis hin zu Eminem – Detroit hat etliche bemerkenswerte musikalische Pioniere hervorgebracht, die neu definierten, was Musik sein und was sie bedeuten konnte. Nun war der Einfluss von Techno überall zu hören, vom banalsten Pop-Hit bis hin zur anspruchsvollsten Avantgarde Electronica. Wie es Kevin Saunderson mit einem Augenzwinkern ausdrückte: „Wir verkörpern jetzt Geschichte!“

      Da lag er richtig, wortwörtlich sogar. Zwischen all den anderen, im Stile eines Hard Rock Cafés ausgestellten Memorabilia, die Auskunft über die glorreiche musikalische Vergangenheit der Stadt geben, fand man im Detroit Historical Museum nun immerhin auch einen Schaukasten, der Auskunft über die Pioniere des Techno gab. Ein Foto von Derrick May hing – irgendwie unpassend – neben einem der jungen Madonna. Vielleicht hätten May, Atkins und Saunderson, die Gründerväter des Genres, stattdessen Einzug in die „Galerie der Innovation“ halten und neben Henry Ford und Berry Gordy vorgestellt werden sollen.

      Die Geschichte des Techno wurde im Rahmen einer selbstfinanzierten und liebevoll betreuten Ausstellung namens Exhibit: 3000 weitaus besser wiedergegeben. Sie befand sich im Erdgeschoss eines ehemaligen Wäschereigewerkschaftsgebäudes, das nun als Geschäftszentrale von Underground Resistance und Submerge Records diente und sich nur einen kurzen Fußmarsch vom Motown-Museum entfernt befand.

      Mike Banks, selbst in seinen späten Vierzigern noch schlank und muskulös, gekleidet in ein Khaki-T-Shirt und Arbeiterjeans samt Werkzeugen, die von seinem Gürtel baumeln, und einem Pinsel in der Gesäßtasche, öffnete mir die Tür, nachdem ich geklingelt hatte. „Komm mit, du musst dir diesen Shit ansehen“, drängte er mich mit seiner unnachgiebigen Stimme.

      John Collins, ein erfahrener Detroiter DJ, der einst in den Achtzigerjahren, noch vor dem Aufkommen von Techno, House und Disco im Detroiter Club Cheeks aufgelegt hatte und später ein Mitglied der UR-Crew wurde, führte mich herum. „Das Museum war notwendig. Es ist wichtig“, erklärte mir Collins. „Es ist wichtiger als je zuvor, da die Schlacht noch nicht gewonnen ist. Wir haben immer noch einen Teil des Weges vor uns. Manche Leute wissen nicht einmal, dass Techno von Schwarzen erfunden wurde.“

      In der Galerie befanden sich nicht nur Fotos der Pioniere des Techno, sondern auch von anderen Helden – Bruce Lee, Geronimo, Sun Tsu, den Tuskegee Airmen aus dem Zweiten Weltkrieg, Public Enemy sowie Nichelle Nichols, die in der originalen Star-Trek-Serie die Kommunikationsoffizierin der USS Enterprise Nyota Uhura spielte. Damit positionierten sich UR fest im geschichtlichen Kontinuum progressiver schwarzer Kulturpolitik. Die Bildunterschrift eines Fotos erklärte Detroit zu einer „Stadt der Freaks und Kämpfer“. Doch das zentrale Motiv des in den alten Fotos, Plattenhüllen, Gemälden, Zeitungsausschnitten und alten Roland-Drumcomputern dargelegten Narrativs, sorgfältig hinter Glas entlang der Wände ausgestellt, bildeten mit Atkins, May und Saunderson jene drei jungen schwarzen Männer, die sich in den Achtzigerjahren an der Highschool in Belleville kennengelernt hatten, einer manierlichen, überwiegend weißen Kleinstadt am Huron River, etwa 50 Kilometer westlich von Detroit.

      Detroits erste Proto-Techno-Platten waren schon 1981 erschienen – „Sharevari“ von A Number of Names und „Alleys of Your Mind“ von Cybotron, einem Duo bestehend aus dem jungen, von Kraftwerk besessenen Atkins und einem Vietnamkrieg-Veteranen und Synthesizer-Enthusiasten namens Rik Davis, der sich selbst 3070 nannte. Cybotron streckten ihre Fühler in Richtung einer neuartigen, post-elektronischen Tanzmusik aus: „Das war richtig Punk. Zuerst spielst du und dann erst lernst du, was du da gespielt hast“, erklärte Davis einmal.3

      Atkins und May etablierten außerdem ihre eigene DJ-Crew Deep Space, deren Geheimwaffe ein Roland TR-909 war, mit dem sie ihre Mixe aufpeppten. 1985, nach Cybotrons größtem Hit, dem sachte dahingleitenden Cold-Wave-Electro-Track „Clear“, stieg Atkins aus der Band aus und begann unter dem Pseudonym Model 500 allein aufzunehmen. Alle drei gründeten ihre jeweils eigene Plattenfirma – Metroplex (Atkins), Transmat (May) und KMS (Saunderson) –, um ihre Musik ganz autonom zu veröffentlichen. Zusammen mit ihrem Freund Eddie „Flashin“ Fowlkes wurden die sogenannten „Belleville Three“ zu den Urhebern des Techno als eigenständigem Genre, das parallel zum Aufkommen von House in Detroit entstand. Obwohl sie einen klaren Plan besaßen, was für einen Sound sie fabrizieren wollten, hatten sie nicht die geringste Vorstellung, welche Auswirkung ebendieser letztlich erzielen würde.

      May firmierte unter den Künstlernamen Rhythim is Rhythim und Mayday, während sich Saunderson gleich ein ganzes Repertoire an Pseudonymen zulegte –

      darunter etwa Reese, Kreem, Tronik House und E-Dancer – und gleichzeitig auch noch zum musikalischen Mastermind des international erfolgreichen Duos Inner City avancierte. Die Belleville Three ließen sich von Kraftwerk, dem Yellow Magic Orchestra, europäischem Electro-Pop und Italo-Disco beeinflussen, fanden aber auch Inspiration bei Parliament-Funkadelic und den von Synthie geprägten Post-Disco-Club-Tracks, die Labels wie Prelude veröffentlichten. Das Überraschungselement lieferte die allgegenwärtige Andersartigkeit Detroits, wo sie sich alle im selben Block in der Gratiot Street im Viertel Eastern Market ihre Studios einrichteten. Nicht umsonst sollte dieser Straßenabschnitt eines Tages liebevoll „Techno Boulevard“ genannt werden. „Ich reagiere einfach auf meine Umgebung“, erklärte mir May bei unserem ersten Treffen 1988. „Die Leute, die Intensität, die Paranoia – all die Dinge, die Detroit zu dem machen, was es ist.“4

      Einen weiteren entscheidenden Einfluss stellte das Detroiter Radio dar – vor allem die idiosynkratischen Übertragungen eines Charles Johnson, auch bekannt als Electrifying Mojo, der für die Stadt eine ähnlich inspirierende Rolle spielte wie der BBC-Radiomoderator John Peel in Großbritannien. Ab 1977 setzte sich The Electrifying Mojo in seinen Shows über sämtliche ethnischen Konventionen des US-Radios hinweg, die er später sogar mit Apartheid verglich.5 Seine Ansagen waren oft lyrisch-soziopolitische Monologe oder Homilien, in denen er Anstand und Toleranz predigte. Zu seinen musikalischen Favoriten zählten Outsider wie Prince, Parliament, die B-52’s sowie Kraftwerk, deren Album Computer World er nach dessen Veröffentlichung 1981 gar nicht mehr vom Plattenteller nehmen wollte. Eines seiner Zitate bekam im Underground-Resistance-Museum einen Ehrenplatz: „Der Preis, den man für die Freiheit bezahlen muss, ist sehr kostspielig. Wenn du Leidenschaft empfindest, wird dies dein Opfer ausgleichen.“

      Die jungen Männer, die den Detroit Techno aus der Taufe heben würden, zählten alle zu seinen Stammhörern, und als sie schließlich zu DJs und Produzenten wurden, begann Mojo, ihre frühen Mixe zu spielen. Laut May hätte es ohne den Radiomann das, was heute als Detroit Techno bekannt ist, vielleicht gar nicht gegeben: „Er war ein Lehrer, eine Inspiration, ein Visionär. Er zeigte

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