Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley
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Die Ängste suchten mich nächtens heim. Schließlich legte ich mir ein Szenario als letzten Ausweg zurecht. Ich würde bei der Telefongesellschaft anfangen. Das war ein gut bezahlter Job mit gewerkschaftlicher Anbindung und einer erstrebenswerten Vergütung. Und wenn ich eine Stelle als Telefonmonteur – ein Job, der damals gefragt war – finden würde, könnte ich in Ruhe und allein arbeiten. Da wären keine Mitarbeiter oder Vorgesetzten um mich rum. Das würde ich hinbekommen. Ich würde durch die Gegend fahren und Telefone installieren. Alleine.
Matt und ich begannen, uns während unserer Proben in die Haare zu kriegen. Ich fand, dass wir mehr herumalberten als wirklich ernsthaft kreativ bei der Sache zu sein und uns weiterzuentwickeln. Außerdem war ich der Meinung, dass er sich zum Publikum drehen sollte, wenn wir einen Gig spielten. Das Fass lief schließlich über, als Neal und ich ihn baten, seinen Amp während unserer Proben auf eine erträgliche Lautstärke runterzudrehen.
„Dreh dich leiser!“, schrien wir ihn an.
„Nein!“, schrie er zurück und spielte weiterhin so laut, wie es nur irgendwie möglich war, bis Neal und ich schließlich alles hinschmissen. Wir stiegen aus und die Gruppe war Geschichte. Matt und ich blieben aber Freunde und begannen sogar, gemeinsam als Taxifahrer zu jobben. Ich denke, dass es in vielerlei Hinsicht eine Erleichterung für ihn war, nicht mehr mit uns in einer Band zu spielen.
Natürlich wollte ich weiterhin Musik machen, und da mich die Musikverlage als Solokünstler abgelehnt hatten, machte ich mich auf die Suche nach neuen potenziellen Bandmitgliedern. Neal, der mittlerweile auf Teilzeitbasis in einem Aufnahmestudio arbeitete, erfuhr über einen seiner Freunde von einem Typen namens Steve Coronel, der Leadgitarre spielte. Also riefen wir Steve an, taten uns mit ihm zusammen und arbeiteten an ein paar Coverversionen, spielten die eine oder andere Eigenkomposition und begannen uns im näheren Umfeld nach Gigs umzusehen.
Die Band mit Matt hatte nie einen Bassisten gehabt, aber Steve wollte jetzt einen dabei haben. „Ich kenne da einen Typen“, sagte er.
Der Name des Typen war Gene Klein. Er und Steve hatten als Teenager gemeinsam in einer Band namens Long Island Sounds gespielt. Gene lebte nun irgendwo außerhalb der Stadt. Er war anscheinend ein paar Jahre älter als ich und hatte bereits das College hinter sich. Mir war egal, ob er nun in Sullivan County oder auf Staten Island wohnte. Solange eine Möglichkeit bestünde, so etwas wie eine echte Band auf die Beine zu stellen, war ich für alles zu haben.
Eines Abends fuhr ich zu Steves Wohnung in Washington Heights, was ganz in der Nähe der Gegend lag, in der ich als kleiner Junge gelebt hatte. Steves Zimmer war schwarz gestrichen. Dort wartete bereits ein großer, korpulenter Typ.
„Stan“, sagte Steve, „das hier ist Gene Klein.“
Gene hatte lange Haare und einen Bart unter seinem Doppelkinn. Er war stark übergewichtig. Ich war ja selber ziemlich feist zu dieser Zeit, aber dieser Kerl war ein Bulle von einem Mann. Er trug einen Overall und Sandalen. Er sah aus, als wäre er gerade in der damals neuen Country-Fernsehshow Hee Haw aufgetreten.
Gene ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er dachte, er würde musikalisch mindestens eine Stufe über uns stehen. Er spielte uns ein paar seiner Lieder vor, die irgendwie bescheuert waren. Dann forderte er mich auf, seinen strengen Ohren einen meiner Songs vorzuspielen. Also spielte ich „Sunday Driver“, ein Stück, das ich später in „Let Me Know“ umbenannte. Es war ein Moment der Offenbarung für ihn – er schien total überrascht zu sein, dass außer John Lennon, Paul McCartney und Gene Klein noch andere Menschen einen Song schreiben konnten. Er war merklich mitgenommen. Er murmelte vor sich hin: „Hmmm.“
Mich nervte, dass er sich ein Urteil über mich anzumaßen schien – als ob mir seine Zustimmung irgendetwas bedeutet hätte. Vor allem, da mich seine musikalischen Ergüsse auch nicht gerade vom Hocker rissen. Die Vorstellung, dass er mich von seiner hohen Warte aus beurteilte, ließ ihn arrogant, herablassend und skurril auf mich wirken. Es war offensichtlich, dass er sich für etwas Besseres hielt. Das gefiel mir gar nicht. Gene hatte freilich keine Ahnung von der Sache mit meinem Ohr, das von Haaren verdeckt war, aber ich war darauf programmiert, niemandem Sympathie entgegenzubringen, der sich ein Urteil über mich anmaßte. Für mich war das einfach etwas, das man sich verkneifen sollte – jedenfalls war ich nicht heiß darauf, mit dem Kerl zusammenzuarbeiten.
An einem anderen Abend spielten ein Bassist namens Marty Cohen, Steve und ich einen Gratis-Gig in einem Café an der Ecke Broadway und 111th Street namens Forlini’s Third Phase. Der Raum war mit Styropor ausgekleidet und wir durften richtig laut sein. Wir spielten ein paar eigene Sachen und Covers, darunter „Mississippi Queen“ von Mountain, und das Publikum hatte seinen Spaß mit uns. Gene war auch da, weil sich Steve einen Teil seiner Ausrüstung von ihm geborgt hatte. Er war sichtlich beeindruckt.
Irgendwann später meldete ich mich auf eine Anzeige in der alternativen Wochenzeitschrift The Village Voice, in der ein Gitarrist gesucht wurde. Als ich die Nummer anrief, fand ich heraus, dass der Typ, der die Anzeige aufgegeben hatte, Brooke Ostrander hieß, seine Band, in der er Keyboard spielte, aber auf der Suche nach einem Leadgitarristen war – und nicht nach einem Rhythmustypen wie mir. Keine große Sache.
Kurze Zeit später aber rief mich Gene an und erkundigte sich, ob ich nach New Jersey rüberkommen würde, um mit ihm an einem Demo seiner Gruppe zu arbeiten. Er sagte, er würde mich für einen Tag, eventuell auch zwei, brauchen. Ich willigte ein. Seltsamerweise handelte es sich bei der Gruppe um dieselbe Band, für die Brooke Ostrander einen Leadgitarristen gesucht hatte. Außerdem würden wir bei ihm zu Hause arbeiten. Brooke arbeitete damals bereits als Musiklehrer an einer Schule und Gene prahlte wegen seines Bürojobs, der ihm fünf Mäuse in der Stunde einbrachte, was damals viel Geld war. Sie hatten ein Aufnahmegerät für zu Hause. Es war zwar nicht so ausgefeilt wie das, was man in einem richtigen Studio vorfand, aber das hielt uns nicht davon ab, den ganzen Tag zu arbeiten. Als sich unsere Session schließlich dem Ende zuneigte, rauchten Brooke und ich etwas Gras aus einer Bong in der Form eines Fisches. Ich stand absolut neben mir. Wir hörten Pink Floyd und Jethro Tull, bis mir plötzlich dämmerte, dass ich gar nicht wusste, wo ich übernachten sollte.
„Komm mit in mein Schlafzimmer“, sagte Brooke.
Oh-oh.
Ich machte ein paar sehr unsichere Schritte, die sich sehr in die Länge zogen. Ich war mir nicht sicher, was ich tun sollte. Als er aber die Tür zu seinem Zimmer öffnete, standen da zum Glück zwei Betten. Gepriesen sei der Herr!
Als ich so mit Gene zusammenarbeitete, bemerkte ich, dass wir beide ein paar Dinge gemeinsam hatten. Seine Familie hatte den Holocaust überlebt. Er war clever und ernst. Obwohl er und Brooke in New Jersey arbeiteten, lebte Gene nur ungefähr 15 Minuten von mir entfernt in Queens. Es stellte sich heraus, dass er während seiner Zeit am College in einer Band in Upstate New York gespielt hatte und oft mit ihnen aufgetreten war. Er hatte einiges zu bieten. Er hatte eine gute Stimme und war ein fähiger Bassist. Außerdem wusste er, wie man einen Song schreibt. Am wichtigsten war aber vermutlich, dass Gene sehr fokussiert war.
Damals hatte ich bereits kapiert, dass Talent, so wie alles andere auch, nur einen Ausgangspunkt darstellen konnte. Was wirklich zählte, war, was man damit machte. Ich wusste etwa, dass ich nicht der begabteste Gitarrist, der beste Sänger oder begnadetste Songwriter auf der Welt war, allerdings beherrschte ich diese Dinge immerhin bis zu einem gewissen Grad und hatte außerdem eine Vision bezüglich der Voraussetzungen für unseren Erfolg – wir müssten arbeiten, arbeiten, arbeiten.
Gene schrieb sehr eigenartige Songs. Vielleicht hatte es ja damit zu tun, dass er aus einem anderen Land stammte? Ich war mir da unsicher.