Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley

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Hinter der Maske - Die Autobiografie - Paul  Stanley

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halten, aber immer, wenn ich von so einer Situation zu ihnen kam und nach Sicherheit suchte, ließen sie mich wieder hängen. „Ignoriere es, dann wird schon alles gut“, blieb das Credo unseres Haushalts. Die alte Leier. Ich hätte mich über etwas mehr Rückendeckung anstelle von Haue gefreut, aber da war einfach nichts zu machen. Meine Eltern weigerten sich standhaft, meine Probleme wahrzunehmen, obwohl sie nicht von der Hand zu weisen waren. Ich schlafwandelte zu Hause. Manchmal kam ich dann in der Nacht zu mir und realisierte, dass ich im Wohnzimmer stand. Manchmal bekam ich auch mit, wie mich meine Eltern zurück in mein Zimmer führten. Sie wussten Bescheid, wollten es aber nicht wahrhaben, und was wirklich schieflief, wollten sie gar nicht wissen.

      Ich hatte auch zwei wiederkehrende Albträume. In einem davon war es stockfinster und ich befand mich auf einem Schwimmdock auf einer riesigen Wasserfläche, weit von jeder Küste entfernt. Ich war gestrandet und ganz allein. Schließlich schrie ich um Hilfe. Nacht für Nacht. Ich wachte dann schreiend in meinem Bett auf.

      Im zweiten Albtraum saß ich auf der Fahrerseite eines Autos, das einen dunklen, leeren Highway entlang schoss. Das Gefährt hatte kein Lenkrad. Ich versuchte es durch Gewichtsverlagerung zu manövrieren, aber hatte letztlich keine Chance, es unter Kontrolle zu bringen.

      Jede Nacht weckten mich diese Albträume ruckartig, sodass ich schrie, verwirrt und zu Tode erschrocken war.

      Auch der Zustand meiner Schwester verschlechterte sich zusehends. Als ich in die Junior-High kam, wurde Julias Verhalten immer selbstzerstörerischer. Meine Eltern begannen, sie vorübergehend in staatliche Heilanstalten zu geben. Nachdem das wenig Wirkung zeigte, gaben sie ein Vermögen für eine teure psychiatrische Privatklinik aus. Wenn sie zu Hause war, büxte sie oft aus und meine Eltern verbrachten ihre Tage damit, sie zu suchen. Ab und an wachte ich morgens auf und sah, dass meine Eltern wieder einmal keinen Schlaf gefunden hatten. Ich wunderte mich dann: Wird sie das alles noch umbringen?

      Julia hing zumeist im East Village ab, schlief in den Wohnungen diverser Leute und nahm Drogen und Medikamente. Als sie einmal wieder bei uns war, klaute sie die Silberdollars, die meine Mutter in einer Schublade gesammelt hatte, um sich Medikamente zu besorgen. Ich weiß mittlerweile, dass das, was sie tat, Selbstmedikation heißt, aber damals durchblickte ich das Ganze nicht wirklich. Wenn sie weg war, war sie weg. Und wenn sie da war, hatte ich Schiss vor ihr.

      An einem Nachmittag holten meine Eltern Julia von einer Einrichtung ab, wo man sie einer Elektroschock-Therapie unterzogen hatte – und ließen mich mit ihr allein. Sie lieferten sie einfach bei uns ab und ließen mich mit dieser Spinnerin von Schwester, die gerade einmal ein paar Stunden aus der Nervenheilanstalt draußen war, alleine zurück! Während sie weg waren, wurde Julia sauer und jagte mich mit einem Hammer bewaffnet durch die Wohnung. Ich hatte eine Heidenangst.

      O Gott, kommt doch endlich zurück.

      Dann hörte ich einen Mordskrach. Julia schwang den Hammer wie wild gegen die Tür und ließ nicht mehr locker.

      Bäng! Bäng! Bäng!

      Sie hämmerte mit voller Kraft, bis das Holz nachgab und splitterte. Dann hörte sie plötzlich auf. Der Hammer war im Holz steckengeblieben, und auf einmal herrschte Stille. Ich kauerte mich zusammen und zählte die Minuten und Stunden.

      Werden sie kommen, bevor es wieder losgeht?

      Dann kamen sie endlich.

      „Was ist denn hier passiert?“, fragten sie. Ich erklärte ihnen, dass Julia mich mit einem Hammer verfolgt hatte. Aber nun fuhren sie mich an, als ob es meine Schuld gewesen wäre. Zuerst schrien sie mich an, dann schlugen sie mich. Ich hatte solche Angst gehabt, und nun kannte ich mich überhaupt nicht mehr aus.

      Ihr habt mich mit ihr allein gelassen! Das war eure Entscheidung, nicht meine! Sie hat versucht, mich umzubringen!

      Auch die Schule war weiterhin eine Herausforderung. Noch in der Grundschule wurde ich in den Begabtenzweig geschickt, und auch in der Junior-High landete ich wieder in der Begabtenklasse.

      Ich hätte das nicht auf Grundlage meiner Noten geschafft, da ich kein sehr guter Schüler war, jedoch öffnete mir eine Art Intelligenztest die Tür in diese Klasse. Obwohl mein IQ es rechtfertigte, dass ich die Begabtenklasse besuchte, war ich einer der schlechteren Schüler dieses Zweigs. Ich denke, alle wunderten sich über mich und dachten, dass ich nicht lernen wollte. Was allen verborgen blieb, war, dass mein Gehör einen schrecklichen Nachteil für mich darstellte. Vieles konnte ich einfach gar nicht wahrnehmen. Und wenn ich erst einmal einen Satz überhört hatte, kannte ich mich nicht mehr aus. Sobald ich den roten Faden verloren hatte, gab ich auf.

      Bei Elternabenden erzählten meine Lehrer meinen Eltern stets dasselbe: „Er ist intelligent, aber er bringt sich nicht ein“, oder „Er hat Köpfchen, aber er schöpft sein Potenzial nicht aus.“ Kein Lehrer sagte jemals: „Er ist ein aufgeweckter Junge, aber er kann nicht verstehen, was ich sage.“

      Damals blieben derartige Einschränkungen einfach unbemerkt.

      Andererseits: Meine Eltern wussten, dass ich auf einer Seite taub war – und trotzdem kamen sie nach jedem Elternabend nach Hause und rügten mich: „Gott hat dir dieses wundervolle Gehirn geschenkt und du benutzt es nicht.“

      Ich weinte und fühlte mich schuldig. „Ab morgen werde ich mich bessern“, gelobte ich.

      Zweifellos ein guter Vorsatz. Dann ging ich am nächsten Tag in die Schule und war immer noch taub, worauf ich mich bald wieder wie ein Loser fühlte.

      Ich wusste, dass die Dinge einen üblen Verlauf nehmen würden, wenn ich nichts unternahm. Sollte das bedeuten, dass ich scheitern würde? Dass ich mich umringen würde? Ich war mir nicht sicher. In diesem Unglück zu leben, eine Lüge zu leben, andere Menschen darunter leiden zu lassen – ich wusste, dass das alles falsch war. Ich wusste nicht, wo es enden würde, aber ich wusste, dass es schlecht enden würde. Es war eine schreckliche Lage, die mich vor allem in der Nacht sehr beschäftigte. Zusätzlich zu den Albträumen und dem Schlafwandeln wurde ich nun auch noch ein Hypochonder: Ich dachte, ich würde abkratzen. Ich lag nachts wach und hatte Angst einzuschlafen, weil ich befürchtete, nicht mehr aufzuwachen. Irgendwann döste ich dann doch ein, da ich meine Augen nicht mehr offenhalten konnte. Das wiederholte sich jede Nacht.

      Du stirbst. Du steckst in der Scheiße.

      Dann – sieh da! – bekam ich mein erstes Transistorradio. Es eröffnete mir den Zugang in ein ganz neue Welt, in die ich gehen konnte, wann immer ich den Ohrhörer in mein funktionierendes linkes Ohr steckte. Musik gewährte mir wieder einmal Zuflucht und bescherte mir zumindest ein flüchtiges Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.

      Und im Februar 1964, ein paar Wochen nach meinem zwölften Geburtstag, sah ich die Beatles in der Ed Sullivan Show. Als ich ihren Auftritt verfolgte, durchfuhr es mich: Das ist meine Fahrkarte in die Freiheit. Hier war das Transportmittel, das mich aus dem Unglück führen und mit dessen Hilfe ich berühmt, bewundert und beneidet werden würde.

      Und ohne jegliche rationale Grundlage war ich überzeugt: Das kann ich auch. Ich kann in dieselbe Kerbe schlagen. Ich hatte noch nie zuvor Gitarre gespielt und schon gar keinen Song geschrieben. Und doch war dies mein Ticket in die Freiheit.

      Ich wusste es einfach.

      Ich fing sofort an, mir die Haare wachsen zu lassen, da ich eine Pilzkopffrisur wie die Beatles anstrebte. Natürlich tat ich dies nicht nur, weil mir der Schnitt gefiel, sondern auch, um mein Stummelohr auf der rechten Seite meines Kopfes zu verbergen. Irgendwie ging dieses Motiv völlig an meinen Eltern vorüber. Sie gingen mir wegen meiner Haare auf die Nerven und drohten mir, sie mir abzuschneiden.

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