Die Schatzinsel. Robert Louis Stevenson
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Das Dorf konnte man vom Admiral Benbow aus nicht sehen, weil es auf der anderen Seite der nächsten Bucht lag, allerdings nur ein paar hundert Yards entfernt. Und noch ein anderer Umstand ermutigte mich: der Blinde war aus der entgegengesetzten Richtung aufgetaucht und vermutlich auch wieder dorthin zurückgegangen. Unser Weg dauerte nur wenige Minuten, obwohl wir ein paar Mal stehen blieben, einander bei den Händen fassten und angestrengt horchten. Aber wir vernahmen nur vertraute Geräusche: die Wellen schlugen leise an den Strand, und im nahen Wald krächzten seine gefiederten Bewohner.
Es dämmerte bereits, als wir das Dorf erreichten, überall brannten die Kerzen. Nie werde ich die Freude vergessen, mit der mich jener gelbe Schein erfüllte, der mir da aus Türen und Fenstern entgegenstrahlte. Leider war dort aber, wie sich bald herausstellte, außer diesen Lichtern nicht viel an Hilfe zu erhalten. Denn keine Menschenseele – man hätte doch meinen können, erwachsene Männer würden sich schämen, so zu handeln –, buchstäblich niemand mochte uns zum Admiral Benbow zurückbegleiten. Je mehr wir von unserer Bedrängnis erzählten, desto mehr klammerten sich alle – Mann, Weib und Kind – an ihr schützendes Daheim. Mir sagte der Name Kapitän Flint ja nichts, aber manche aus dem Dorf kannten ihn sehr wohl, und er jagte ihnen gehörigen Schrecken ein. Zudem erzählten einzelne Feldarbeiter, die auf den Äckern jenseits des Admiral Benbow beschäftigt waren, dass Fremde über die Landstraße gezogen seien; man habe diese für Schmuggler gehalten und sei ihnen vorsichtshalber ausgewichen. Mindestens einer bezeugte sogar, er habe in einer nahegelegenen winzigen Bucht, die wir Kitt’s Hole nannten, einen kleinen Logger gewahrt. So stand es nun einmal: allein die Tatsache, dass jemand möglicherweise ein Schiffskamerad des Kapitäns war, erfüllte die Dorfbewohner schon mit Todesangst. Kurz und gut: ein paar erklärten sich bereit, zu Doktor Livesey zu reiten – der in einer anderen Richtung wohnte –, doch nicht einer wollte uns helfen, das Wirtshaus zu verteidigen.
Feigheit steckt an, heißt es; andererseits aber ist Widerspruchsgeist ein gewaltiger Mutmacher. Und so sagte denn meine Mutter, nachdem sich alle geäußert hatten, ihnen ein paar passende Worte. Sie denke nicht daran, erklärte sie, Geld verloren zu geben, das ihrem vaterlosen Jungen gehöre. »Wenn ihr euch alle nicht traut«, stellte sie klar, »Jim und ich trauen uns. Wir gehen den Weg zurück, den wir gekommen sind; ihr großen Kerle braucht euch gar kein Bein auszureißen, lahm und hasenherzig, wie ihr seid. Wir werden die Kiste öffnen, und wenn es uns das Leben kostet. Euch immerhin, Mrs. Crossley, danke für die Tasche. Da werde ich unser rechtmäßiges Geld hineinpacken.«
Natürlich sagte ich, dass ich meine Mutter nicht allein ließe, und ebenso natürlich entsetzten sich alle lauthals über unsere Tollkühnheit, aber nicht einmal jetzt erbot sich einer der Männer, mit uns zu kommen. Lediglich ein paar Gesten rangen sie sich ab: sie gaben mir eine geladene Pistole für den Fall, dass wir angegriffen würden, und versprachen, gesattelte Pferde bereit zu halten, für den Fall, dass man uns auf dem Rückweg verfolgte. Außerdem würde ein Bursche zum Doktor reiten; der solle sich um bewaffneten Beistand kümmern.
Mein Herz klopfte nicht schlecht, während wir beide in der kalten Nacht zu unserem gefährlichen Abenteuer loszogen. Der Vollmond ging gerade auf und lugte rot schimmernd durch den oberen Rand des Nebels. Dies beschleunigte unsere Schritte, denn die Dunkelheit, da machten wir uns nichts vor, würde uns nicht mehr lange schützen. Bis wir unsere Angelegenheiten im Gasthof erledigt hätten, wäre es taghell, und wenn wir dann zum Rückweg aufbrächen, würden die sicherlich ringsum lauernden Späher dies bestimmt bemerken. Also huschten wir möglichst rasch und geräuschlos vorwärts, immer dicht an den Hecken entlang. Zunächst einmal sahen und hörten wir nichts, das unseren Schrecken gesteigert hätte. Aber erst, nachdem sich endlich die Tür des Admiral Benbow hinter uns geschlossen hatte, fühlten wir eine gewisse Erleichterung.
Sofort schob ich den Riegel vor. Einen Augenblick blieben wir stehen und atmeten tief durch. Nun waren wir allein in dem dunklen Haus – allein mit der Leiche des Käpt’ns. Meine Mutter holte eine Kerze aus der Schankstube; wir fassten einander bei den Händen und rückten in die Gaststube vor. Der Tote lag da, wie wir ihn verlassen hatten: auf dem Rücken, die Augen geöffnet und einen Arm von sich gestreckt.
»Zieh die Rouleaus herunter, Jim«, flüsterte meine Mutter, »die könnten kommen und uns von draußen beobachten. So, und jetzt«, fuhr sie fort, nachdem ich alle Blenden heruntergelassen hatte, »müssen wir dem Wesen da den Schlüssel abnehmen. Aber wer soll sowas anfassen, großer Gott!«, sagte sie mit einem Ton in der Stimme, der fast wie Schluchzen klang.
Sofort kniete ich nieder. Auf dem Boden, dicht neben der Hand des Käpt’ns, lag ein Stück Papier, klein, rund, auf einer Seite geschwärzt. Dies musste der Schwarze Fleck sein. Ich hob ihn auf und entdeckte, dass die Rückseite beschrieben war. In gestochen klarer Schrift stand dort die kurze Botschaft: »Du hast Zeit bis heute abend um zehn.«
»Er hatte Zeit bis zehn, Mutter«, sagte ich. Genau in dem Augenblick, da ich die Worte aussprach, begann unsere alte Uhr zu schlagen. Das plötzliche Geräusch erschreckte uns über alle Maßen, aber brachte immerhin gute Kunde: es war erst sechs.
»So, Jim«, sagte meine Mutter, »jetzt den Schlüssel.«
Ich durchsuchte seine Taschen, eine nach der anderen: ein paar kleine Münzen, ein Fingerhut, etwas Zwirn und mehrere grobe Nähnadeln, eine angebissene Rolle Kautabak, sein Klappmesser mit dem gebogenen Griff, ein Handkompass und ein Feuerzeug – das war alles, was ich darin fand, und ich begann schon zu verzweifeln.
»Um den Hals vielleicht?«, vermutete meine Mutter.
Ich musste einen heftigen Widerwillen überwinden; schließlich aber riss ich sein Hemd am Halse auf – und tatsächlich: da hing der Schlüssel an einem geteerten Bindfaden, den ich mit seinem eigenen Messer durchschnitt. Dieser Erfolg erfüllte uns mit Hoffnung, und unverzüglich eilten wir hoch in das kleine Zimmer, wo er so lange gewohnt hatte und wo die Truhe seit dem Tage seiner Ankunft unberührt stand.
Sie sah aus wie andere Seemannskisten auch. Auf dem Deckel prangte ein mit heißem Eisen eingebranntes »B«. Die Ecken waren, wohl durch jahrelange und nicht eben schonende Benutzung, etwas zerstoßen oder sogar abgebrochen.
»Gib mir den Schlüssel«, sagte meine Mutter. Und obwohl sich das Schloss sehr sperrig zeigte, hatte sie die Kiste im Handumdrehen offen und warf den Deckel zurück.
Ein scharfer Geruch von Tabak und Teer entstieg dem Inneren. Zu sehen war aber vorerst nur, obenauf gepackt, ein Anzug aus gutem Stoff, tadellos gebürstet, sorgfältig zusammengelegt und, wie meine Mutter befand, noch nie getragen. Darunter jedoch begann das bunte Allerlei: ein Quadrant; ein Zinnkännchen; mehrere Stangen Kautabak; zwei Paar Pistolen – sehr schöne Arbeit; ein Barren Silber; eine alte spanische Taschenuhr; diverse eher geringwertige Schmuckstücke, meist ebenfalls fremdländischer Herkunft; ein Zirkel mit Beschlagteilen aus Messing; dazu fünf bis sechs seltsam geformte westindische Muscheln. Ich habe mich seither oft gefragt, warum dieser Pirat auf seinem unsteten, sündigen und