Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner

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Lernen S' Geschichte, Herr Reporter! - Ulrich Brunner

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formulierte als einziges Ziel der Neugründung: »Ihr sollt der Kronen-Zeitung schaden!« Die junge Redaktion versuchte, die Kronen-Zeitung mit reißerischen Kriminalgeschichten zu überbieten. Daraufhin beschwerten sich einige Funktionäre der Wiener SPÖ, weil ihnen das zu weit ging. Da uns auch der Kampagnen-Journalismus, wie er von Krone-Chef Hans Dichand forciert wurde, nicht zu Gebote stand, blieb der Schaden für die Kronen-Zeitung begrenzt. Die Auflage der Neuen Zeitung erreichte nie nennenswerte Höhen und wurde 1971 eingestellt. Die Lehre aus dieser Geschichte: Eine Partei, die anständig bleiben will, kann keine Boulevard-Zeitung herstellen, die mit Appellen an die niedrigen Instinkte der Menschen ihre Mitbewerber am Boulevard übertrumpfen will.

      Als Oscar Pollak 1963 einem Herzinfarkt erlag, verübte seine Frau zwei Tage später Selbstmord, weil sie ohne ihren Mann nicht mehr leben wollte. Das Ehepaar Pollak bekam ein sozialdemokratisches »Staatsbegräbnis«. Die Särge der beiden Toten wurden im Hof des »Vorwärts« aufgebahrt. Die gesamte Belegschaft versammelte sich im Hof, außer der Parteiprominenz war auch Bundespräsident Adolf Schärf gekommen. Die Trauerrede hielt SPÖ-Zentralsekretär Otto Probst. Später sagte mir ein Kollege: »Das war ein Gemeinschaftsgefühl, wie ich es zuletzt vor 1933 erlebt habe!« Der alte Parteigenosse spielte damit auf jene Zeit an, als die Sozialdemokratie in Österreich für alle Lebensbereiche eigene Vereine geschaffen hatte – in bewusstem Gegensatz zu bürgerlichen Organisationen, auch weil letztere oft durch hohe Mitgliedsbeiträge Arbeiter fernhielten. Konsum, ASKÖ, ARBÖ, Arbeiter-Sängerbund, ja selbst für Briefmarkensammler und Fischer gab es eigene Vereine. Als Gegenstück zum Alpenverein, der deutschnational ausgerichtet war und außerdem einen Arierparagrafen in seinen Statuten hatte, gab es die Naturfreunde. All das wurde der Arbeiterschaft durch das Dollfuß-Regime geraubt, die Arbeiter verloren damit ein Stück Heimatgefühl.

      Der »Vorwärts« war ein sehr sozialer Betrieb. Die Arbeitszeit war kürzer als in anderen Betrieben. Die Arbeiter-Zeitung ging schließlich nicht nur am Leserschwund zugrunde, sondern auch an der viel zu teuren Herstellung. Ein Maschinensetzer musste in der Stunde 90 Zeilen setzen, also in acht Stunden 720 Zeilen. Ein guter Setzer schaffte aber 200 Zeilen in der Stunde. Nach vier Stunden war damit die Arbeit getan und er konnte nach Hause gehen. Auch an den Rotationsmaschinen stand lange viel zu viel Personal. Die damaligen Druckmaschinen schafften in einer Nacht nicht mehr als 100 000 Zeitungen. Da die Arbeiter-Zeitung aber in ihrer Blütezeit nach 1945 bis zu 200 000 Zeitungen verkaufte, mussten zwei Rotationsmaschinen in Betrieb genommen werden. Diese wurden noch jahrelang in Betrieb gehalten, obwohl die Arbeiter-Zeitung nur noch 80 000 Zeitungen verkaufte. Erst nach langen Verhandlungen mit dem Betriebsrat wurde eine Maschine stillgelegt und damit ein Dutzend Arbeitsplätze eingespart.

      In den 1970er-Jahren wurde auch Parteifunktionären klar: Der »Vorwärts« produzierte zu teuer. Eine Reihe von SPÖ-Organisationen wechselte mit ihren Publikationen zu privaten Druckereien, die billigere Angebote machten. Die AZ, wie die Arbeiter-Zeitung seit einigen Jahren in der Kurzformel hieß, wurde bis 1985 im »Vorwärts« gedruckt, dann 1989 verkauft, womit sie auch den Status als Zentralorgan der SPÖ verlor. Das war aber zu spät, um eine linke Tageszeitung, die nicht unter Kuratel der Parteiführung stand, am Markt etablieren zu können. 1991 wurde die AZ schließlich eingestellt. Die stark verschuldete SPÖ musste schließlich den großen Gebäudekomplex des »Vorwärts« verkaufen. Der sozialistisch geführte Betrieb konnte sich in einem kapitalistischen Umfeld nicht behaupten. Vom »Vorwärts«, einst Zentrum der österreichischen Sozialdemokratie, blieb nur noch die Fassade. Sie wurde unter Denkmalschutz gestellt. Dahinter blieben noch einige Räume erhalten, die den Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung und das Kreisky-Archiv beherbergen. So blieb wenigstens die Dokumentation des Wirkens von Bruno Kreisky an jenem Ort, der ihm so viel bedeutet hatte.

      BEI DEN SOZIALISTISCHEN STUDENTEN

      1965 legte ich nach vier Jahren Abendstudium am Gymnasium für Berufstätige die Maturaprüfung ab. Anschließend entschied ich mich, Rechtswissenschaften zu studieren – nicht aus Neigung, sondern weil dies das einzige Studium war, das man nebenberuflich einigermaßen bewältigen konnte. Dass ich der Studentenvereinigung der SPÖ beitrat, war für mich selbstverständlich. Als ich 1965 beim VSStÖ auftauchte, war gerade ein Machtwechsel von den Rechten zu den Linken im Gange. Es ging dabei um den Führungsanspruch zwischen jenen, die sich als traditionelle Sozialdemokraten sahen, und jenen, die von einer mehr oder weniger radikalen sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft träumten.

      Ich war bereits 27 Jahre alt, als ich zu den Studenten stieß, hatte einschließlich Lehrlingszeit 13 Jahre Berufserfahrung und ein hartes Abendstudium hinter mir. Ich empfand vieles, was da an marxistischen Theorien diskutiert wurde, als weltfremd, ließ mich aber von der Stimmung hinreißen und gab den Linken meine Stimme. Als Obmann der Linken wurde mit meiner Stimme Peter Kreisky zum Obmann des Wiener VSStÖ gewählt. Als eloquente Debattenredner für die Linken sind mir in Erinnerung: Norbert Rozsenich, später Präsident von Forschung Austria, Peter Kowalski, Sektionschef im Sozialministerium, sowie der langjährige Abgeordnete im National- und Bundesrat Albrecht K. Konecny. Verbandssekretär der SPÖ-Studenten war Erich Schmidt, später Landwirtschaftsminister. Auch der spätere Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny engagierte sich für die Linken. Alle Genannten haben in ihren späteren Funktionen gute Arbeit geleistet, den revolutionären Elan der Studentenzeit konnten sie aber kaum in ihre Funktionen hinüberretten. Für alle gilt mehr oder weniger, was der einst linke Grünpolitiker und spätere deutsche Außenminister Joschka Fischer sagte: »Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert etwas länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt.«

      Damals träumten die Wortführer im VSStÖ von der revolutionären Einheit zwischen Arbeitern und Studenten. Schon der erste Versuch, diese Einheit herzustellen, schlug fehl. Die Raxwerke in Wiener Neustadt standen vor der Schließung beziehungsweise Teilprivatisierung, und die dortigen Arbeiter drohten mit Streik. Im Büro der SPÖ-Studenten wurden Flugzettel hergestellt, in denen für eine Arbeiterselbstverwaltung der Raxwerke plädiert wurde. Eine gemeinsame Delegation von VSStÖ und Sozialistischen Mittelschülern machte sich auf den Weg nach Wiener Neustadt. Schon vor dem Fabriktor wurde diese von den Arbeitern abgewiesen. Die wollten von den revolutionären Phrasen nichts wissen. Die zurückgekehrten Studenten empörten sich: »Die Arbeiter haben überhaupt kein Klassenbewusstsein!« Die Arbeiter im »Vorwärts«, obwohl alle Mitglieder der SPÖ, waren auf die Studenten auch nicht gut zu sprechen. Im Vordergrund stand für diese die nächste Lohnerhöhung und nicht eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft.

      Herbert Marcuse, der damals von den Studenten verehrte deutsch-amerikanische Soziologe, hatte es vorhergesehen. Mit der revolutionären Potenz der Industriearbeiterschaft sei nicht zu rechnen, weil sie von »repressiver Toleranz« umnebelt seien, wie er in seinem Buch Der eindimensionale Mensch erklärte. Den Studenten komme daher die Führungsrolle innerhalb der revolutionären Intelligenz zu. Man las viel in dieser Zeit, von Marx bis Gramsci, von Sartre bis Adorno. Letzterer kam dann auch auf Einladung des VSStÖ im April 1967 nach Wien, um an der Universität einen Vortrag über neue Aspekte des Rechtsradikalismus zu halten. Anlass waren die erstaunlichen Wahlerfolge der NPD, die in Deutschland in mehrere Landesparlamente einzog. Einiges von Adornos Analyse trifft auch auf das heutige Erstarken der Rechten zu.

      Absolutes Feindbild war für die linken Studenten Karl Popper. Besonders ein Werk hatte es ihnen angetan: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Popper wendet sich darin gegen geschlossene Systeme und Ideologiekonstruktionen. Als positives Gegenbild zu diesen »geschlossenen Gesellschaften« entwirft Popper eine »offene Gesellschaft«, die nicht am Reißbrett geplant ist, sondern sich pluralistisch in einem fortwährenden Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen evolutionär fortentwickelt. Bruno Kreisky hat das genauso gemacht. Die Demokratisierung der Gesellschaft hat er als permanenten Prozess gesehen. Es war dies ein evolutionäres Konzept im Gegensatz zum revolutionären Entwurf der linken Studenten. Kreisky gelang mit seinem Ansatz das, was den Studenten verwehrt blieb: eine Einheit von Intellektuellen und Arbeitern, zumindest

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