Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hinter der Maske - Die Autobiografie - Paul Stanley страница 4
In meiner frühesten Erinnerung sehe ich mich mit meinen Eltern in unserem abgedunkelten Wohnzimmer sitzen. Die Rollläden waren heruntergezogen, als ob die Unterhaltung, die wir führten, ein Geheimnis gewesen wäre: „Wenn dich je wer fragt, was mit deinem Ohr los ist, erzählst du, dass du so geboren wurdest.“
Meine Eltern schienen zu glauben, dass die Angelegenheit nicht existieren würde, wenn sie sie ignorierten. Diese Philosophie bestimmte unseren häuslichen Alltag und somit mein Leben über große Teile meiner Kindheit hinweg. Ich bekam simple Antworten auf komplexe Fragen. Aber wenn meine Eltern meine Problematik auch gerne ignorierten – außer ihnen tat das leider niemand. Die Kinder schienen mich auf meine Fehlbildung zu reduzieren. Ich war für sie ein Objekt und kein kleiner Junge. Jedoch waren Kinder nicht die einzigen, die mich anstarrten – auch Erwachsene taten es, was sogar noch schlimmer war. Eines Tages auf einem Markt an der 207th Street, einen Katzensprung von unserer Wohnung entfernt, fiel mir auf, dass ein Erwachsener, der in der Schlange stand, mich angaffte, als wäre ich ein Ding und kein Mensch. Ich wünschte mir nur, dass er aufhören würde. Wenn dich jemand anstarrt, ist die Situation nicht nur auf dich und diese Person beschränkt. Ein solches Verhalten zieht Aufmerksamkeit auf sich – und im Mittelpunkt zu stehen, war der Horror für mich. Ich fand die musternden Blicke und das gnadenlose Interesse sogar noch übler als Spott und Hohn. – Fast überflüssig hinzuzufügen, dass ich nicht viele Freunde hatte.
An meinem ersten Tag im Kindergarten wollte ich, dass meine Mutter sobald wie möglich wieder ging, was sie stolz machte. Allerdings hatte ich dafür einen anderen Grund, als sie dachte. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich nun unabhängig und selbstsicher gewesen wäre. Ich wollte nur nicht, dass sie mitbekäme, wie ich angestarrt würde. Sie sollte nicht sehen, dass ich anders behandelt würde. Ich befand mich in einer neuen Umgebung mit neuen Kindern und wollte nicht vor ihr gedemütigt werden. Dass sie stolz auf mich war, zeigte mir, dass sie keine Ahnung von mir hatte. Meine Ängste waren ihr zu hoch.
Eines Tages kam ich weinend heim. „Jemand hat mir ins Gesicht gespuckt“, schluchzte ich. Ich suchte Aufmunterung und Schutz bei meiner Mutter. Ich nahm an, sie würde mich fragen, wer das getan hätte, um im Anschluss die Eltern des anderen Kindes zu finden und ihnen klarzumachen, dass so ein Verhalten nicht akzeptabel wäre. Aber stattdessen sagte sie: „Heul dich nicht bei mir aus, Stanley. Du musst deine Kämpfe schon selbst austragen.“
Meine Kämpfe selbst austragen? Ich bin fünf!
Ich will niemandem wehtun. Ich will nur, dass mich die Leute in Frieden lassen.
Eine Stunde später ging ich allerdings wieder hinaus, fand den Jungen und verpasste ihm eine aufs Auge. Er konnte sich da aber schon nur mehr dunkel an den ganzen Vorfall erinnern und wusste sich gar nicht zu erklären, warum ich so eine große Sache daraus machte.
Eines war danach klar: Mein Zuhause war nicht der Ort, an dem ich Hilfe finden würde. Egal, ob ich verprügelt, gehänselt oder sonst irgendetwas würde, ich musste mich schon selbst darum kümmern.
Wir lebten praktisch neben der PS 98, der Grundschule, die ich besuchte. Der Schulkomplex umfasste drei verschiedene Höfe, die durch Maschendrahtzäune getrennt waren. Da gab es einen Jungen, dessen Name ich nicht kannte, der aber dafür meinen wusste. Aus sicherer Entfernung rief er mir, kaum dass er mich erblickt hatte, von der anderen Seite des Zauns hinterher: „Stanley, das einohrige Monster! Stanley, das einohrige Monster!“
Ich hatte keine Ahnung, woher mich dieser Junge kannte. Alles, was mir durch den Kopf schoss, war: Warum tust du mir das an? Du tust mir weh. Wirklich, wirklich weh.
Er war ein normaler, unauffälliger Schüler in meinem Alter und hatte braune Haare. Außerdem hätte ich ihn, wenn ich ihn in die Finger bekam, leicht verhauen können, da er nicht besonders groß war. Aber er blieb stets außerhalb meiner Reichweite auf der anderen Seite des Zauns oder auf der anderen Seite des Schulhofs, von wo er leicht in die nahe gelegenen Wohnblocks entkommen konnte, bevor ich ihn mir hätte vorknöpfen können.
Wenn ich diesen Jungen nur drankriegen könnte.
Aber eines Tages schnappte ich ihn tatsächlich. Ich hörte ihn wieder einmal rufen: „Stanley, das einohrige Monster!“ So wie immer eben. Zuerst zuckte ich zusammen. Die Stimme in meinem Kopf bettelte: Hör doch endlich auf damit! Alle können dich hören! Deinetwegen starren sie mich jetzt alle an!
Und so wie immer gab es kein Entrinnen vor den Blicken.
Aber dieses Mal war ich schneller als er und griff ihn mir. Er hatte eine Scheißangst. „Schlag mich nicht!“, heulte er. Er sah aus wie ein verängstigtes Kaninchen.
„Dann hör endlich auf damit!“, sagte ich ihm, während ich ihn festhielt. Ich schlug ihn nicht. Als ich ihn so sah, wollte ich nicht mehr. Ich hoffte, dass er mich in Ruhe lassen würde, wenn ich ihn verschonte. Also ließ ich ihn ziehen. Er war kaum 30 Meter von mir entfernt, da drehte er sich zu mir um und krakeelte erneut: „Stanley, das einohrige Monster!“
Warum?
Warum tust du mir das bloß an?
Warum nur?
Obwohl ich nicht in der Lage war, es in Worte zu fassen, fühlte ich mich unfassbar verwundbar und nackt, unfähig, mich vor den Blicken und den Hänseleien, die überall auf mich lauerten, zu schützen. Und so entwickelte ich schon früh ein explosives Gemüt.
Statt meine Ausbrüche als Hilferuf zu interpretieren, reagierten meine Eltern mit Drohungen. „Wenn du damit nicht aufhörst“, sagten sie in drohendem Ton, „schicken wir dich zum Psychiater.“ Ich hatte zwar keine Ahnung, wer oder was ein Psychiater war, aber es hörte sich bedrohlich an, nach einer diabolischen Bestrafung. Ich stellte mir vor, dass ich in ein Krankenhaus verfrachtet würde, wo man mich einer qualvollen Behandlung unterzöge.
Nicht, dass ich mich zu Hause jetzt besonders behütet gefühlt hätte: Meine Eltern gingen regelmäßig aus und ließen mich und meine Schwester Julia, die nur zwei Jahre älter als ich war, alleine zurück. „Macht bloß niemandem die Tür auf“, war alles, was sie uns rieten. Dann waren meine achtjährige Schwester und ich mit meinen sechs Jahren auf uns gestellt. Wir hatten eine solche Angst, dass wir mit Messern und Hämmern unter unseren Kissen zu Bett gingen. Am nächsten Morgen standen wir früh genug auf, um unsere Waffen wieder an ihre angestammten Aufbewahrungsorte zurückzuschmuggeln, um nicht von unseren Eltern angeschrien zu werden.
Ich teilte mir mit Julia ein kleines Zimmer. Meine Eltern schliefen auf einer ausziehbaren Couch im Wohnzimmer. Julia hatte schon sehr früh mentale Probleme. Meine Mutter sagte, dass sie schon immer „anders“ gewesen sei, sogar schon als Baby. Sie war wild und gewalttätig. Sie machte mir Angst, und während meine eigenen Probleme sich verschlimmerten, trug ich mich mit der Sorge, dass ich genau wie sie werden könnte.
Meine Eltern waren mir da keine große Hilfe, aber andererseits unterstützten sie sich auch gegenseitig nicht besonders. Meine Mom – sie hieß Eva – war sehr dominant, und mein Dad – William – nahm ihr das übel. Sie präsentierte sich gerne als stark und ihn als unterwürfig. Sie sah sich als die Klügere von beiden, aber eigentlich war es eher mein Dad, der sehr gescheit und belesen war.
Er hatte bereits mit sechzehn die Highschool abgeschlossen, und unter anderen Umständen wäre er womöglich aufs College gegangen. Jedoch bestand seine Familie darauf, dass er arbeiten ging, um Geld nach Hause zu bringen – was er dann auch tat. Als ich schließlich zur Welt kam, arbeitete mein Dad Vollzeit als Büromöbelverkäufer. Notgedrungen akzeptierte