Der Himmel über Nirvana. Charles R Cross
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Kurts Experimente mit Drogen begannen in der achten Klasse, als er anfing, Marihuana zu rauchen und LSD zu nehmen. Zuerst rauchte er Pot auf Partys, dann zusammen mit Freunden, und schließlich rauchte er täglich allein. In der neunten Klasse war er bereits ein ausgewachsener Kiffer. Marihuana war in Monte billig und in rauen Mengen zu haben, meist zuhause selbst gezogen, und es half Kurt dabei, die Zustände zuhause zu vergessen. Was als geselliges Ritual begonnen hatte, wurde für Kurt zum Anästhetikum seiner Wahl.
Zu der Zeit, als er mit den Drogen anfing, begann er auch regelmäßig die Schule zu schwänzen. Wenn er zusammen mit seinen Freunde blaumachte, kauften sie sich Gras oder jemand ließ aus der Hausbar seiner Eltern eine Flasche Sprit mitgehen. Bald begann Kurt aber auch allein blauzumachen, oder er ging in die Schule und verdrückte sich nach der ersten Stunde wieder. Er traf seine Freunde immer seltener und schien sich überhaupt von allem zu entfremden – außer seinem Zorn. In der Silvesternacht 1980 begegnete Trevor Briggs Kurt, der mutterseelenallein in einem Park von Montesano auf einer Schaukel saß und vor sich hin pfiff. Trevor lud Kurt zu sich nachhause ein, die beiden sahen sich im Fernsehen die Dick Clark Show an und rauchten sich zu. Das alte Jahr endete für sie mit dem Gesicht über der Kloschüssel, so viel „Home-grown“ hatten sie geraucht.
Was ein paar Jahre zuvor noch geradezu wie ein Idyll geschienen hatte, der ideale Ort, um dort zur Schule zu gehen, wurde für Kurt bald zu einer Art Gefängnis. Im Gespräch mit Freunden zog er neben seinen Eltern auch über Montesano her. Er hatte Harper Lees Wer die Nachtigall stört gelesen und erklärte, das Buch schildere bis aufs i-Tüpfelchen Montesano. Anfang 1981 begann sich mehr und mehr ein anderer Kurt zu zeigen – oder eben gerade nicht zu zeigen: Er verbrachte immer mehr Zeit in Isolation. Im Haus in der Fleet Street hatte er ein ausgebautes Kellerzimmer bezogen. Seinen Freunden erzählte er, der Umzug komme ihm wie eine Verbannung vor. In seinem Kellerzimmer vertrieb er sich die Zeit mit einem Flipperautomaten aus dem Versandhaus, den er zu Weihnachten bekommen hatte, einer gebrauchten Stereoanlage von Don und Jenny und einem Stapel Platten. In seiner Plattensammlung hatte er Grand Funk Railroad, Boston und Elton John. Kurts Lieblingsplatte in diesem Jahr war Evolution von Journey.
Seine Konflikte mit Don und Jenny hatten einen kritischen Punkt erreicht. All ihre Bemühungen, Kurt wieder in die Familie einzubinden, waren fehlgeschlagen. Er fing an, den Familienabend zu boykottieren, und weil er sich innerlich verlassen fühlte, entschloss er sich, im Gegenzug seine Familie äußerlich zu verlassen. „Er hatte im Haushalt ein paar Aufgaben, ganz normale kleine Pflichten, aber er hörte einfach auf und machte keinen Finger mehr krumm“, erinnert sich Don. „Wir versuchten, ihn mit Taschengeld zu bestechen, und wenn er gewisse Hausarbeiten nicht machen wollte, dann zogen wir ihm etwas ab. Aber er wollte einfach gar nichts mehr machen. Das ging dann so weit, dass er uns Geld schuldete. Da rastete er dann immer aus, knallte die Türen und rannte in seinen Keller.“ Kurt schien auch nicht mehr so viele Freunde zu haben. „Mir fiel damals auf, dass einige von seinen Freunden nicht mehr kamen“, sagte Jenny. „Er verbrachte viel mehr Zeit zuhause, aber dass er da war, hieß noch lange nicht, dass er bei uns war. Er schien mir immer introvertierter zu werden. Er war still und brummelig.“ Rod Marsh erinnerte sich, wie Kurt in diesem Jahr die Katze eines Nachbarn umbrachte. In einem Anfall von Halbwüchsigen-Sadismus – der in auffallendem Kontrast zu seinem späteren Charakter als Erwachsener steht – warf er die lebendige Katze in den Kamin des elterlichen Hauses und lachte, als sie starb und es im ganzen Haus zu stinken begann.
Im September 1981 begann Kurt sein erstes Highschooljahr. In einem Versuch, sich anzupassen, bewarb er sich im Herbst für das Footballteam. Trotz seiner kleinen Statur kam er durch das Auswahlverfahren – ein deutliches Zeichen dafür, wie klein die Schule in Montesano war. Er trainierte zwei Wochen lang mit, stieg dann aber wieder aus, weil es ihm angeblich zu viel Arbeit war. In selben Jahr hatte er sich auch bei den Leichtathleten eingeschrieben, Diskuswerfen – eine erstaunliche Leistung bei seiner Statur – und Zweihundert-Yards-Lauf. Er war sicher nicht der beste Sportler, schon allein weil er viel zu oft das Training schwänzte, aber er gehörte zu den Schnelleren unter den Jungs. Auf dem Gruppenfoto der Sportler im Jahrbuch sieht man ihn mit verkniffenen Augen in die Sonne blinzeln.
Im Februar dieses Jahres – wie durch eine glückliche Fügung – verkündete Onkel Chuck Kurt, er könne sich von ihm zum vierzehnten Geburtstag entweder ein Fahrrad oder eine E-Gitarre wünschen. Ein Junge, der seine Schulhefte mit Bildern von Rockstars voll malte, brauchte da nicht lange zu überlegen. Kurt hatte bereits Dons Lapsteel-Hawaiigitarre auf dem Gewissen; er hatte sie zerlegt, um ihr Innenleben zu untersuchen. Die Gitarre, die er von Chuck bekam, war nicht viel besser: ein billiges Ding aus Japan, auch noch aus zweiter Hand. Immer wieder ging sie kaputt, aber für Kurt war sie sein Ein und Alles. Weil er nicht wusste, wie man die Saiten aufzog, rief er Tante Mari an und fragte, ob man dabei alphabetisch vorging. Nachdem er die Gitarre aber erst einmal startklar hatte, schien er regelrecht mit ihr zu verwachsen, er nahm sie sogar mit in die Schule, um damit anzugeben. „Alle fragten ihn danach“, erinnert sich Trevor Briggs. „Ich habe ihn damit auf der Straße getroffen, und er meinte: ‚Brauchst mich gar nicht erst zu fragen, ob ich was spiele, die ist kaputt.‘“ Aber das spielte keine Rolle – die Gitarre war für Kurt weniger ein Instrument als eine Identität.
Zu dieser Identität gehörte auch der Sport. Er hatte mit dem Ringen weitergemacht und stieg nach dem Eintritt in die Highschool in die dortige Ringerriege auf. Die Montesano Bulldogs holten sich in diesem Jahr mit zwölf Siegen und nur drei Niederlagen den Meistertitel, allerdings ohne dass Kurt daran wesentlich beteiligt gewesen wäre: Immer öfter kam er nicht zum Training, ließ sogar Matches sausen, und bei einer ersten Mannschaft erwies sich seine Größe nun denn doch als gewaltiger Nachteil. In der zweiten Mannschaft zwei Jahre zuvor war Ringen noch eine lustige Methode zum Abreagieren gewesen, in der ersten ging es jetzt todernst zur Sache, und beim Training musste Kurt ständig gegen Jungs antreten, die ihn in null Komma nichts auf die Schultern nagelten. Zum Ende der Saison posierte Kurt für das Mannschaftsfoto in gestreiften Kniestrümpfen, und zwischen seinen Ungetümen von Mannschaftskameraden sah er eher aus wie ein Trainer als ein Mitglied der Riege.
Auf der Ringermatte inszenierte Kurt eine seiner größten Schlachten mit seinem Vater. Am Tag der Meisterschaftskämpfe, so jedenfalls erzählte Kurt die Geschichte später selbst, ging er in den Ring, um es Don, der auf der Tribüne saß, zu zeigen. Michael Azerrad gegenüber schilderte Kurt das Ganze später folgendermaßen: „Ich war auf meinen Händen und Knien und schaute zu meinem Vater hinüber, lächelte und wartete auf den Anpfiff. Ich starrte ihm ins Gesicht und tat dann gar nichts mehr. Ich verschränkte meine Arme und ließ mich einfach auf die Schultern legen.“ Kurt behauptete, das viermal hintereinander gemacht zu haben, jedes Mal drehte man ihn sofort auf den Rücken, bis Don angewidert die Halle verließ. Don Cobain versicherte, die Geschichte sei erfunden; auch Kurts Klassenkameraden erinnern sich nicht daran, vermuten vielmehr, das Team hätte jemandem, der absichtlich verlor, die Hucke voll gehauen. Leland Cobain jedoch erinnerte sich daran, dass Don ihm die Geschichte nach dem Match erzählte: „Einfach dagelegen hat er, der kleine Scheißkerl“, habe Don geschimpft. „Er wollte sich einfach nicht wehren.“
Kurt war ein Meister darin, bei seinen Erzählungen zu übertreiben – er erzählte lieber seine emotionale Wahrheit als die eigentliche. Höchstwahrscheinlich war es einfach so, dass Kurt einen überlegenen Gegner abbekommen und beschlossen hatte, sich erst gar nicht zu wehren, was natürlich vollends ausreichte, um einen Perfektionisten wie seinen Vater auf die Palme zu bringen. Aber die Art, wie Kurt die Geschichte erzählte, die Schilderung des kurzen Blicks zwischen seinem Vater und ihm zeigt, wie sehr sich ihre Beziehung in den sechs Jahren seit der Scheidung verschlechtert hatte. Immerhin hatten sie früher einmal jede freie Minute zusammen verbracht, und an dem Tag, an dem Don Kurt das Minimotorrad gekauft hatte, war er für seinen Sohn der Größte gewesen. Bei der Highschool die Straße runter gab es ein Restaurant, wo die beiden immer gemeinsam hingegangen waren; da saßen sie dann, allein, eine kleine Familie, und aßen schweigsam, verbunden in ihrer Einsamkeit: ein kleiner Junge, der sich