Wie ein Regenbogen. Simon Wells
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1962 eröffnete Fraser eine Galerie an der Duke Street 69 in London, die seinen eigenen Namen trug. Innerhalb des verstaubten und traditionalistischen Mayfair war sie eine sprichwörtliche „Landmine“ und entwickelte sich zu einer Art Leitstern für das Schräge, Außergewöhnliche und Ungewöhnliche. Schon nach kurzer Zeit stellten dort unter anderen Richard Hamilton, Bridget Riley, Peter Blake und Eduardo Paolozzi regelmäßig aus, während ein begehrter Abschnitt der Räumlichkeiten den Ikonen aus Übersee vorbehalten blieb wie zum Beispiel Andy Warhol und Jean Dubuffet.
Von Fraser eingeladen, ihn auf heimischem Terrain zu besuchen, nahm Mario Anita mit in die Metropole, noch bevor sie sich in das „Swinging London“ verwandelte. Wie sich Anita später erinnerte, begann die Pilgerreise in Frazers Welt mit einer Mahlzeit in dem protzigen französischen Restaurant Chez Victor im Londoner Westend. Bei diesem frühen Gipfeltreffen aufeinanderprallender Kreise waren einige Persönlichkeiten anwesend, die Eingang in Anitas sich ständig füllendes Notizbuch fanden: der Designer und ihr zukünftiger Model-Agent Christopher Gibbs und der Aristokrat Mark Palmer. Frasers Modegeschmack war so wundersam wie seine Kunstauffassung. Anita erzählte, dass er bei dem Treffen einen aquamarinfarbenen Anzug trug, der den Anwesenden die Tränen in die Augen trieb.
Durch die Bekanntschaft mit Gibbs und Fraser hingen Mario und Anita mit Londons aufblühender, cooler Aristokratie ab. Sie verbrachten ihre Zeit im Haus von Lord Harlech (David Ormsby-Gore) im Stadtteil Chelsea, wo sie seinen Kindern Jane, Julian sowie Victoria Ormsby-Gore begegneten. Die Teenager tauschten während des erstes Aufkommens der Beatlemania mit den Gästen Informationen über die neuen Bands aus, die Europa eroberten.
Trotz des stetig ansteigenden Erfolgs auf dem Kontinent träumte Mario davon, auch in New York Fuß zu fassen, denn 1963 war die Stadt das Epizentrum der modernsten Kunst und meilenweit von den erstickenden Beschränkungen Roms entfernt.
Ein Jahr zuvor waren Schifanos Arbeiten Teil der „New Realists“-Ausstellung in der Sidney Janis Gallery in New York gewesen. Zwei seiner Bilder hingen neben Werken von Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Jim Dine. Schifanos gefühlsbetonte Präsentation schlug bei der gefeierten Zusammenkunft hohe Wellen, woraufhin ein Kritiker schrieb, dass der Italiener „die Party im Sturm genommen hat“. Da sein Name nun im Big Apple die Runde machte, war die Anziehungskraft New Yorks für ihn überaus stark.
„Er redete ständig von Rauschenberg und Jasper Johns“, beschrieb Anita den überwältigenden Einfluss, den die beiden Künstler auf Mario hatten. „Amerika war wie ein Traum, eine andere Welt. Eines Tages sagte ich zu ihm: ‚Ich habe einen Cousin, der in New York lebt, und auch einen Onkel, dem ein Reisebüro gehört.‘ Er verschaffte uns Karten, die wir nicht sofort bezahlen mussten, und wir entschieden uns, [Rom] zu verlassen. Wir hatten das Gefühl, es sei der richtige Moment.“
Die beiden reisten Anfang Dezember 1963 ab. Sie hatten die Tickets nur wenige Tage nach dem Attentat auf Präsident Kennedy reserviert. Bevor sie Rom verließen – die Nachricht ihres Neubeginns wurde in der Künstlergemeinschaft der Stadt heiß gehandelt –, wurden sie von einem lokalen Bildhauer angesprochen, der sie bat, einem seiner amerikanischen Freunde ein Päckchen zu übergeben. Der Empfänger war der New Yorker Mafiaboss Vito „Don Vitone“ Genovese.
Als sie Neapel zur Überseefahrt mit dem Transatlantikschiff Christoforo Colombo erreichten, stellten die beiden fest, dass sie dank der Beziehungen von Anitas „Reisebüro-Onkel“ in einer besseren Klasse reisten. Pallenberg erzählte, dass ihr bei der Überfahrt die Kluft zwischen den Klassen deutlich aufgefallen war, da die Ärmeren und Auswanderer in den Kabinen unter Deck hausten, wohingegen die gut betuchten Reisenden eine erheblich luxuriösere Unterbringung genossen. Während der neuntägigen Reise nach New York musste das Schiff einige schreckliche Stürme überstehen. Einmal wurde es so schlimm, dass man die Möbel am Boden festnagelte. Weder Anita noch Mario wurden seekrank, und wenn es das Wetter erlaubte, genoss das Paar die atemberaubende Aussicht. Als leidenschaftlicher Fotograf dokumentierte Schifano das Leben an Bord der Christoforo Colombo, und wie sein Portfolio der Überfahrt beweist, gestattete er auch anderen Reisenden, mit seiner Kamera Fotos von dem glücklichen Paar zu machen. Auf seinem und Anitas Gesicht war deutlich die Vorfreude zu erkennen, während sie sich New York näherten.
Wie abgesprochen, trafen die beiden am Dock von Ellis Island Vito Genovese in einem schwarzen Taxi, der die beiden – nachdem das Päckchen sicher übergeben worden war – durch die Stadt zu Anitas Cousin brachte, wo sie sich erst mal ausruhten. Unmittelbar nach Kennedys Tod schien die ganze Stadt mit einem traurig-dunklen Farbton eingefärbt zu sein.
„Ich werde niemals vergessen, wie wir New York erreichten“, erinnerte sich Anita 2017. „Auf der 42nd Street sah ich all die Anzeigetafeln und Plakate mit einem schwarzen Rahmen. Als Hinweis auf Kennedys Tod hatte man auch zahlreiche Plakate mit Schwarz übertüncht.“
Auch wenn sie in einer Stadt ankamen, die in einen Nebel des Trauerns eingehüllt war, zeigte sich deutlich das Gefühl der Befreiung aus den italienischen Gegebenheiten. Schifano schrieb einem Freund: „Ich fühle mich großartig, so weit von dem wählerischen, nutzlosen Rom entfernt zu sein.“
Nach der Ankunft bei Anitas Cousin versuchte sich das Paar so gut wie möglich einzuleben. Sie wohnten in einem der wohlhabenderen Bezirke der Stadt, denn Anitas Cousin hatte eine leitende Position bei dem einflussreichen Nachrichtenmagazin Newsweek inne. In dem Haus wohnte auch Anitas Onkel, der die eher liberalen Ansichten der Gäste überhaupt nicht teilte. Schnell stellte sich eine gegenseitige Antipathie heraus. Anita erinnerte sich 2017: „Wir machten in der weißen amerikanischen Umgebung eine schlimme Zeit durch. Mario stritt sich ständig mit meinem Onkel. Er war ein weißer Mann, der sich von der Überlegenheit seiner Rasse überzeugt zeigte und überhaupt nicht fortschrittlich dachte.“
Bei dem Versuch, seinen Traum zu verwirklichen, hatte Schifano große Probleme, sich in die Künstlerkreise der Stadt zu integrieren. Anita beschrieb einige der Charaktere als „verdammt eklige Typen, zynisch und snobistisch … [Sie] dachten, die Italiener wären auf keinem hohen Niveau, und wollten weiterhin nur mit den eigenen Künstlern Geld verdienen.“
Der Dichter und Warhol-Mitarbeiter Gerard Malanga erinnert sich. „Da war der gut aussehende junge Typ aus Italien – ein äußerst charmanter Mensch und höchst talentiert. Und er kam in die New Yorker Szene in der Erwartung, dass man ihn willkommen hieß. Doch leider verfügte er über keine hilfreichen Kontakte in der Stadt.“
Mario und Anita bauten dann aber eine enge Beziehung zu dem in New York lebenden Dichter Frank O’Hara auf. Der eher sachliche O’Hara besaß ein klar umrissenes Talent und verbrachte seine Zeit teils als Autor und teils als assistierender Kurator am Museum of Modern Art. Ungeachtet seiner starken Verbindungen zu den in der Stadt schöpferisch tätigen Künstlern beeindruckte ihn Schifanos Status als Außenseiter, was ihn eine starke Seelenverwandtschaft spüren ließ, und so lud der Dichter Mario und Anita in seinen Zirkel ein.
O’Hara wusste über die missliche Wohnsituation der beiden bei Anitas Verwandten und verhalf ihnen zu einer Loftwohnung in einem im Herzen von Greenwich Village gelegenen Wohnblock, der ihm gehörte. Die Räume in der Broadway Avenue 791 waren ausladend und so angenehm, dass alle Bedürfnisse der beiden erfüllt wurden – und das für eine eher symbolische Miete. Im Parterre befand sich ein Orthopädiegeschäft, das Prothesen verkaufte, doch in den darüber liegenden vier Stockwerken beherbergten die Wohnungen schillernde Künstlergestalten, wobei O’Hara „der Dichter unter den Malern“ war und die Rolle des netten Vermieters spielte. Während New Yorks kreative Lichtgestalten im Gebäude aus und ein gingen, richteten sich Mario und Anita in den Räumlichkeiten mit den hohen Decken ein. Fotos des Paars in ihrem Zuhause zeigen sie vor einem Müllhaufen aus den Resten von Marios Kollagen-Arbeiten posierend und belegen eine beinahe schon „erwachsene Glückseligkeit“.