Wie ein Regenbogen. Simon Wells

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wie ein Regenbogen - Simon Wells страница 9

Wie ein Regenbogen - Simon  Wells

Скачать книгу

aufgefallen: Die deutsche Schauspielerin Nico und das Model Donyale Luna. Anita und Nico, die beide nicht dazu neigten, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, stritten sich häufig darüber, wer denn nun zuerst in New York angekommen sei, was auf ein Konkurrenzdenken hinwies, das sich auf alle Lebensbereiche erstrecken sollte. In den folgenden Jahren kreuzten sich ihre Wege häufig, doch die Antipathie zwischen den beiden blieb bestehen.

      Das Living Theatre hatte eine wahre Freude daran, jedes Element der Konventionen und der Zensur anzugreifen. Die wohl spektakulärste und provokanteste Präsentation war die Marathon-Aufführung Paradise Now, ein teils auf Improvisationen beruhendes Stück, das die Barrieren zwischen Zuschauer und Performer niederreißen sollte. Die interaktive Ausrichtung ließ die Darbietung eher wie ein Happening aussehen. Regelmäßig gab es erboste Aufschreie im Publikum, da die „Schauspieler“ die Bühne verließen, um die Gäste zu traktieren, anzufeinden oder auszuschimpfen. In zahlreichen Büchern und Artikeln findet sich die Behauptung, dass Anita an dem Paradise Now-Event teilgenommen habe, doch das Living Theatre hatte schon längst die Stadt verlassen, bevor Anita überhaupt ankam. Der Druck der Behörden zermürbte die Truppe, woraufhin sie dem kreativen Zeitgeist nach Rom folgte, zumal die Regularien in Europa nicht so streng waren. Sie hatte sich schon zuvor in der Stadt aufgehalten, besonders während der harten Winter an der Ostküste der USA. Dennoch – die Energien, die sie mit ihren Aktivitäten in New York freigesetzt hatte, wirkten nach, und die Vitalität und der anarchistische Freigeist beeinflussten auch Anita. Rufus Thomas, der Anführer der Schauspielerschar und später der berühmte Regisseur von Hair und Jesus Christ Superstar, freundete sich schließlich mit Anita, Mitgliedern der Stones und besonders Robert Fraser an.

      Im Lauf der Sechzigerjahre kam es zu weiteren zwar nicht so bissigen, doch ähnlich explosiven kreativen Ausbrüchen. Die Ankunft der Beatles im Februar 1964 in New York alarmierte die Staaten, dass sich eine neue Jugendbewegung in Großbritannien Bahn brach, angetrieben von einem Haufen aktueller Bands. Jung, rau, gefühlvoll und zu dem Zeitpunkt partiell schon vermögend, sandten sie ein neues Lebensgefühl rund um den Globus aus, das junge Menschen ansprach und darüber hinaus leicht zugänglich war. Für Mario stellte die neue Welle überwiegend englischer Bands eine Art von Offenbarung dar. Er beobachtete die tumultähnliche Resonanz, die diese Gruppen hervorriefen, und wurde von dem gottähnlichen Status verzaubert, den sie innehatten. Als die Welt von diesen kreativen Senkrechtstartern wie von einem Erdbeben erschüttert wurde, begann er über seine Kollagen hinauszublicken und versuchte sich dieser neuen Bewegung anzuschließen.

      Auch Anita konnte sich der explosionsartig verbreitenden Jugendbewegung nicht entziehen, die jeden Winkel der Welt eroberte. Der kreative Brennpunkt bewegte sich weg von New York. Sogar ein untrainiertes Auge erkannte, dass die weitaus größere „Action“ in Europa stattfand. Anita hatte sich zwar einen Agenten in New York gesichert, doch plötzlich kamen Arbeitsangebote aus den verschiedensten Richtungen. Anfang März hatte sie bereits den dringenden Wunsch geäußert, die USA zu verlassen.

      Doch allen Berichten nach waren es nicht nur professionelle Gründe, die Anita zur Abreise bewegten. Während Mario regelmäßig ein hohes Arbeitspensum bewältigte, hatte Anita den Zauber der Unabhängigkeit gespürt und war darauf versessen, sich eine eigene Karriere aufzubauen. Sie wollte nicht mehr länger nur den Sternenstaub reflektieren.

      Darüber hinaus zeichneten sich Anitas und Marios Charaktere nicht nur durch das Streben nach Unabhängigkeit aus, sondern auch durch ein überschäumendes Temperament, möglicherweise verstärkt durch Drogenkonsum. Beide schützten ihre eigenen Freiräume, woraufhin die Atmosphäre ihres alltäglichen Lebens und der beiderseitigen Arrangements zu einer Herausforderung wurde. Für Anita war eine Grenze überschritten, als Schifano während eines heftigen Streits ein Lieblingskleid von ihr zerriss, eine Kreation von Rudi Gernreich.

      Die Trennung fand dennoch in Freundschaft statt. Marios Freunde hatten bis dahin den Eindruck gehabt, dass Anita seine Ambitionen auf irgendeine Art erstickte. Schifano schrieb im April 1964 in einem Brief an einen Freund: „Nun, da Anita gegangen ist, folge ich dem Rhythmus eines normalen Lebens.“

      Da die Aufträge für europäische Modemagazine nun regelmäßiger kamen, kehrte Pallenberg kurzfristig nach Rom zurück, was jedoch nicht von allen so positiv aufgenommen wurde, wie sie vielleicht erwartet hatte. Die gelegentliche Abwesenheit oder das Zurückkommen zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten wurde von ihrer Familie mit Missbilligung quittiert. Später behauptete sie, dass ihre Mutter lediglich neidisch auf die Mobilität der Tochter gewesen sei, doch ihr Vater hatte ein deutlich negativeres Bild von ihrem Globetrotter-Leben. „Ich war immer unterwegs“, erzählte sie dem Musikjournalisten Stephen Davis 2001, „und mein armer Vater glaubte wohl, ich sei eine Prostituierte.“

      Rom stand immer noch im Bann der kreativen Energie und Anita begegnete weiterhin verschiedenen Künstlerseelen, die von ihrer goldenen Aura und dem Regenbogen an Emotionen hingerissen waren.

      „Sie wirkte wie eine unvergleichliche, einzigartige Sirene“, erinnert sich Tony Foutz, ein Filmemacher, der sich Mitte der Sechzigerjahre in Rom aufhielt. „Sie tanzte zu ihrer eigenen Musik und machte alles auf ihre Art. Sie verstand alle Witze, verfügte über ein Gespür für Ironie und Humor. Sie strahlte eine spontane Intensität aus, die sie zu einer Wegbereiterin machte. Die Begegnung mit ihr verschlug vielen Menschen den Atem.“

      Durch ihre Arbeit kam sie in Europa viel herum und 1964 reiste sie für einen Auftrag nach Hamburg, der sich mit einem Familientreffen verbinden ließ. Sie hatte die Beatles schon 1962 bei einem Auftritt gesehen und war sich bewusst – wie die meisten Jugendlichen auf der ganzen Welt –, dass die Pilzköpfe zu einem globalen Phänomen geworden waren. In der Stadt erfuhr sie nun von einer Freundin, dass eine andere Band hohe Wellen schlug. „Während ich in Hamburg als Model arbeitete, hörte ich von den Stones“, erzählte sie dem Mojo 2006. „Dann gab es einen Trendwechsel, so in der Art: ‚Die Beatles muss man nicht mehr gesehen haben, jetzt sind es die Stones‘.“

      Nach einer Verpflichtung auf Sizilien (und einem kurzen New-York-Abstecher wegen der Arbeit) zog es Anita aufgrund einer ganzen Reihe von Model-Jobs nach Frankreich. In Paris traf sie auf eine Szene, die ihre Sinne entfachte und sie für einen Großteil des Jahres an die Stadt fesselte. Trotz der verhältnismäßigen Nähe zu London war die Pariser Modewelt ein schillerndes und packendes Kuriosum, das alles in Großbritanniens Hauptstadt übertraf. Die Medien waren zwar in Scharen in London eingefallen, um die Objektive auf die neuen, sogenannten „Dolly Birds“ auszurichten, doch die Frauen, die man in Londons Straßen und Clubs sah, waren im Vergleich zu denen in Paris eher unscheinbar. In Frankreich stolzierten die jungen Mädchen geradezu über die Boulevards und großen Plätze. „Englische Rosen“ wie Twiggy, Jean Shrimpton, Pattie Boyd und Jane Asher waren zwar höchst fotogen und auch oft auf Bildern zu sehen, standen jedoch oftmals im Schatten ihrer prominenten Partner.

      Anitas Entscheidung für einen Umzug nach Paris war teilweise durch die außergewöhnliche Anziehungskraft der Agentin Catherine Harlé motiviert gewesen. Ihre gleichnamige Agentur rangierte bereits weit höher als die anderen Pariser Vertretungen der Modebranche und stand für einen Talentkult, der eine starke und selbstbewusste feministische Basis hatte. In einer Stadt, in der nahezu alle künstlerischen Grenzen verschoben wurden, katapultierte Harlés Agentur das Modeln auf eine neue Stufe.

      Ihr aufmerksames Auge war in den Welten der Fotografie und der Werbung geschult worden. Als alleinerziehende Mutter im Alter von 37 Jahren hatte sie im Sommer 1959 den Sprung ins kalte Wasser gewagt und von ihrem Wohnzimmer aus eine Agentur gegründet. Der bescheidene Anfang stellte für den schnellen Aufstieg kein Hindernis dar. Nur wenige Jahre darauf bezog sie das im Jugendstil eingerichtete, dreistöckige Gebäude 38-42 Passage Choiseul im zweiten Arrondissement der Stadt.

      „Meine Mutter war ein toller Talentscout“, berichtet Harlés Sohn Nicolas der New York Times 2013. „Sie sah ein Mädchen und sagte direkt: ‚Die ist perfekt für die Fotos‘.“

      Vor

Скачать книгу