Hinter der Maske - Die Autobiografie. Paul Stanley

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Hinter der Maske - Die Autobiografie - Paul  Stanley

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daheim; vorher war sie als Krankenschwester und als Hilfslehrerin an einer Sonderschule tätig gewesen. Später arbeitete sie dann in einer Einlösestelle, wo Leute sich irgendwelche Sachen abholen konnten, nachdem sie Heftchen mit Stempelmarken gefüllt hatten, die in verschiedenen Läden für Kundentreue ausgegeben wurden.

      Die Familie meiner Mutter war vor den Nazis aus Berlin zuerst nach Amsterdam geflüchtet. Sie hatten alles zurücklassen müssen. Meine Großmutter hatte sich von ihrem Mann scheiden lassen, was damals eher selten war. Nachdem sie erneut geheiratet hatte, zogen sie nach New York. Familienmitglieder meiner Mutter waren anderen Menschen gegenüber sehr herablassend. So waren sie sich nicht zu blöd, sich über meine Haare oder meine Klamotten lustig zu machen. Ich fand bald heraus, dass es für diese Arroganz und Selbstgerechtigkeit überhaupt keine Grundlage gab. Sie waren nicht erfolgreich, einfach nur respektlos. Wenn du nicht einer Meinung mit meiner Mutter warst, dann sagte sie einfach nur: „Oh, ich bitte dich“, was sie mit verachtungsvollem Ton ausstieß, um dir klarzumachen, dass deine Meinung nicht im Geringsten zählte.

      Die Eltern meines Vaters stammten aus Polen. Er war das jüngste von vier Kindern. Mein Dad erzählte mir, dass sein ältester Bruder – Jack – als Buchmacher arbeitete und Alkoholiker war. Sein anderer Bruder – Joe – litt immer schon unter unkontrollierbaren manischen Stimmungsschwankungen, die ihn sein ganzes Leben lang stark einschränkten. Außerdem hatte Dad noch eine Schwester namens Monica, die anscheinend dem Druck ihrer Mutter nachgab, nicht das heimische Nest zu verlassen, und ihr Leben lang unverheiratet blieb. Schon als Kind fand ich diese Erwartungshaltung meiner Großmutter ziemlich selbstsüchtig. Mein Dad erzählte mir auch von einer schwierigen und unglücklichen Kindheit. Er verabscheute seinen Vater, der schon vor meiner Geburt verstorben war.

      Meine Eltern waren keine glücklichen Menschen. Ich weiß nicht, worauf ihre Ehe beruhte, außer dem, was später als Co-Abhängigkeit bezeichnet werden sollte. Es gab keine Wärme oder Zuneigung bei uns. Freitag war meist der schlimmste Tag der Woche. Mein Vater regte sich auf, und das Resultat war unvermeidlich: Meine Eltern zerstritten sich und daraufhin sprach mein Vater dann das ganze Wochenende kein Wort mit meiner Mutter. Wenn man sich eine Stunde lang so benimmt, ist das schon kindisch, aber es ist echt verrückt, seine eigenen Eltern tagelang so zu sehen.

      Zusätzlich zu den Problemen, die sie selbst miteinander hatten, beschäftigte meine Eltern auch noch meine Schwester, die jahrelang zwischen Nervenheilanstalten und zu Hause pendelte. Da ich als das gute Kind galt, bekam ich immer weniger Aufmerksamkeit von meinen Eltern. Das gute Kind zu sein hieß in meinem Fall nicht, gelobt zu werden – es bedeutete, dass ich ignoriert wurde. Deshalb ließ man mich so ziemlich alles tun, was ich wollte. Das gab mir nicht wirklich ein Gefühl von Sicherheit. Sicherheit kommt von Grenzen und Regeln – ohne solche fühlte ich mich verloren, ungeschützt und verletzlich. Ich wollte keine meiner Freiheiten und genoss sie nicht. Eigentlich war genau das Gegenteil der Fall: Ich war fast wie gelähmt vor Angst, weil niemand da war, um mir zu sagen, dass ich mich in Sicherheit befand.

      Ich war sehr oft allein. Jeder neue Tag brachte Unsicherheit mit sich, als würde ich mich ohne Fangnetz über einem Abgrund bewegen. Jedes Mal hieß es, dass ich mich einer Welt stellen musste – für die ich mich aber unzureichend gerüstet fühlte. Und ich musste mir große Mühe geben, die unausgesprochenen Botschaften, die ich zu Hause erhielt, zu dechiffrieren.

      In der Musik fand ich meine Zuflucht.

      Musik war eines der wenigen großartigen Geschenke, das ich von meinen Eltern erhielt – dafür werde ich ihnen auch immer dankbar sein. Sie gaben mir zwar oft das Gefühl, wie ein Schiffbrüchiger zu treiben, aber trotzdem warfen sie mir – ohne es zu wissen – ein Rettungsseil zu. Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal Beethovens 5. Klavierkonzert in Es-Dur hörte. Ich war fünf Jahre alt und war total von den Socken. Meine Eltern machten Kunst und Kultur zu einem natürlichen Bestandteil unseres Lebens. Sie liebten klassische Musik. Sie hatten eine große hölzerne Musiktruhe von Harman/Kardon und lauschten am liebsten den Klängen von Komponisten wie Sibelius, Schumann oder Mozart. Aber es war vor allem Beethoven, der mich in Staunen versetzte.

      An den Wochenenden hörte ich mit meiner Mom Live from the Met auf WQXR, eine Tradition, die sich auch fortsetzen sollte, als ich älter wurde. Sobald ich begann, Radio zu hören, entdeckte ich auch den Rock ’n’ Roll. Egal, ob Eddie Cochran, Little Richard oder Dion & The Belmonts – es war reinste Magie. Sie sangen über das Leben der Teenager, von dem ich sogleich zu träumen anfing. All diese Oden an eine idyllisch verklärte Vorstellung von Jugendlichkeit berührten mich sehr. Sie erfüllten mich mit Vorfreude auf meine eigene Zeit als Teenager und transportierten mich an einen wunderbaren Ort, an dem die größten Sorgen den Beziehungen und der Liebe galten. Mensch, was für ein perfektes Leben diese jungen Leute haben mussten!

      Eines Nachmittags ging ich mit meiner Großmutter spazieren. Wir überquerten die Brücke in die Bronx, wo ein Schallplattenladen lag. Wir gingen hinein und meine Großmutter spendierte mir meine allererste Schallplatte, eine Shellack-Single, die auf 78 Umdrehungen in der Minute lief: „All I Have to Do Is Dream“ von den Everly Brothers.

      When I want you to hold me tight …

      Während die meisten anderen Kinder durch die Nachbarschaft tollten und Cowboy und Indianer spielten, saß ich drinnen und hörte wie besessen Sachen wie „A Teenager in Love“ und „Why Do Fools Fall in Love“. Eine Zeit lang wurden viele alte Standards in Doo-Wop-Versionen neu eingesungen und ich war richtig genervt, wenn meine Mom einen davon in der Wohnung vor sich hin trällerte. „So geht der nicht, Mom! Hör zu, der geht so …“ Dann sang ich etwa den „dip da dip dip dip“-Teil aus „Blue Moon“, einem Klassiker aus den Dreißigerjahren, in der Version der Marcels. Manchmal gab sie sich respektlos gegenüber dem neumodischen Kram, doch zumeist fand sie es einfach nur amüsant.

      Und dann sah ich schließlich auch einige der Sänger und Bands, die mir so gefielen, mit eigenen Augen.

      Der berühmte Rock-’n’-Roll-DJ Alan Freed begann ungefähr gleichzeitig mit Dick Clarks neuer landesweit ausgestrahlten Sendung American Bandstand im Fernsehen aufzutreten. Die Wildheit und die Gefahr, die etwa ein Jerry Lee Lewis ausstrahlte, ließen mich alles andere als kalt – zum Beispiel, wenn er seinen Piano-Schemel wegtrat und seine Haare mit einer Kopfbewegung herumschleuderte. Was allerdings doch an mir vorbeiging, war die Sexualität der Musik. Das war auch nicht sonderlich überraschend angesichts dessen, was ich von zu Hause kannte. Die romantische Fantasie, die mir vorschwebte, war rein und steril, und sogar als ich älter wurde, behielt ich diesen Blick auf die Welt bei. Es sollten noch viele, viele Jahre vergehen, bis ich begriff, wovon ein Song wie „Will You Still Love Me Tomorrow“ von den Shirelles tatsächlich handelte.

      Und trotzdem waren all diese Leute cool. Sie waren cool, weil sie sangen. Sie waren auch deswegen cool, weil ihnen andere ihre Aufmerksamkeit schenkten und ihnen zujubelten. In Form ihres Publikums hatten diese Musiker alles, nach dem ich mich als kleiner Junge verzehrte.

      Bewunderung. Wow!

      Außer uns lebten noch ein paar andere jüdische Einwandererfamilien im Norden Manhattans, aber die Gegend war überwiegend irisch geprägt. Unsere unmittelbaren Nachbarn waren zwei liebenswürdige katholische Schwestern namens Mary und Helen Hunt, die beide nie geheiratet hatten. Sie wurden zu so etwas wie Großmütter oder Tanten für mich. Als mein Zwang, es meinen neuen Idolen gleichzutun, stärker wurde, ging ich regelmäßig zu ihnen rüber in ihr Apartment, um für die beiden zu singen und zu tanzen. Sobald ich irgendeinen Song gelernt hatte, klopfte ich bei ihnen und trug ihn vor, während ich mich selbst mit einer kleinen Choreografie begleitete, was hieß, dass ich zumeist von einem auf das andere Bein hüpfte.

      Wenn ich sang, milderte es vorübergehend meine Zweifel und meinen Schmerz.

      Es fühlte sich einfach so richtig an.

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