Wie ein Regenbogen. Simon Wells
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Auf der Suche nach Aufmerksamkeit musste Anita unweigerlich den Weg in die Welt der Mode einschlagen. Während man sie 1962 für den Playboy noch in Rom auf der Straße abgelichtet hatte, posierte sie vor Marios Linse lebendiger und offensiver. In der Nähe lebende Fotografen wollten Anitas Dienste auch in Anspruch nehmen. In der aggressiven und erbarmungslosen New Yorker Modewelt – Models kamen gelegentlich zu spät oder waren nicht verfügbar – wurde Anita oft gebeten, einzuspringen und vor die Kamera zu treten. Diese spontanen Einsätze legten den Samen für weitaus größere Projekte in der Zukunft. Anita engagierte Ende 1963 einen Agenten, woraufhin ihr Arbeitspensum zunahm und ihre neue berufliche Ausrichtung abgesichert war. Jerry Schatzberg gehörte zu den zahlreichen Celebrity-Knipsern, die ihre Kameralinsen während dieser prägenden Jahre auf Anita ausrichteten. Er engagierte sie für Aufnahmen in seinem Studio an der Park Avenue South.
„Sie gab sich sehr professionell“, erinnert sich Schatzberg heute. „Sie wusste, was sie tat – in jeder Hinsicht. Wenn sie zur Arbeit erschien, arbeitete sie auch. Sie war noch sehr jung, aber zugleich auch unabhängig. [Anita] wusste, was sie wollte und wie man das verwirklichte. Da gab es niemals irgendeinen Zweifel.“
Während Anita still und nahezu unbemerkt in die Modewelt eintauchte, gab ihr Partner sich immer noch alle Mühe, einen bleibenden Eindruck in der Szene zu hinterlassen, zu der er so dringend gehören wollte. Seine wichtigste Gönnerin in der Stadt war die bodenständige Galerieinhaberin Ileana Sonnabend, die sich schon bei der Ausstellung „New Realists“ 1962 für Marios Arbeiten eingesetzt hatte und auch bei einigen hochkarätigen Shows in Paris und Rom. Die dominante, äußerst fokussierte Frau scheuchte Mario und Anita durch einige der angesagten Locations von New York, um Schifanos Bekanntheitsgrad zu erhöhen.
Sonnabend fungierte auch als Puffer, indem sie ihrem Schützling einige snobistische Zudringlichkeiten vom Hals hielt. Privat hatten die beiden Neuankömmlinge nur ein kleines soziales Netzwerk; sie fanden aufrichtigere Freundschaften in der progressiv ausgerichteten Literatur-Community der Stadt.
Die auf Straßen und in Gassen zu findenden Beatniks passten eher zu Marios und Anitas gefühlsbetonten Persönlichkeiten. Durch Freunde wie Frank O’Hara und Gerard Malanga erlebte Anita die rauere Seite der Stadt. Die unsichere und unvorhersehbare Umgebung New Yorks stellte kein Hindernis für Anitas aufblühende Weltsicht dar. Das Five Spot Café wurde ihr und Marios am häufigsten besuchter Zufluchtsort. Erst kürzlich war das angesagte Lokal zum 2 St Mark’s Place im East Village umgezogen. Bei ihren Besuchen im Club sah Anita Auftritte der Jazz-Legenden Charles Mingus und Thelonious Monk vor kleinem Publikum, während sie sich unter die kreativen Dichter Gregory Corso, Peter Orlovsky und Lawrence Ferlinghetti mischte. Weitere geistige Nahrung kam vom Schriftsteller Terry Southern – ein Zeitgenosse, der später viel dafür tat, Anitas vielfältige Talente bekannt zu machen.
Bei irgendeinem Anlass begegnete Anita dem Romanautor William Burroughs, woraus sich eine Beziehung entwickelte, die bis zu seinem Tod hielt. Bei einer anderen Gelegenheit traf sie Allen Ginsberg, den Hohepriester der progressiven Dichtkunst in Amerika. Seine Präsenz ließ üblicherweise bei allen Treffen die Gespräche verstummen, doch an diesem Abend unterhielt der Dichter die Anwesenden mit seiner „selbst geernteten“ Sammlung von Schamhaaren, die er in einer Streichholzschachtel aufbewahrte.
Anita hatte ihre Teenager-Jahre zwar kaum hinter sich gelassen, doch ihre auf Empfang gestellte Antenne registrierte, dass sie Zeuge einer außergewöhnlichen Zeit wurde.
„Wir trafen all diese Menschen, die Stars wurden und nun die Kultur des 20. Jahrhunderts repräsentieren“, berichtete sie 2017. „Ich spürte, dass ich mich an einem Ort befand, wo es wirklich abging. Es war wie ein Geschenk. Dadurch wurden wir zu einem Teil des Bildes, des Films, dieses besonderen Moments, der zur wichtigsten Erfahrung meines Lebens werden sollte.“
Ein anderer Charakter, der einen transformativen Effekt auf nahezu jeden ausübte, dem er begegnete, war der außergewöhnliche Künstler Andy Warhol. Ende 1963, Warhol war damals 35 Jahre alt, befand sich sein Bildersturm gegen Amerikas Konsumgesellschaft auf dem Höhepunkt. Der aus seinem Apartment in Manhattan – genannt The Factory – heraus agierende Künstler setzte sich für die Kunst-Exzentriker und Bohemiens der Stadt ein und nannte sie seine „Superstars“. Es war ein Überfluss an künstlerischem Können, das in einem Schmelztiegel brodelte. Warhol förderte diese kreativen Abweichler und setzte sie bei Happenings ein. Da sich Anita in ähnlichen Gefilden bewegte, war es geradezu unvermeidlich, dem Künstler zu irgendeinem Zeitpunkt über den Weg zu laufen.
„Die Begegnung war lustig, denn ich traf ihn in einer Telefonzelle“, erinnerte sich Anita. „Ich war da gerade reingegangen, und er wartete draußen darauf, dass ich das Telefonhäuschen verließ. Ich schaute ihn mir gründlich an. Sein Gesicht wirkte pink, graue Haare und ein pinkes Gesicht. Er war ganz in Schwarz gekleidet und sagte kein Wort. Als wir uns dann unterhielten, meinte er nur: ‚Fantastisch, fabelhaft‘“.
Gerard Malanga, eine Persönlichkeit, die später von der New York Times als „Warhols wichtigster Mitarbeiter“ beschrieben wurde, erinnert sich an seine erste Begegnung mit Anita und Mario bei einer Cocktail-Party. „Da standen diese beiden jungen Menschen, chic angezogen. Ich habe vergessen, wer uns einander vorstellte, doch wir führten schnell ein sehr nettes Gespräch. Das Paar beeindruckte mich sehr. Anita hatte ein klassisch schönes Aussehen und einen höchst ambitionierten Geist.“
Nach der eher schrägen, flüchtigen Begegnung war Anita des Öfteren bei den Aufführungen von Warhols Underground-Filmen dabei, die von der gleichermaßen progressiv ausgerichteten New American Cinema Group präsentiert wurden. Die meist nicht lizenzierten Veranstaltungen im Five Spot Café waren lebendig schillernde Leuchtfeuer für die, die New Yorks alternative Kunstszene durchstreiften. Bei Titeln wie Blow Job, Eat und Haircut, die natürlich den Rahmen des von der Zensur Erlaubten bei Weitem überschritten, erschien die Polizei oftmals ohne Vorankündigung, um die Vorführungen abzubrechen. Anita, die nicht nur geistig sehr beweglich war, zog sich vor diesen Veranstaltungen sicherheitshalber Tennisschuhe an für den Fall, dass sie eine schnelle Flucht antreten musste.
Eine bedeutende Künstlergemeinschaft in dieser Welt der tausend Träume und Ideen stellte das Living Theatre dar. Als auf Provokation ausgelegte Schauspieltruppe war das Agitprop-Kollektiv dem Trend um Lichtjahre voraus, was das Verschieben der Grenzen und die Überwindung der Beschränkungen des konzeptuellen Theaters anbelangte. The Living Theatre war 1947 von der Schauspielerin Judith Malina und dem Maler/Dichter Julian Beck in England gegründet worden. Sie hatten ihre wahre Freude daran, experimentelle und selten gesehene Stücke aufzuführen, und ließen sich von den esoterischen Gefilden beeinflussen wie auch von aufstrebenden Dichtern und Schriftstellern, die ihre Arbeiten visualisieren wollten.
Nach den zahlreichen Zusammenstößen mit den städtischen Behörden, durch die seine Arbeit auch einen Affront für die traditionelle Theatergemeinschaft New Yorks darstellte, half das Living Theatre dabei, die sogenannte Off-Off-Broadway-Bewegung zu popularisieren, da seine radikalen Produktionen in Opposition zur überbordenden Kommerzialität des Mainstream-Theaters standen. Die der Gruppe zugrunde liegende Ethik basierte auf einer Sammlung von Essays des französischen Dramatikers Antonin Artaud, die er 1938 publizierte. Das Credo des mit Das Theater und sein Double betitelten Buchs forderte den Theaterbesucher in seiner passiven Selbstgefälligkeit heraus und verlangte eine dringliche Kommunikation zwischen Darstellern und Publikum. Der lange und einflussreiche Schatten Artauds ebnete Anita später auch den Weg für ihre Beteiligung an dem 1968 gedrehten Film Performance.
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