Der Himmel über Nirvana. Charles R Cross
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Es ist eine auffallend gut aussehende Familie und eine, die von der Ausstrahlung her amerikanischer nicht sein könnte – ordentliche Frisuren, strahlend weiße Zähne und die sorgfältig gebügelte Kleidung stilisiert wie in einem Sears-Katalog von Anfang der Siebzigerjahre. Bei näherem Hinsehen jedoch enthüllt sich aber eine Dynamik, die selbst dem Fotografen schmerzlich aufgefallen sein musste: Es ist ein Familienporträt, aber kein Porträt einer Ehe. Don und Wendy berühren einander nicht; es ist nicht der geringste Hinweis auf Zuneigung zwischen den beiden zu sehen, sie scheinen nicht einmal auf demselben Foto zu sein. So wie Kurt vor seinem Vater steht und Kim auf Wendys Schoß sitzt, könnte man eine Schere nehmen und das Foto – nebst Familie – einfach mitten durchschneiden. Man bekäme zwei separate Familien, jeweils ein Erwachsener und ein Kind, nach Geschlechtern getrennt – die viktorianischen Kleider auf der einen Seite, die Jungs mit den breiten Kragen auf der anderen.
–2–
ICH HASSE MOM, ICH HASSE DAD
Aberdeen, Washington, Januar 1974 bis Juni 1979
Ich hasse Mom, ich hasse Dad.
– Aus einem Gedicht an der Wand von Kurts Zimmer.
Als Don sich 1974 entschloss, zu kündigen und sich doch nach einem Job in der Holzbranche umzutun, nahm der Druck auf die Familie zu. Don war kein großer Kerl und hatte von Haus aus kein gesteigertes Interesse daran, Achtzig-Meter-Riesen zu fällen, und so nahm er einen Bürojob bei Mayr Brothers an. Er wusste, dass sich in der Holzbranche letztlich mehr Geld verdienen ließ als an der Tankstelle; unglücklicherweise musste er aber auf der niedrigsten Lohnstufe anfangen und bekam mit vier Dollar und zehn Cent die Stunde sogar noch weniger als als Mechaniker. Er verdiente sich etwas dazu, indem er an den Wochenenden im Sägewerk Inventur machte, und dahin nahm er oft Kurt mit. „Er fuhr mit seinem kleinen Fahrrad auf dem Hof herum“, erinnerte sich Don. Kurt machte sich später über den Job seines Vater lustig und behauptete, es sei für ihn die Hölle gewesen, seinen Vater begleiten zu müssen. Damals aber freute er sich darüber, dass dieser ihn einbezog. Obwohl er es als Erwachsener später hartnäckig bestritt: Die Anerkennung und die Aufmerksamkeit seines Vaters waren von entscheidender Wichtigkeit für Kurt, und er wollte mehr davon, nicht weniger. Immerhin gestand er später, an die ersten Jahre in der kleinen Familie glückliche Erinnerungen zu haben. „Ich hatte eine wirklich schöne Kindheit“, sagte er 1992 dem Magazin Spin, nicht ohne gleich hinzuzufügen: „Bis ich so neun Jahre alt war.“
Don und Wendy mussten sich immer wieder Geld borgen, um über die Runden zu kommen, was mit ein Hauptgrund für Streitereien war. Leland und Iris bewahrten in ihrer Küche einen Zwanzig-Dollar-Schein auf, den sie witzelnd mit einem Gummiball verglichen, der immer wieder zurückkam, wenn man ihn wegwarf: Jeden Monat liehen sie ihn ihrem Sohn für Lebensmittel, und kaum hatte Don das Geld zurückgezahlt, borgte er es sich auch schon wieder. „Er machte die Runde, zahlte seine Rechnungen, und dann kam er zu uns“, erinnerte sich Leland. „Er gab uns die zwanzig Dollar zurück, und dann meinte er: ‚Mensch, da hab ich ja wieder gut abgeschnitten diese Woche. Ich hab noch fünfunddreißig, vierzig Cent übrig.‘“ Leland, der Wendy nicht mochte, weil sie sich seiner Ansicht nach benahm, als sei sie „etwas Besseres als die Cobains“, erinnerte sich, wie die junge Familie dann immer am Blue Beacon, einem Drive-in-Restaurant in der Boone Street, vorbeifuhr und den Rest für Hamburger ausgab. Obwohl Don mit seinem Schwiegervater Charles Fradenburg, der bei der Bezirksstraßenmeisterei Planierraupe fuhr, gut auskam, fanden Leland und Wendy nie so recht zusammen.
Aus den ständigen Spannungen zwischen den beiden wurde ein offener Streit, als Leland beim Umbau des Hauses in der First Street mithalf. Er baute Don und Wendy einen Zierkamin ins Wohnzimmer und passte ihnen neue Arbeitsplatten für die Küche ein, aber er und Wendy gerieten sich zunehmend in die Haare. Schließlich erklärte Leland seinem Sohn, wenn er Wendy nicht dazu brächte, ihn mit ihrem Genörgel in Ruhe zu lassen, würde er den Kram halb fertig liegen lassen und gehen. „Es war das erste Mal, dass ich gehört habe, dass Donnie ihr widersprach“, erinnerte sich Leland. „Sie meckerte über irgendwas, und irgendwann sagte er: ‚Jetzt halt doch endlich mal deine verdammte Klappe, sonst packt er sein Werkzeug zusammen und geht.‘ Und da hat sie dann doch einfach mal den Mund gehalten.“
Wie einst sein Vater mit ihm war auch Don streng mit seinen Kindern. Einer von Wendys Vorwürfen an ihren Mann war der, dass er von den Kindern ständig tadelloses Betragen verlangte – ein unmöglicher Standard – und von Kurt erwartete, er solle sich wie ein „kleiner Erwachsener“ benehmen. Wie alle Kinder war Kurt hin und wieder einfach eine richtige Plage. Das meiste von dem, was er anstellte, wenn er sich mal abreagierte, war nicht der Rede wert – er schmierte an die Wände, schlug Türen zu oder triezte seine kleine Schwester. Trotzdem setzte es dafür öfter mal eine Tracht Prügel, aber Dons übliche – und beinahe täglich angewandte – Methode der körperlichen Züchtigung bestand darin, Kurt mit zwei gestreckten Fingern vor die Brust oder gegen die Schläfe zu stoßen. Das tat zwar nicht besonders weh, der psychologische Schaden jedoch war enorm: Die Stöße erinnerten seinen Sohn ständig daran, dass ihm jederzeit Schlimmeres blühen konnte, und verstärkten Dons Dominanz. Kurt begann sich immer öfter in den begehbaren Wandschrank seines Zimmers zurückzuziehen. Solche abgeschlossenen, engen Räume, die bei anderen Panikattacken hervorgerufen hätten, suchte er sich als Zufluchtsort.
Und es gab einiges, wovor man sich gern versteckte: Beide Eltern konnten sarkastisch und spöttisch sein. Einmal, als Kurt noch klein und unreif genug war, um so etwas zu glauben, warnten Don und Wendy ihn: Wenn er nicht brav sei und vor allem nicht endlich aufhörte, mit seiner Schwester zu streiten, würde er zu Weihnachten wohl nur einen Brocken Kohle bekommen. Als Streich steckten sie ihm dann ein Stück Kohle in den Weihnachtsstrumpf. „Es war nur ein Scherz“, erinnerte sich Don. „Wir haben das jedes Jahr gemacht. Er hat schon seine Geschenke bekommen und so – er hat nie nichts bekommen.“ Der kleine Kurt freilich verstand diese Art von Humor nicht, zumindest erzählte er die Geschichte später so. Einmal, so behauptete er, hätten seine Eltern ihm eine Starsky & Hutch-Spielzeugpistole versprochen, die er aber nie bekam. Stattdessen habe er nur ein fein säuberlich verpacktes Brikett in seinem Strumpf gefunden. Kurt übertrieb bei dieser Geschichte, aber in seiner inneren Vorstellung hatte das Bild von seiner Familie bereits einen ganz persönlichen Dreh bekommen.
Gelegentlich kamen Kim und Kurt ganz gut miteinander aus, spielten zuweilen sogar miteinander. Obwohl Kim nicht das künstlerische Talent ihres Bruders hatte – und mit ihm ständig um die Aufmerksamkeit der Familie rivalisierte –, entwickelte sie einiges Geschick als Stimmenimitatorin. Besonders gut hatte sie Micky Maus und Donald Duck drauf, und mit solchen Einlagen konnte sich Kurt stundenlang amüsieren. Kims stimmliche Fertigkeiten brachten Wendy gar auf eine ganz neue Fantasie. „Der große Traum meiner Mutter“, erklärte Kim später, „war, dass Kurt und ich in Disneyland enden würden, dass wir beide dort arbeiten würden. Er als Zeichner, ich mit meinen Stimmen.“
Der März 1975 brachte viel Freude für den achtjährigen Kurt: Er durfte endlich Disneyland besuchen und dazu noch das erste Mal mit dem Flugzeug fliegen. Leland war 1974 in den Ruhestand gegangen und hatte den Winter mit Iris in Arizona verbracht. Don und Wendy fuhren Kurt nach Seattle, setzten ihn in eine Maschine, und Leland holte den Jungen in Yuma ab, bevor es nach Südkalifornien ging. Sie erlebten zwei völlig überdrehte Tage: Sie besuchten Disneyland, Knotts Berry Farm, einen südkalifornischen Fantasypark nach dem Muster von Disneyland, und die Universal Studios. Kurt war völlig hin und weg. Gleich dreimal wollte er in Disneyland mit den „Pirates of the Caribbean“ fahren. In Knotts Berry Farm wagte er sich in die riesige Achterbahn, war aber blass wie ein Gespenst, als er wieder ausstieg. Als Leland seinen Enkel fragte, ob er nun genug habe, bekam der sofort wieder Farbe – und fuhr gleich noch einmal mit der