Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner
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Ex-Nazis in Kreiskys Regierung
Kreisky und die Frauenbewegung
Die Juden in der Sozialdemokratie
Die Angst vor dem Antisemitismus
Parallelen zwischen Kreisky und Rathenau
Das Leiden von Politikerkindern
VORWORT
2020 ist es 50 Jahre her, dass Bruno Kreisky die erste SPÖ-Alleinregierung der Zweiten Republik gebildet hat, vor 30 Jahren ist er in einem Staatsakt zu Grabe getragen worden. Er war gemeinsam mit Willy Brandt und Olof Palme eine der großen Gestalten der Sozialdemokratie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Parteiführer stehen für das goldene Zeitalter der Sozialdemokratie, die im Positiven wirkmächtigste politische Bewegung des 20. Jahrhunderts. Ein Blick zurück lässt den Niedergang der Sozialdemokratie umso deutlicher hervortreten.
Die Sozialdemokratie droht heute an einer Gemengelage zu scheitern, die nicht leicht aufzulösen ist. Hauptursache ist wohl die Globalisierung, also der freie Warenverkehr, dem in den letzten Jahren auch ein ziemlich unkontrollierter Menschenverkehr durch Migration und Asyl folgte. Der freie Warenverkehr hat schon länger zu einem schleichenden Wohlstandstransfer von den entwickelten Ländern in Entwicklungs- und Schwellenländer geführt. Das begann schon ab 1960, als die Textilindustrie nach Asien übersiedelte, dann folgte die Fotoindustrie, wofür in Österreich beispielhaft der Niedergang des Radio- und Kameraherstellers Eumig steht. Mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums 1990 hatten westliche Konzerne plötzlich gut ausgebildete Industriearbeiter vor der Haustür, die billiger waren als einheimische Fachkräfte. Also wanderten wieder ganze Branchen ab. Eigentlich hätte die Abwanderung ganzer Industriezweige zu einem geringeren Einkommen der arbeitenden Menschen in den westlichen Industrieländern führen müssen. Das wurde aber durch neue Staatsverschuldung abgemildert.
Von ihrem programmatischen Anspruch her hätte die Sozialdemokratie Verständnis dafür zeigen müssen, dass auch Menschen in anderen Ländern Wohlstand haben wollen – und dass dies zum Teil auf Kosten der westlichen Welt gehen wird. Es wäre nicht einfach gewesen, das den Wählern zu erklären. Es ist erst gar nicht versucht worden. Noch schwieriger ist es, den eigenen Wählern zu vermitteln, dass Menschen als Migranten oder Flüchtlinge hierherkommen, weil in ihren Heimatländern der Aufbau eines demokratischen Wohlfahrtstaates gescheitert ist – durch Religion, Tradition und übergroßes Bevölkerungswachstum.
Diese Menschen kommen mit Wertvorstellungen, die in ihren Heimatländern genau zu jenen Zuständen geführt haben, vor denen sie emigriert oder geflüchtet sind. Sie legen diese Wertvorstellungen aber mit dem Erreichen Europas nicht ab. Dies führt zu Konflikten im Zusammenleben mit Einheimischen, die die sozialdemokratischen Parteien gröblich unterschätzt haben. Das Entstehen von Parallelgesellschaften, die Probleme in den Schulen, vor allem mit Kindern aus moslemischen Familien – das alles wurde weitgehend ignoriert. Die SPÖ stellte sich zum Migrationsthema zu lange tot. Dass die SPÖ keine klare Haltung in der Migrationsfrage entwickelt hat, hängt wohl mit der Angst vor einer Spaltung der Partei zusammen. Eine linke Minderheit steht für Verklärung von Multikulturalität, die Mehrheit findet den Anteil der Ausländer zu hoch, plädiert für geschlossene Grenzen. Die einen sehen Zuwanderung aus anderen Kulturen als Bereicherung, vor allem Unterschichten empfinden die Einwanderer als Konkurrenten am Arbeitsmarkt und um Sozialleistungen. Da sich die SPÖ nicht entscheiden kann, rinnt sie nach allen Seiten aus: die Multikulti-Fans zu den Grünen, die Migrationskritiker zur Kurz-ÖVP, zur FPÖ. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Klima-Debatte, wo die SPÖ viel zu spät reagiert hat.
Die SPÖ steht heute vor einer völlig neuen Situation. Früher bestand die Gesellschaft aus Klassen. Die SPÖ wurde grosso modo von den Arbeitern gewählt, die ÖVP von Bauern, Unternehmern und Beamten. Ex-Nazis aus allen Schichten wählten VdU, dann FPÖ. Kreisky war der erste SPÖ-Vorsitzende, der dies durchbrochen hat, indem er der SPÖ fernstehende Wähler einlud, »ein Stück des Weges mit der Sozialdemokratie zu gehen«. Die alte Klassengesellschaft gibt es heute nicht mehr. Heute definieren sich die Menschen nach ihrer Lebenswelt.