Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner

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Lernen S' Geschichte, Herr Reporter! - Ulrich Brunner

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sozial Engagierte, verdrossene Kleinbürger, leistungsorientierte Liberale, politikferne Einzelkämpfer, antimoderne Konservative, Hedonisten, desillusionierte Abgehängte usw. Alle diese Gruppen sind von einer Partei allein nicht mehr ansprechbar – jedenfalls nicht von einer linken. Rechte Populisten haben es da leichter.

      Selbst wenn man in alten Klassenkategorien denkt, hat die Sozialdemokratie schlechte Karten. Die Zahl der Arbeiter ist durch Computerisierung und Digitalisierung drastisch gesunken. Dazu kommt, dass viele hier in Österreich tätige Arbeiter nicht wählen dürfen, weil sie ausländische Staatsbürger sind. Die Wandlung der Arbeitswelt hat außerdem zu vielen neuen Berufsbildern geführt, die nicht eindeutig einzuordnen sind. Für jene, die als Ein-Personen-Firmen arbeiten, fühlt sich die Sozialdemokratie nicht wirklich zuständig.

      Viele, die ihren Aufstieg den von der Sozialdemokratie geschaffenen Möglichkeiten verdanken, sind zu anderen Parteien abgewandert. Manche sind in der SPÖ geblieben und irritieren mit ihren Porsches und Rolex-Uhren die Arbeiterschaft. Didier Eribon hat mit seinem Bericht Rückkehr nach Reims geschildert, wie das in Frankreich abläuft. Der linke Bohemien kehrt nach Jahren in Paris zu seiner Familie in Reims zurück und muss feststellen, dass alle Verwandten, die früher kommunistisch gewählt haben, jetzt ins rechte Lager übergelaufen sind. Arbeitslos und am Arbeitsmarkt in Konkurrenz mit nordafrikanischen Einwanderern, leben sie ohne Hoffnung auf Aufstieg dahin und wählen Le Pen. Es handelt sich um das abgehängte Prekariat. In Deutschland wählt es AfD, in Österreich FPÖ.

      Die Sozialdemokratie hat mit ihren Forderungen über ein Jahrhundert lang mitgeholfen, das kapitalistische Wirtschaftssystem erträglich zu gestalten. Mit dem Erreichen ihrer wichtigsten Ziele hat sie ihre Kraft verloren. Bruno Kreisky zitierte gern das Gedicht von Gustave Leroy aus dem Jahr 1848 als Quintessenz sozialdemokratischer Politik:

      Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen:

      Dass Arbeit uns und Brot gerüstet stehen;

      Dass unsere Kinder in der Schule lernen

      Und unsere Alten nicht mehr betteln gehen.

      Nimmt man diesen Vierzeiler wörtlich, hat die Sozialdemokratie in der Tat ihre wichtigsten Ziele erreicht. Man könnte sagen: Mission accomplished! Es bleiben natürlich Ungerechtigkeiten. Diese kommen allerdings nicht an das himmelschreiende Elend der Arbeiter heran, das Victor Adler und später den jungen Bruno Kreisky zu ihrem Engagement in der Sozialdemokratie bewegt hat. Es wäre für die Sozialdemokratie trotzdem noch einige Jahre gut gegangen, wenn nicht nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein weltweiter Turbokapitalismus Platz gegriffen hätte. Die Einkommensschere zwischen oben und unten vergrößerte sich dadurch dramatisch. Dieser globalen Entwicklung war mit nationaler Politik kaum beizukommen.

      Eine kraftvolle Führungspersönlichkeit könnte die Schwäche der SPÖ vielleicht mildern, aber nicht verhindern. Die Situation ist schließlich eine ganz andere als 1970. Damit sind wir beim eigentlichen Gegenstand dieses Buches: bei Bruno Kreisky. Er hat die SPÖ von 1967 bis 1983 geführt. Mit Autorität, mit Kompromissen, wohl auch trickreich, hat er die Gegensätze in seiner Partei ausgeglichen. So eine Figur ist heute aktuell aber nicht in Sicht. Hin und wieder gibt es ein Signal aus dieser Zeit: Hannes Androsch, Finanzminister unter Kreisky, schreibt unermüdlich Bücher und Kommentare, in denen er für mehr Bildung eintritt, weil Österreich nur so gegen internationale Konkurrenz im Wirtschaftsleben bestehen könne. So weit ist Androsch da nicht von Kreisky entfernt. Dieser gewann seine erste Wahl mit dem Slogan »Leistung, Aufstieg, Sicherheit!« Das Wort Leistung hat die SPÖ mittlerweile gestrichen und wirbt mit Slogans wie: »Hol dir, was dir zusteht!« Damit kann eine karitative NGO werben, aber nicht eine Partei, von der die Wähler erwarten, dass sie außer für Sozialzuwendungen auch noch für anderes zuständig ist.

      Warum bringt die Sozialdemokratie heute keine herausragenden Politiker vom Schlage eines Kreisky, Brandt, Palme, Mitterrand oder González hervor? Das liegt wohl am ehesten daran, dass nur eine katastrophale Zeit heroische Figuren hervorbringt. Das war schon in der Anfangszeit der Sozialdemokratie so: Die Namen August Bebel, Victor Adler oder Jean Jaurès stehen dafür. Das gilt natürlich auch für bürgerliche Politiker, etwa für Winston Churchill, der durch die große Herausforderung der hitlerschen Barbarei zum unumschränkten Führer Großbritanniens wurde. Kreisky und Brandt mussten durch ein Stahlbad von politischer Verfolgung, Gefängnis und Emigration gehen, bevor sie an die Spitze ihrer Parteien treten konnten. Wohlstandsgesellschaften bringen in der Regel keine herausragenden Führer hervor. Die SPD hat nach Willy Brandt zwölf Parteivorsitzende verbraucht, die SPÖ nach Kreisky auch schon sieben.

      In einigen europäischen Ländern sind die Sozialdemokraten von einst mächtigen Regierungsparteien zu Kleinparteien geworden. In Abwandlung eines Wortes von T. S. Elliot kann man sagen, die sozialdemokratischen Parteien sind in diesen Ländern nicht mit einem Knall zugrunde gegangen, sondern mit einem leisen Wimmern. Sie sind mit jeder Wahl schwächer geworden, in einigen Ländern ganz verschwunden. Der Zerfall der Klassen in Lebensmilieus wird dazu führen, dass mehrere Klein- und Mittelparteien die Volksparteien ablösen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Volkspartei SPÖ diesem allgemeinen Trend entziehen kann. Selbst wenn sich die Sozialdemokratie in einigen Jahren wieder erholen sollte, wird sie im 21. Jahrhundert keine derart bestimmende, faszinierende Kraft wie im vorigen Jahrhundert werden. Umso eher lohnt ein Blick zurück zu Bruno Kreisky und dem sozialdemokratischen Reformwerk dieser Jahre.

      Kreiskys Leben war durch viele Brüche und Kränkungen gekennzeichnet. Das soll in diesem Buch nachgezeichnet werden. Es gibt meine ganz persönlichen Erfahrungen wieder, die ich als Journalist mit Bruno Kreisky gemacht habe. Neben den persönlichen Begegnungen mit Kreisky stützen sich meine Aufzeichnungen auch auf Aussagen von Gefährten aus Kreiskys Kampfzeit der österreichischen Sozialdemokratie. Ein Seitenblick auf Willy Brandt darf nicht fehlen, wenn man sich mit Kreisky beschäftigt. Es schmälert nicht die Verdienste des bedeutendsten Regierungschefs der Zweiten Republik, wenn man auch an den jähzornigen, ungerechten Kreisky erinnert. Als zeitweiliges Objekt seiner Aggression habe ich mir, so hoffe ich jedenfalls, trotzdem den nüchternen Blick auf die Lebensleistung Kreiskys bewahrt.

      Ausgespart in diesem Buch ist der Außenpolitiker Kreisky. Auf diesem Feld hat er geradezu seherische Fähigkeiten bewiesen. Er war der erste westliche Politiker, der erkannte und thematisierte, dass das ungelöste Palästinenserproblem ein ewiger Unruheherd bleiben würde. Die wachsende Kluft zwischen der Ersten und Dritten Welt hat Kreisky gemeinsam mit Willy Brandt und Olof Palme mit dem sogenannten Nord-Süd-Dialog zu überwinden versucht.

      Wie bei allen politischen Führern gibt es auch bei Kreisky Licht und Schatten. Für ihn gilt daher Friedrich Schillers Satz aus dem Prolog zu Wallenstein: »Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte!« Wenn heute, nach Jahrzehnten seines Wirkens, Kreisky noch immer Gegenstand des öffentlichen Interesses ist, kann man das vielleicht mit einem Satz von Stefan Zweig erklären: »Unsere Zeit will und liebt heute heroische Biografien, denn aus der eigenen Armut an politisch schöpferischen Führungsgestalten sucht sie sich höhere Beispiele aus den Vergangenheiten!« Das schrieb Zweig 1929, gilt aber heute mehr denn je.

Prolog

      EIN BRIEF VON BRUNO KREISKY

      Es war am 23. Juni 1985. Ich war zu dieser Zeit Chefredakteur beim ORF-Hörfunk und sortierte meine Post. Unter den Briefen fand sich auch einer mit dem Absender Bruno Kreisky. Das war etwas ungewöhnlich, hatte ich doch mit Kreisky seit seinem Rücktritt als Kanzler im Jahr 1983 keinen Kontakt mehr. Der Inhalt des Briefes war so, dass ich zunächst an eine Fälschung dachte. »Sehr geehrter Herr Redakteur!« stand da. »Sehr geehrter« war allerdings mit Kugelschreiber durchgestrichen. Dann hieß es weiter: »Ich lese soeben den vollen Wortlaut Ihres Gespräches mit Finanzminister Vranitzky und bin über die Niederträchtigkeit Ihrer Fragen entsetzt. Nehmen

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