Der Himmel über Nirvana. Charles R Cross

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Der Himmel über Nirvana - Charles R Cross

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„Holen Sie den kleinen Blondschopf da lieber rein, bevor ihm noch der Kopf abgebissen wird!“ Kurt widersetzte sich dem Befehl und schoss ein Foto vom Rachen des Hais, der nur Zentimeter an seiner Kamera vorbeizog. Später, auf dem Freeway, schlief Kurt auf dem Rücksitz ein, und wohl nur deshalb gelang es seinen Großeltern, ihn am Magic Mountain, einem weiteren Entertainment-Park in Kalifornien, vorbeizuschmuggeln – sonst hätten sie da auch noch reingemusst.

      Von all seinen Verwandten stand Kurt seiner Großmutter Iris am nächsten. Die beiden teilten ein Interesse an der Kunst und hingen zuweilen einer gewissen Melancholie nach. „Die beiden vergötterten einander“, erinnerte sich Kim. „Ich glaube, Kurt erkannte instinktiv, dass sie die Hölle durchgemacht hatte.“ Sowohl Iris als auch Leland hatten eine schwierige Kindheit hinter sich. Bittere Armut und der frühe Tod ihrer Väter durch Arbeitsunfälle hatten bei beiden tiefe Narben hinterlassen. Iris’ Vater war an giftigen Dämpfen in der Rayonier Pulp Mill, einer Zellstofffabrik, gestorben; Lelands Vater war County-Sheriff gewesen und umgekommen, als sich aus seiner Dienstwaffe versehentlich ein Schuss löste. Leland war fünfzehn, als sein Vater starb. Er ging zu den Marines und wurde nach Guadalcanal geschickt, aber nachdem er einen Offizier zusam­mengeschlagen hatte, musste er zur psychiatrischen Beobachtung in eine ­Klinik. Nach seiner Entlassung heiratete er Iris, aber er kämpfte mit dem Alkohol und seinem Jähzorn, vor allem nachdem ihr dritter Sohn Michael geistig zurück­geblieben zur Welt kam und im Alter von sechs Jahren in einer Anstalt starb. „Freitagabend, wenn es die Lohntüte gab, kam er betrunken nachhause“, erinnerte sich Don. „Er hat meine Mutter verprügelt. Er hat mich verprügelt. Er hat meine Großmutter verprügelt und den Freund meiner Großmutter. Aber so war das damals nun mal.“ Als Kurt heranwuchs, war Leland bereits wesentlich sanfter geworden, seine schlimmste Waffe war seine vulgäre Sprache.

      Wenn Leland und Iris nicht zur Verfügung standen, musste eines der Fradenburg-Geschwister als Babysitter für Kurt herhalten – drei von Kurts Tanten wohnten in einem Umkreis von vier Blocks. Auch Dons jüngerer Bruder Gary musste den Kleinen ein paar Mal hüten, und eine dieser Gelegenheiten bescherte Kurt seinen ersten Trip zurück in das Krankenhaus, in dem er geboren worden war. „Ich habe ihm den rechten Arm gebrochen“, erzählte Gary. „Ich lag auf dem Rücken und er auf meinen Füßen, und ich stieß ihn mit den Füßen in die Luft.“ Kurt war ein ausgesprochen lebhaftes Kind, und so, wie er den ganzen Tag herumrannte, waren die Verwandten ohnehin überrascht, dass er sich nicht öfter etwas brach.

      Kurts gebrochener Arm heilte wieder, und die Verletzung schien ihn beim Sport nicht weiter zu stören. Don hatte seinen Sohn zum Baseballspielen angehalten, kaum dass dieser laufen konnte, und deckte ihn mit Bällen, Schlägern und Handschuhen ein. Als Kleinkind hatte Kurt es noch interessanter gefunden, die Baseballschläger als Percussioninstrumente einzusetzen, aber schließlich begann er sich sportlich zu betätigen, erst in der Nachbarschaft, dann in der Mannschaft. Mit sieben spielte er zum ersten Mal in einem Little-League-Team. Sein Dad war der Coach. „Er war nicht der Beste im Team, aber auch nicht schlecht“, erinnerte sich Gary Cobain später. „Ihm lag nicht wirklich viel am Spiel, dachte ich mir immer, so mental, meine ich. Ich glaube, er hat seinem Vater zuliebe gespielt.“

      Baseball war ein Beispiel dafür, wie Kurt um Dons Anerkennung warb. „Kurt und mein Vater kamen prima miteinander aus, als er noch klein war“, erinnerte sich Kim, „aber aus Kurt wurde einfach nicht das, was Dad sich von seinem Sohn erwartet hatte.“

      Sowohl Don als auch Wendy sahen sich mit diesem Konflikt zwischen dem idealisierten und dem realen Kind konfrontiert. Beide hatten aus ihrer eigenen Kindheit ungestillte Bedürfnisse, und Kurts Geburt brachte all ihre persönlichen Erwartungen zum Vorschein. Don wollte die Vater-Sohn-Beziehung, die er mit Leland nie gehabt hatte, und dachte, wenn sie zusammen Sport trieben, würde sich diese Bindung schon einstellen. Und obwohl Kurt durchaus Spaß am Sport hatte – vor allem, wenn sein Vater nicht dabei war –, verband er intuitiv die Liebe seines Vaters damit, und das sollte ihn fürs Leben zeichnen. Seine Reaktion war mitzumachen, aber unter Protest.

      Als Kurt in der zweiten Klasse war, kamen seine Eltern und Lehrer darauf, seine rastlose Energie könne womöglich einen krankhaften Hintergrund haben. Kurts Kinderarzt wurde zurate gezogen und in der Folge darauf geachtet, dass Kurt die Lebensmittelfarbe Red Dye Number Two nicht mehr bekam. Als keine Besserung eintrat, schränkten seine Eltern auch die Zuckerzufuhr ein. Schließlich verschrieb der Arzt Ritalin, das Kurt über drei Monate hinweg einnahm. „Er war hyperaktiv“, erzählte Kim. „Er sprang durch die Gegend wie ein Gummi­ball, vor allem, wenn man ihm Zucker gab.“

      Andere Verwandte vermuten, Kurt habe womöglich an einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit Hyperaktivität (ADHS; der deutsche Struwwelpeter ist eine Darstellung dieser Störung) gelitten. Mari erinnerte sich, wie sie einmal bei einem Besuch bei den Cobains Kurt mit einer Trommel durchs Viertel laufen und aus vollem Hals schreien sah. Mari ging ins Haus und fragte ihre Schwester: „Was in aller Welt macht der Junge denn da?“ – „Keine Ahnung“, antwortete Wendy, „ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch mit ihm anstellen soll – ich habe schon alles versucht.“ Wendy beruhigte sich damals damit, Kurt würde so einfach die überschüssigen Energien abreagieren, die man als Junge eben so hat.

      Die Entscheidung, Kurt Ritalin zu verschreiben, war selbst 1974 umstritten, da einige Wissenschaftler argumentierten, das Medikament könne bei Kindern zu einer Pawlow’schen Reaktion führen und die Suchtanfälligkeit im späte­ren Leben erhöhen. Andere wiederum sind der Ansicht, wenn man hyper­aktive Kinder nicht behandle, würden sie später womöglich eine Art Selbstmedikation mithilfe von Drogen versuchen. Jeder in der Familie hatte eine andere Ansicht bezüglich Kurts Diagnose und ob ihm die kurze Behandlung eher geholfen oder geschadet hat; Kurts eigener Ansicht nach jedoch war das Medikament, wie er Courtney Love später erzählte, durchaus von einschneidender Bedeutung. Love, die als Kind selbst Ritalin bekommen hatte, sagte, sie habe das Thema oft mit ihm diskutiert. „Wenn man als Kind ein Medikament bekommt, das einem bestimmte Gefühle verschafft, wo wird man dann wohl als Erwachsener Hilfe suchen?“, fragte Love. „Dieses Mittel versetzte einen als Kind in Euphorie – wie sollte so eine Erinnerung nicht bei einem hängen bleiben?“

      Im Februar 1976, nur eine Woche nach Kurts neuntem Geburtstag, ließ Wendy Don wissen, sie wolle die Scheidung. Es war ein Abend mitten unter der Woche, Wendy machte ihre Ankündigung und raste in ihrem Camaro davon – und überließ es Don, die Sache den Kindern beizubringen, etwas, worin er von Haus aus nicht gut war. Obwohl Dons und Wendys Eheprobleme sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1974 noch einmal verschärft hatten, kam Wendys Erklärung für Don doch überraschend, von der übrigen Familie ganz zu schweigen. Don weigerte sich einfach, es zu glauben, und verkroch sich in sich selbst, ein Verhalten, das auch bei seinem Sohn später in Krisenzeiten zu beobachten sein sollte. Wendy war von jeher eine starke Persönlichkeit und neigte zu Zornausbrüchen, trotzdem war Don schockiert darüber, dass sie tatsächlich die Familie auseinander brechen wollte. In der Hauptsache warf sie ihm vor, sich fast nur noch für seinen Sport zu interes­sieren – er spielte gleich in mehreren Mannschaften und war mittlerweile Schiedsrichter und Coach. „Ich glaubte einfach nicht, dass es wirklich dazu kommen würde“, sagte Don später. „Scheidungen waren damals noch nicht so an der Tagesordnung wie heute. Ich wollte auch gar keine. Sie wollte – sie wollte einfach raus.“

      Am 1. März zog Don aus und nahm sich ein Zimmer in Hoquiam. Er erwartete, Wendys Zorn würde sich wieder legen und ihre Ehe gerettet, darum mietete er sich jeweils für eine Woche ein. Für Don machte die Familie ein gut Teil seiner Identität aus, in seiner Rolle als Vater fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben gebraucht. „Beim bloßen Gedanken an Scheidung war er am Boden zerstört“, erinnerte sich Stan Targus, Dons bester Freund. Die Trennung war umso komplizierter, als Wendys Familie Don über alles gern hatte, vor allem ihre Schwester Janis und deren Mann Clark, die ganz in der Nähe der Cobains wohnten. Einige von Wendys Geschwistern fragten sich insgeheim, wie sie ohne Don finanziell durchkommen sollte.

      Am 29. März bekam Don eine Vorladung und einen Scheidungsantrag zugestellt. Ein ganzer Schwung juristischer

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