Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner

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jener Produkte, die den Ständestaat als einzig wahre Gesellschaftsordnung priesen. Einige traten auch der Vaterländischen Front bei, einer Sammelbewegung des Ständestaates, die durch Unterorganisationen den politischen Willen der Bevölkerung formte. Das schadete schließlich nicht bei Beförderungen. Das Gros der Arbeiter aber ging in die innere Emigration. Es fehlte auch nicht an Demütigungen: Engelbert Dollfuß war am 25. Juli 1934 bei einem Naziputsch ermordet worden. Zum Jahrestag ein Jahr darauf mussten sich die Mitarbeiter des »Vorwärts« im Innenhof zu einer Trauerkundgebung versammeln: »Trauer für den Arbeitermörder Dollfuß, das war für uns eine schlimme Demütigung«, erinnerten sich einige Teilnehmer noch Jahre später.

      Für Bruno Kreisky war der »Vorwärts« ein geradezu mythischer Ort. Im ersten Band seiner Memoiren berichtet er, wie enttäuscht er war, als er am 12. Februar 1934, als die bewaffneten Auseinandersetzungen begannen, zum »Vorwärts« marschierte und dort die Tore geschlossen fand. Die Schutzbündler hatten die Parteizentrale geräumt. Wie viel dieses Gebäude Bruno Kreisky bedeutete, erhellt eine Episode aus dem Jahr 1967. Nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden der SPÖ fuhr Kreisky von der Stadthalle nicht in die Löwelstraße, wo die Parteizentrale seit 1945 untergebracht war, sondern in den »Vorwärts«. Er steuerte auf das Zimmer zu, in dem früher das Idol seiner Jugend, der intellektuelle Führer der österreichischen Sozialdemokratie Otto Bauer, gesessen war. AZ-Chefredakteur Franz Kreuzer arbeitete dort nach seinem Leitartikel noch an einer Glosse. Kreisky grüßte und trat schnurstracks an Kreuzer vorbei in den kleinen Nebenraum, in dem einst Otto Bauer gesessen war, wenn er seine Artikel geschrieben hatte. Zur Erinnerung hing dort ein großes Bild von Otto Bauer in einem dunklen Silberrahmen. Kreisky blieb allein im Raum, stand etwa fünf Minuten vor dem Bild seines Vorbilds. Franz Kreuzer hat diesen Besuch Kreiskys so interpretiert: »Er, der immer Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung und Parteiführer werden wollte, fühlte sich als Weiterführer von Otto Bauers Werk und erwies ihm seine Referenz«.

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      Zwei Trauerkundgebungen im Innenhof des »Vorwärts«, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Das obere Bild zeigt die Trauerfeier für den langjährigen Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung Oscar Pollak und dessen Frau Marianne Anfang September 1963. Das untere Bild zeigt die Trauerkundgebung anlässlich des ersten Jahrestages der Ermordung von Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1935, zu der die Belegschaft genötigt wurde.

      Als ich 1956 im »Vorwärts« meine Arbeit begann, erzählten die älteren Setzer hin und wieder von den historischen Ereignissen. Die jüngere Generation war gar nicht so politikbewusst, wie man es in diesem ehrwürdigen Haus erwarten konnte. Natürlich waren alle Mitglieder der SPÖ. Aber große politische Diskussionen fanden nicht statt – außer, wenn es um den Februar 1934 ging. Da hatten auch die Jüngeren von ihren Eltern einiges mitbekommen.

      Mein Wechsel von der kleinen Druckerei im nördlichen Weinviertel in den Vorwärts-Verlag in Wien war wie der Umstieg von einem kleinen Ruderboot in einen Ozeandampfer. Die Belegschaft in meinem Lehrbetrieb bestand aus dem Druckereibesitzer, einem Gehilfen und mir. Der »Vorwärts« hatte damals mehr als 700 Beschäftigte und war neben Waldheim-Eberle, wo die Tageszeitungen Kurier und Neues Österreich gedruckt wurden, die größte Druckerei Österreichs. Neben der täglichen Arbeiter-Zeitung wurden noch zahlreiche Wochenzeitungen hergestellt: Die niederösterreichischen Bezirks-Wochenblätter, Welt am Montag, die im Tiefdruck hergestellten Illustrierten Bilderwoche sowie Funk und Film und Das Kleine Blatt mit einer Auflage von mehreren Hunderttausend Exemplaren. Dazu kamen zahlreiche Publikationen der verschiedenen Teilorganisationen der SPÖ.

      Die damals übliche Herstellung erfolgte im Bleisatz. Die in Blei gegossenen Zeilen und Buchstaben wurden in der Setzerei zu Seiten zusammengefügt, von einem sogenannten Metteur, wie diese Setzer genannt wurden. Das machte die Anwesenheit eines Redakteurs beim Umbruch, wie das Zusammenstellen der Seiten genannt wurde, notwendig. Die Bleilettern waren natürlich in Spiegelschrift, sodass der Redakteur erst nach einem Probeabzug Korrektur lesen konnte. Das geschah meist an Ort und Stelle, also in der Setzerei. So lernte man als Setzer die Redakteure näher kennen. Ich wurde als Metteur der Wochenzeitung Heute zugeteilt, deren Chefredakteur war Heinz Brantl, der danach Wahlkampfmanager der SPÖ wurde. Mitarbeiter bei Heute waren unter anderem Günther Nenning, künftiger langjähriger Vorsitzender der Journalistengewerkschaft, der spätere Geschäftsführer des Institutes für Empirische Sozialforschung (IFES) Ernst Gehmacher, Siegfried Kogelfranz, später Ressortleiter Außenpolitik beim Spiegel, und Kurt Kahl, einige Jahre später Kulturchef bei der Tageszeitung Kurier. Der junge Erich Sokol steuerte seine ersten Karikaturen bei.

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      Auch nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden besuchte Kreisky oft den »Vorwärts« wie hier 1968, als er sich von Metteuren die Herstellung der Arbeiter-Zeitung im damals üblichen Bleisatz erklären ließ.

      Gleich neben meinem Arbeitsplatz redigierte der aufstrebende Jungstar der SPÖ Peter Strasser die Abzüge, Peter Schieder werkte beim Umbruch von Trotzdem, der Zeitung der Sozialistischen Jugend. Auf der anderen Seite kümmerten sich Marianne Pollak und Anneliese Albrecht, später Staatssekretärin, um die Wochenzeitung Die Frau, die damals eine hohe Auflage hatte. Schräg gegenüber war das Reich des »Alten«, wie der Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung Oscar Pollak von den Metteuren ehrfurchtsvoll genannt wurde. Er las die Zeitung vor dem Druck von der ersten bis zur letzten Seite.

      Oscar Pollak war in seinem ganzen Auftreten ein Herr. Kein Setzer erlaubte sich ihm gegenüber das übliche Genossen-Du. Er war der »Herr Doktor«, wenn überhaupt jemand ihn als Genosse ansprach, dann per Sie. Pollak leistete sich einmal in der Setzerei einen Eingriff, der in die Annalen der österreichischen Zeitungsgeschichte einging. Er entdeckte beim Umbruch auf der Seite ein Inserat des gewerkschaftseigenen Nahversorgers Konsum, in dem für ein alkoholisches Getränk geworben wurde. Pollak zum Metteur: »Das stellen Sie hinaus!«. Der Metteur ungläubig: »Wirklich, Herr Doktor?« Pollak bestimmt: »Das stellen Sie hinaus!« Am nächsten Tag revoltierte die Anzeigenabteilung. Die Arbeiter-Zeitung war schließlich nicht mit Inseraten gesegnet. Schließlich gab Pollak nach, das Inserat erschien am nächsten Tag, aber Pollak schrieb dazu einen Kommentar und riet mit dem Hinweis auf das Inserat von Alkoholkonsum ab, indem er an ein Wort von Victor Adler erinnerte: »Der denkende Arbeiter trinkt nicht, der trinkende Arbeiter denkt nicht!«

      Von dieser Aktion Pollaks wurde noch lange im »Vorwärts« erzählt, jedenfalls mehr als über seine Leitartikel. Die Arbeiter-Zeitung kam mit ihrem intellektuellen Zuschnitt immer weniger an die Arbeiter heran. Pollak war ein konservativer Zeitungsmacher, für den Bilder in einer Zeitung überflüssig waren. Die von ihm verächtlich genannte »Bilderlpresse« in Form der Kronen-Zeitung fand bei SPÖ-Mitgliedern allerdings immer mehr Zuspruch. Es hatte schon in den 1950er-Jahren die Idee gegeben, die gut gehende SPÖ-Wochenzeitung Das Kleine Blatt täglich herauszugeben. Das Kleine Blatt war schon in der Zwischenkriegszeit als Tageszeitung erschienen, verbreitete sozialdemokratische Politik volksnäher als die Arbeiter-Zeitung und hatte eine Auflage von 160 000 Exemplaren. Oscar Pollak war gegen ein Wiederaufleben des kleinformatigen Blattes als Tageszeitung, weil er fürchtete, dass die Arbeiter-Zeitung damit Leser verlieren würde. Pollaks Einfluss in der Partei war sehr viel größer, als man bei einem Chefredakteur des Parteiorgans vermuten würde. Er war schon vor 1933 Chefredakteur gewesen und hatte dann in der Emigration eine herausragende Rolle gespielt, als er gemeinsam mit Karl Czernetz in London eine Gruppe von österreichischen Exil-Sozialisten leitete.

      Ich glaube nicht, dass Das Kleine Blatt als kleinformatige Tageszeitung gegen die anderen Boulevard-Zeitungen am Markt hätte lange bestehen können. Meine persönlichen Erfahrungen sprechen dagegen. Als sich die Kronen-Zeitung immer häufiger auf die Wiener Stadtregierung einschoss und vor allem Vizebürgermeister Felix Slavik als Zielscheibe auswählte, gründete die

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