Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner

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Lernen S' Geschichte, Herr Reporter! - Ulrich Brunner

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bei allen anständigen Menschen schaden. Eine Fotokopie meines Briefes geht mit gleicher Post an die sozialistischen Mitglieder der Bundesregierung.«

      Die Vorgeschichte: Ich hatte am vorhergehenden Samstag Finanzminister Franz Vranitzky für die Sendereihe »Im Journal zu Gast« interviewt. Anlass war die kurz nach seiner Bestellung zum Finanzminister erfolgte Ankündigung Vranitzkys, dass man beim Schuldenmachen im Budget nicht mehr so weitermachen könne wie bisher. Das wurde allgemein als Abkehr von der bis dahin von Kreisky forcierten Politik des deficit spending bewertet. (Dass Vranitzky als Finanzminister und später auch als Bundeskanzler diese Ankündigung nicht einhalten konnte oder wollte, steht auf einem anderen Blatt). Ich stellte in meinem Interview mit Vranitzky die naheliegende Frage, ob man nicht schon früher beim Budget hätte sparen müssen. Vranitzky hütete sich allerdings, Kreisky in den Rücken zu fallen, meinte nur, das gelte für die Zukunft.

      Ich fragte einige Male nach und das Interview ging auf Sendung. Es wäre wahrscheinlich der Vergessenheit anheimgefallen, hätte nicht Kurier-Kolumnist Sebastian Leitner eine giftige Glosse Richtung Kreisky geschrieben: »Unser neuer Finanzminister Vranitzky hat im ›Journal zu Gast‹ bewiesen: Er weiß, dass zwei mal zwei vier ist. Kreisky hat das bekanntlich nie gewusst.« Kreisky las die Glosse, bekam einen Wutanfall, verlangte vom Büro Vranitzky eine Abschrift des Interviews und diktierte dann den zitierten Brief. Bevor ich diese Hintergrundgeschehnisse in Erfahrung gebracht hatte, war ich ziemlich unsicher, ob sich da nicht jemand einen Scherz erlaubt hatte, ob der Brief also echt war. Die Diktion schien mir doch etwas ausgefallen.

      An einem der nächsten Tage traf ich im Parlament den mir gut bekannten Verkehrsminister Ferdinand Lacina, der einige Jahre Bürochef von Kreisky gewesen war. Lacina warf einen Blick auf den Brief und bestätigte: »Der Brief ist echt. Der ist auf der Schreibmaschine von Kahane geschrieben. [Der Unternehmer Karl Kahane war ein Freund Kreiskys, dessen Büro dieser nach seinem Ausscheiden aus der Politik benützen konnte.] Solche Briefe hat er früher öfter diktiert. Aber da hat er noch ein funktionierendes Büro gehabt. Die haben wir nicht abgeschickt.« Einige Tage später, wenn Kreiskys erste Wut verraucht war, wurde dann ein etwas sanfterer Brief abgeschickt. Ähnliches berichten auch andere Mitarbeiter aus dem Umfeld Kreiskys. Die Wut Kreiskys hatte natürlich nur vordergründig mit meinen Interview-Fragen zu tun. Kreisky war erbost, dass Bundeskanzler Fred Sinowatz den von ihm eingesetzten Finanzminister Herbert Salcher durch Franz Vranitzky ersetzt hatte. Die Ankündigung Vranitzkys, die Schuldenaufnahme zurückzufahren, konnte Kreisky nur als Kritik an seiner Politik verstehen. Statt Vranitzky bekam allerdings ich die Hiebe.

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      Der erboste Brief war der letzte Kontakt des Alt-Bundeskanzlers zu mir. Vorher hatte ich Kreiskys politische Tätigkeit von seiner Wahl zum Parteivorsitzenden 1967 bis zu seinem Ausscheiden aus der Politik 1983 als Journalist begleitet – mit vielen Gesprächen und Interviews für Zeitungen und für das ORF-Fernsehen. Der Beruf des Journalisten war mir allerdings nicht in die Wiege gelegt worden, es war vielmehr ein steiniger Weg dorthin.

      MEIN WEG ZUM JOURNALISMUS

      Ich wuchs im niederösterreichischen Weinviertel in einer sozialdemokratischen Familie auf. Trotz sehr guten Lernerfolgs in der Volksschule konnten mir meine Eltern nicht den Besuch eines Gymnasiums ermöglichen. Zu dieser Zeit gab es nicht einmal in der Bezirkshauptstadt eine Höhere Schule. Da war es noch ein Glück, dass ich nach der Hauptschule den Beruf des Schriftsetzers erlernen konnte. Damit hatte man einen Bezug zur Schrift, die mir später den Einstieg in den Beruf des Journalisten erleichterte. Nach der Schriftsetzerlehre in einer kleinen Druckerei wechselte ich 1956 in den im Eigentum der SPÖ stehenden Vorwärts-Verlag. Das Gebäude mit der markanten Außenfront war eine wichtige Station in meinem beruflichen Werdegang. Später sollte ich erfahren, dass Bruno Kreisky dazu einen ganz anderen Bezug hatte, einen politischemotionalen, der in seine Jugend führt.

      Für Sozialdemokraten war dieses Gebäude ein symbolträchtiger Ort. Bis 1934, als das Dollfuß-Regime die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) verbot und deren Besitztümer enteignete, war in diesem Gebäude im 5. Wiener Gemeindebezirk außer der Druckerei auch die Parteizentrale der SDAP untergebracht. Bei den ersten allgemeinen Wahlen für Männer im cisleithanischen Teil der Monarchie im Jahr 1907 (Frauen durften erst 1919 wählen) waren die Sozialdemokraten als zweitstärkste Kraft hervorgegangen. Dieser Erfolg veranlasste die Parteileitung, ein eigenes Redaktions- und Verlagsgebäude für die Arbeiter-Zeitung zu errichten und sie erwarb ein Zinshaus in der damaligen Wienstraße 89a, die 1911 in Rechte Wienzeile umbenannt wurde. Schüler des Stararchitekten Otto Wagner adaptierten das Zinshaus zum Sitz der Parteizentrale und als Redaktionsgebäude. Eine damals hochmoderne Druckerei wurde im Innenhof neu errichtet. Die heute noch erhaltene Außenfassade erhielt eine imposante Uhr am Giebel des Gebäudes, die von zwei Steinfiguren des Bildhauers Anton Hanak umrahmt wird. 1910 bezogen das Parteisekretariat, das Frauenzentral-Komitee, die Gewerschaftskommission und 200 Angestellte der Verlags- und Druckereianstalt Vorwärts das Gebäude.

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      Der Vorwärts-Verlag, jahrzehntelang »Herz und Hirn« der SPÖ, war für Bruno Kreisky ein fast mythischer Ort. Für den Autor dieses Buches begann hier seine Karriere als Journalist.

      Mit dem Aufstieg der SDAP – bei den Wiener Gemeinderatswahlen 1927 wählten 60,3 Prozent sozialdemokratisch – wuchs auch der Platzbedarf. Die Partei kaufte Nachbarhäuser zu, sodass ein zusammenhängender Gebäudekomplex mit rund 3000 Quadratmeter entstand. Fast alle Teilorganisationen der Partei waren nun im »Vorwärts« vereint. Auch der Republikanische Schutzbund, die bewaffnete Wehrformation der Partei, hatte seinen Sitz in der Rechten Wienzeile. In der Druckerei wurden nicht nur die Arbeiter-Zeitung, sondern auch andere illustrierte Massenblätter hergestellt, wie Das Kleine Blatt, Der Kuckuck, die Wochenzeitung Die Frau und die Arbeiter-Illustrierten-Zeitung. Auch die diversen Nebenorganisationen der Partei ließen ihre Mitteilungsblätter dort drucken. Der »Vorwärts« war in dieser Zeit Herz und Hirn der Partei. In den 1930er-Jahren waren schon einige Hundert Menschen im »Vorwärts« beschäftigt.

      Das Dollfuß-Regime konfiszierte nach den Februarkämpfen 1934 den »Vorwärts«, löste ihn aber nicht auf, sondern funktionierte ihn um. Von da an wurden dort Plakate und Zeitschriften des Ständestaates gedruckt. Ein Drittel der Belegschaft wurde gekündigt, die anderen waren als Fachkräfte bei der Weiterführung der Druckerei unverzichtbar. Sie fügten sich, denn Arbeitslosigkeit war damals gleichbedeutend mit Elend. Das Arbeitslosengeld war niedrig und wurde nur für ein halbes Jahr gewährt, danach war man ausgesteuert, es gab keinerlei Unterstützung mehr. Die Ausgesteuerten waren dann auf Almosen und Sozialmaßnahmen der Gemeinden angewiesen. »Die Arbeitslosen von Marienthal« – diese berühmt gewordene Studie von Maria Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel aus dem Jahr 1933 hat die dramatischen sozialen Folgen lang andauernder Arbeitslosigkeit festgehalten. Neben dem täglichen Kampf, genug zu essen zu finden, waren vor allem die sozialen Folgen verheerend. Nach Meinung der frühen linken Theoretiker führt Arbeitslosigkeit zu Aufstand und Rebellion. Die auf Anregung von Otto Bauer zustande gekommene Studie bewies das Gegenteil: Arbeitslosigkeit führt zu Apathie, Verlust der Selbstachtung, Hoffnungslosigkeit und Depression. Am Ende stand oft Alkoholismus. Es war nicht zuletzt diese Studie, die dazu führte, dass Kreisky später als Regierungschef Arbeitslosigkeit um jeden Preis vermeiden wollte.

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      Nach dem Putsch im März 1933 regierte Dollfuß diktatorisch. Die Publikationen der SDAP wurden unter Vorzensur gestellt. Die Polizei durchsuchte den »Vorwärts« sehr oft auf der Suche nach Waffen, weil hier auch die Zentrale des Schutzbundes war. Nach den Februarkämpfen 1934 wurden alle Organisationen der Partei aufgelöst.

      Angesichts

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