Der Himmel über Nirvana. Charles R Cross
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Wie viele Scheidungskinder war Kurt ein Meister darin, seine Eltern gegeneinander auszuspielen. Als etwa Wendy 1980 als Bürokraft beim County Commissioner in der Kreisverwaltung von Montesano arbeitete, besuchte Kurt sie des Öfteren nach der Schule, nur um zu petzen, wie Don und Jenny ihm wieder zugesetzt hätten. Je unerträglicher Kurts Situation in Monte wurde, desto mehr hoffte er, Wendy würde ihn wieder bei sich aufnehmen. Seine Mutter aber hatte ihre eigenen Probleme, und zwar mit Frank. Kim gegenüber erwähnte sie einmal, sie habe Angst, wenn Kurt mitbekäme, wie ungut es bei ihnen zuhause zugeht, würde er womöglich schwul werden. Jahre später, als Kurt das Thema Wendy und Kim gegenüber zur Sprache brachte, sagte seine Mutter ihm: „Kurt, du hast ja keine Ahnung, wie das damals war. Du wärst doch nur in einer Erziehungsanstalt, wenn nicht gar im Gefängnis gelandet.“
Wiederholt beklagte sich Kurt Wendy gegenüber, Jennys Kinder würden in der Familie bevorzugt. Wenn Jennys Ex-Mann Mindy und James etwas schenkte, war Kurt eifersüchtig. Jede Disziplinarmaßnahme gegen ihn sah er vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er nicht Jennys leibliches Kind war. Seinen Freunden erzählte er, dass er Jenny nicht mochte; er maulte über ihr Essen und behauptete sogar, sie würde ihm die Limonade rationieren. Jenny, so sagte er, höre „das Zischen einer Pepsi-Dose noch drei Zimmer weiter“, und aufs Pausenbrot gebe es „nur zwei Scheiben Carl-Buddig-Schinken pro Sandwich und zwei Grandma’s Cookies dazu“.
Leland Cobain machte Don Vorhaltungen über die Ungerechtigkeit Kurt gegenüber: „Die hatten Obst auf dem Tisch stehen, und Mindy und James konnten jederzeit hergehen und sich einen Apfel nehmen. Wenn Kurt sich einen nahm, dann machte Donnie ihm die Hölle deswegen heiß.“ Lelands Ansicht nach hatte Don derartige Angst davor, Jenny könnte ihn verlassen, dass er sich auf die Seite ihrer Kinder stellte. Don gab zu, dass es in Sachen Disziplin mit Kurt mehr Probleme gab als mit Jennys Kindern, aber das hatte seiner Meinung zufolge nichts mit Bevorzugung, sondern nur mit Kurts Charakter zu tun. Aber es stimmte schon: Don machte sich tatsächlich Sorgen, Jenny würde ihn sitzen lassen, wenn Kurt zu viele Scherereien machte: „Ich hatte Angst, es könnte so weit kommen, dass es hieß: ‚Entweder er oder ich.‘ Und ich wollte sie nicht verlieren.“
Kurts Beziehung zu seinen Geschwistern und Stiefgeschwistern wurde ausgeglichener, je älter er wurde. Seinen Halbbruder Chad vergötterte er, weil er Babys einfach von Haus aus gern hatte. Mindy bekam dann und wann einen Boxhieb ab, aber wenn keine Schule war, spielte er auch mal den ganzen Tag mit ihr. Schulkameraden, die auf seine Familie zu sprechen kamen – einige seiner Kumpel fanden Mindy süß –, beeilte er sich zu korrigieren, wenn sie Mindy seine „Schwester“ nannten. Seinen Freunden gegenüber bezeichnete er Mindy als „nicht meine Schwester, sondern die Tochter der neuen Frau von meinem Dad“ und sprach diese Worte aus, als wäre Mindy eine Art Folter, die er täglich zu ertragen verdammt sei.
Mit James kam er besser aus, weil er bei ihm nicht Gefahr lief, von ihm in den Schatten gestellt zu werden. James war der batboy in einem von Kurts Baseballteams und hatte sich da um die Schläger der batters, der Schlagleute, zu kümmern, und wenn andere Jungs auf James herumhackten, ging Kurt dazwischen und drohte den Angreifern. Außerdem interessierten sie sich beide fürs Kino. Im Sommer fuhr die Familie oft in ein Autokino mit zwei Leinwänden – mit zwei Autos. Das mit den Kindern wurde dann vor der Leinwand mit dem jugendfreien Film geparkt, während die Eltern sich im anderen Wagen den Streifen für Erwachsene ansahen. Kurt brachte James bei, dass sie sich nicht unbedingt die x-te Don-Knotts-Komödie reinziehen mussten, sie brauchten nur aufs Klo zu gehen und konnten sich dann von draußen etwas für Ältere anschauen, wie zum Beispiel Heavy Metal, der Kurt besonders gefiel. Kurt liebte es, seinem jüngeren Stiefbruder Filme zu erzählen, die er gesehen hatte. Im Jahr zuvor hatte er Die unheimliche Begegnung der dritten Art gesehen, die Dialoge daraus konnte er so gut wie auswendig hersagen. „Beim Essen spielte er immer mit seinem Kartoffelbrei und formte daraus diesen Berg aus dem Film“, erinnerte sich James.
1981, mit vierzehn, begann Kurt mit der Super-Acht-Kamera seiner Eltern eigene Kurzfilme zu drehen. Eine seiner ersten Produktionen war eine aufwändige Film-„Hommage“ an Orson Welles’ Hörspiel Krieg der Welten mit selbst modellierten Ton-Außerirdischen, die im Hinterhof der Cobains landeten. Er zeigte den Film James und redete ihm – mit Erfolg – ein, Außerirdische hätten ihr Haus besetzt. Ein Film von 1982 offenbarte eine weitaus dunklere Seite von Kurts Psyche. Der Film heißt Kurt begeht blutigen Selbstmord und zeigt Kurt, der – mit James hinter der Kamera – so tut, als schneide er sich mit den Scharten einer aufgeschnittenen Limonadendose die Pulsadern auf. Kurt benutzte Spezialeffekte und Kinoblut und spielte seine Todesszene auf eine überdramatische Art und Weise aus, die er sich wohl in alten Stummfilmen abgeguckt hatte.
Der grausige Streifen nährte nur die Sorgen der Eltern über die dunkle Seite, die sie an ihrem Sohn immer mehr wahrzunehmen glaubten. „Irgendetwas stimmte da einfach nicht“, meinte Jenny, „irgendetwas stimmte nicht mit seinen Denkprozessen, von Anfang an. Da schien etwas aus dem Gleichgewicht zu sein.“ Kurt konnte seelenruhig über Dinge reden, die den meisten Jungs in seinem Alter Albträume bereitet hätten: Mord, Vergewaltigung, Selbstmord. Er war nicht der erste Teenager der Weltgeschichte, der je das Thema Selbstmord aufs Tapet gebracht hätte, aber die lässige Art, wie er darüber witzelte, kam seinen Freunden doch merkwürdig vor. Einmal auf dem Heimweg von der Schule schlug sein Freund John Fields Kurt vor, er solle doch Maler werden, und Kurt antwortete ganz beiläufig, er habe da andere Pläne: „Ich werde ein Rocksuperstar, bringe mich um und mache einen flammenden Abgang“, sagte er. „Das ist ja wohl das Dümmste, was ich je gehört habe“, entgegnete Fields, „Red nicht so einen Blödsinn.“ Aber Kurt blieb dabei: „Nein, ich möchte reich und berühmt werden und mich dann umbringen wie Jimi Hendrix.“ Dass Jimi Hendrix’ Tod kein Selbstmord gewesen war, wussten die Jungs damals nicht. Fields ist nicht der einzige Freund aus Kurts Zeit in Monte, der so eine Geschichte auf Lager hat – ein halbes Dutzend anderer Bekannter erzählt ihre eigenen Versionen dieser Unterhaltung, die immer dieselbe finstere Richtung nahm.
Innerhalb der Familie selbst überraschte es niemanden, dass Kurt mit seinen vierzehn so beiläufig über Selbstmord sprach. Zwei Jahre zuvor hatte sich Lelands Bruder, Kurts Großonkel Burle Cobain, im Alter von sechsundsechzig Jahren mit einem kurzläufigen Revolver, Kaliber achtunddreißig, erst in den Bauch und dann in den Kopf geschossen. Leland hatte die Leiche entdeckt. Man munkelte, Burle habe eine Anklage wegen sexueller Belästigung ins Haus gestanden. Er hatte der Familie nicht so nahe gestanden wie Kurts andere Onkel, aber sein Tod war für Kurt ein ständiges Thema. Beiläufig witzelte er, sein Onkel habe sich „wegen des Todes von Jim Morrison“ das Leben genommen, und das, obwohl Morrison bereits zehn Jahre vorher gestorben war.
Worüber Kurt seine Witze machte, war für seinen Großvater Leland ein niederschmetternder Schlag. 1978, ein Jahr vor Burles Selbstmord, war Lelands Bruder Ernest an einer Gehirnblutung gestorben. Ernests Tod im Alter von siebenundfünfzig Jahren galt zwar offiziell nicht als Selbstmord, aber später kam heraus, dass er von seinem Arzt ultimativ gewarnt worden war, er würde sterben, wenn er nicht zu trinken aufhöre. Er trank weiter und stürzte schließlich eine Treppe hinunter, was zu der inneren Blutung führte.
Dies waren nicht die einzigen Todesfälle, die auf Kurt einwirkten. Als er in der achten Klasse war, erhängte sich ein Junge aus Montesano außerhalb einer Grundschule im Ort. Kurt kannte den Jungen: Es war Bill Burghardts Bruder. Kurt, Burghardt und Rod Marsh entdeckten die an einem Ast baumelnde Leiche auf dem Weg zur Schule und starrten sie gut eine halbe Stunde lang an, bis sie schließlich von Schulpersonal verscheucht wurden. „Es war das Groteskeste, was ich je gesehen habe“,