Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley

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Hinter der Maske - Die Autobiografie - Paul  Stanley

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      Sehr bald schon sah mich eine andere Frau aus der Gegend mit meiner Gitarre und fragte, ob ich jemanden kennen würde, der ihrem Sohn Unterricht geben konnte. Sie war geschieden.

      „Nun ja, ich könnte ihm Stunden geben“, sagte ich.

      Sie verbrachte ihren 39. Geburtstag mit mir im Bett. Ich war da gerade einmal 17.

      Meine Instinkte und Hormone trieben mich immer öfter in solche Situationen. Es war wie eine Droge. Eine wundervolle Droge. Ich hatte nun Zugang zu etwas Magischem gefunden, ohne dabei meine Deckung aufgeben und mich einer ernsthaften Beziehung oder echter Intimität stellen zu müssen. Ich musste mir keine Sorgen machen, dass jemand Gefühle von mir erwartete.

      Es gab keine Regeln. Ich hinterfragte nie den moralischen Aspekt meines Treibens. Wenn irgendjemandes Ehefrau mit mir pennen wollte, hey, warum nicht? Der Umstand, dass es da noch jemanden gab, kümmerte mich nicht die Bohne. Das war deren Problem. Wenn sich eine Frau mir zur Verfügung stellen wollte, dann reichte mir das.

      Der Ehemann des Kiffershop-Pärchens schien sich in ein Mädchen, das sehr oft in den Laden kam, verguckt zu haben. Eines Abends, als das Pärchen eine Party bei sich zu Hause schmiss, fing er an, sie anzubaggern. Ich denke, dass sich das Pärchen ohnehin in Richtung einer offenen Beziehung entwickelte, doch an diesem Abend schien sich die Frau sehr über ihren Ehemann, der sich da mit einer anderen davonstahl, aufzuregen. So landete ich wieder einmal in einem Schlafzimmer mit einer Ehefrau. Ihr Schäferhund schien übrigens nicht minder an mir interessiert zu sein als sein Frauchen.

      Hey, diese Leute sind alle Erwachsene.

      Ich wollte gar keine Freundin. Auch keine Beziehung. Das hätte mir Angst gemacht. Aber ich konnte trotzdem meine Bedürfnisse befriedigen, ohne mich dabei emotional auf irgendjemanden einlassen zu müssen. Und Situationen, die andere womöglich abgeschreckt hätten – es bestand ja immerhin die Chance, dass jemandes gehörnter Ehemann mir die Eier hätte abschneiden wollen, so wie es meinem Dad angedroht worden war –, entsprachen meiner Idealvorstellung.

      Ich vertraute mich niemandem an. Ich existierte weiterhin in meiner eigenen kleinen Welt. Jedoch trieb mich nun mein Verlangen nach Sex an. Es war egal, wo oder mit wem. Ich erinnere mich noch, dass ich mich selbst auf die Party eines Nachbarn einlud. Ich tauchte einfach auf. Eines der Schlafzimmer wurde dazu benutzt, die Mäntel der Gäste aufzubewahren. Sie lagen einfach alle auf dem Bett. Ich landete schließlich mit einer Frau in diesem Zimmer und trieb es mit ihr auf all den Mänteln. Ein paar Leute kamen rein, als wir gerade voll zur Sache gingen, und waren total schockiert. Mir war das aber egal. Ich hatte kein Gespür für unpassendes Verhalten. Vor nicht allzu langer Zeit war ich noch mit meiner Musik alleine gewesen, doch nun hatte ich Sex. Sex! Die Bestie in mir war erwacht.

      Ein anderes Mal übernachtete eine Freundin meiner Schwester bei uns und ich versuchte, zu ihr unter die Decke zu kriechen. Sie stieß mich aber aus dem Bett. Am nächsten Tag erzählte meine Schwester unserer Mom von dieser Episode. Ich fand das zum Niederknien. Eigentlich empfand ich den Umstand, dass meine Eltern mein Benehmen so entsetzlich fanden, als eine Art Draufgabe: Es machte die ganze Sache noch besser für mich.

      Auch die Musik nahm ich nun anders wahr. Als ich im August 1969 im Corona Park in Queens Led Zeppelin live vor weniger als 2000 Menschen spielen sah, war die Sexualität dieses Events nahezu greifbar. Die Show fand im New York State Pavilion statt, der für die Weltausstellung 1964 erbaut worden war – eine eigenartige, halb offene Location, deren Boden ein Mosaik in Form des Staates New York zierte. Darüber war ein buntes Dach aus Plexiglas und nicht weit entfernt befanden sich zwei an Fliegende Untertassen erinnernde Gebilde, die auf Säulen angebracht waren. Der Sound von Jimmy Page hatte denselben Effekt auf mich wie Beethoven, als ich noch ein kleiner Junge war. Er war nicht nur ein herausragender Gitarrist, nein, er war ein Visionär, der musikalische Versatzstücke komponierte und sie in klanglicher Perfektion miteinander kombinierte. Led Zeppelin nahmen sich einen Musikstil – auf Blues basierenden Rock – und machten daraus etwas Neues, ihr komplett eigenes Ding.

      Robert Plant heulte wie eine Todesfee – ich wusste gar nicht, dass irgendjemand so singen konnte. Ich hatte Terry Reid und Steve Marriott gesehen, die im Prinzip das Fundament für jemanden wie Robert Plant gelegt hatten, aber Plant war noch besser, eindrucksvoller, magnetischer und vollkommener. Er kreierte einen Stil, der zuvor nicht existiert hatte. Abgesehen von all seinen Qualitäten als Sänger war er doch viel mehr als bloß ein Sänger. Robert Plant war die Verkörperung eines Rockgottes. Niemand sah so aus wie er, und er war im Begriff, einen Archetyp zu erschaffen. Ich weiß noch, dass, als ich das nächste Mal The Who sah, Roger Daltrey seine aufgebauschten Haare hatte wachsen lassen und nun eine lange, lockige Mähne trug.

      Aha, jetzt macht er auch einen auf Robert Plant, dachte ich mir. Jeder wollte so singen und so aussehen wie Robert.

      Alles auf dieser Bühne war aufregend. Es kam in meinem Leben einer religiösen Erfahrung am nächsten. Ich war mit David Un, den ich immer noch ab und zu traf, bei dieser Show. Nachher sagte ich zu ihm: „Lass uns nicht einmal versuchen, darüber zu sprechen. Lass uns einfach nur ruhig sein; nichts, was wir sagen würden, könnte dieser Erfahrung gerecht werden.“

      Ich werde nie wieder Zeuge von so etwas Vollkommenem werden.

      Musik bedeutete immer noch Glückseligkeit für mich und war die ultimative Lösung meiner tief sitzenden Unsicherheiten. Ich sehnte mich nach der Bestätigung, die ich fühlte, wenn ich vor Publikum auftrat. Obwohl wir mit Post War Baby Boom nie auch nur einen Penny eingenommen hatten, so hatten wir doch ein paar Gigs in Locations wie dem Beehive gespielt. Mir gefiel auch das Vorspielen bei den Musikverlagen. Also fing ich wieder an, mit Matt Rael, dessen Bruder mit mir zusammen bei Post War Baby Boom gewesen war, zu spielen. Nachdem wir ja schon ein paar Jahre zuvor viel miteinander gejammt hatten, drehten wir nun erneut unsere Fender-Verstärker auf, um zu experimentieren. Manchmal begleitete uns auch Neal Teeman an den Drums. Oft drehten wir alle Regler an unseren beiden Amps bis zum Anschlag auf und erzeugten so eine unüberwindbare Wand aus Lärm.

      Es gelang uns, ein paar Auftritte in einer Hippie-Bude in Brooklyn namens The Bank zu ergattern. Das Gemäuer war so etwas wie das Hauptquartier einer Kommune, das sich über mehrere Stockwerke eines verlassenen alten Bankgebäudes erstreckte. Eine ganze Etage war mit Heu ausgelegt; Kinder konnten dort auf Eseln reiten. Wir spielte aber in einem anderen Stockwerk. Wir zogen eine krachige Mauer vor uns hoch, indem wir unsere Gitarren fies aufheulen ließen. Matt drehte sich während unserer Konzerte sogar meistens weg vom Publikum.

      Es machte Spaß, wieder aufzutreten, doch war das nicht die Art von Band, in der ich meine Zukunft sah. Gedanken an eben diese Zukunft nagten an mir, als die Highschool sich dem Ende zuneigte. Ich driftete durch mein Abschlussjahr und grübelte über meine nächsten Schritte nach. Der Druck, den ich zu spüren begann, war nicht rein finanzieller Natur. Was mir Sorgen bereitete, war, dass andere bereits begonnen hatten, sich ein Fundament für ihre zukünftige Absicherung zu legen. Sie schmiedeten Pläne, aufs College zu gehen oder Berufe zu erlernen. Ich tat das nicht.

      So sehr ich an mich glaubte – es gab es keinerlei Garantie, dass ich meinen Weg in der Musikbranche machen würde. Die Kids in meiner Nachbarschaft stiegen in die Fußstapfen ihrer Eltern und wurden Ärzte oder Anwälte. Inzwischen reichten meine Haare über meine Schultern und ich sah aus wie ein angehender Rockgott. Meine Chancen standen trotzdem nicht unbedingt gut. Ich verbrachte zahllose Nächte damit, wach zu liegen und nachzudenken. Was zum Teufel tue ich bloß? Egal, wie sicher man sich seiner selbst ist, irgendwann werden einen dunkle Augenblicke heimsuchen, in denen man zu zweifeln beginnt, und man stellt seinen Glauben an sich selbst infrage. Ich hatte einen Plan. Mehr oder weniger. Es war eigentlich mehr ein Ziel als ein Plan. Ich hatte etwas, auf das ich hinarbeitete, etwas, auf das ich zu setzen wagte. Allerdings gab es auf diesem Weg keine Etappenziele, die man zwischenzeitlich hätte abhaken können. Es war

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