Der Himmel über Nirvana. Charles R Cross
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Das Sorgerecht für die beiden Kinder ging an Wendy, aber Don sollte monatlich pro Kind einhundertfünfzig Dollar Unterhalt zahlen und auch sämtliche Arztkosten für die Kinder tragen. Dafür sprach man ihm Besuchsrecht in einem „vernünftigen Umfang“ zu. Wir sprechen hier von einem Kleinstadtgericht in den Siebzigerjahren, die Einzelheiten des Besuchsrechts wurden nicht ausdrücklich geregelt, und überhaupt war das Arrangement eher informeller Natur. Don zog zu seinen Eltern in deren Trailer in Montesano. Er gab die Hoffnung nicht auf, dass Wendy es sich noch einmal überlegen würde, nicht einmal, nachdem die letzten Papiere unterschrieben waren.
Wendy jedoch dachte nicht im Traum daran. Wenn sie mit etwas abgeschlossen hatte, dann interessierte sie das nicht mehr, und nichts hätte sie weniger interessieren können als Don. Es dauerte nicht lange, und sie begann ein Verhältnis mit Frank Franich, einem gut aussehenden Hafenarbeiter, der doppelt so viel verdiente wie Don. Auch Franich neigte zu Jähzorn und Gewaltausbrüchen, und nichts machte Wendy mehr Freude, als dieses Gift gegen Don spritzen zu sehen. Als Dons neuer Führerschein versehentlich an seine alte Adresse geschickt wurde, öffnete jemand die Sendung, rieb Kot auf Dons Passbild, klebte den Umschlag wieder zu und schickte ihn weiter an Don. Dies war keine Scheidung, sondern ein Krieg – ein Krieg, der mit all dem Hass, der Bosheit und den Rachegelüsten einer Blutfehde geführt wurde.
Für Kurt kam das alles einem emotionalen Super-GAU gleich – kein anderes Ereignis in seinem Leben hatte mehr Einfluss auf die Prägung seiner Persönlichkeit. Wie viele andere Scheidungskinder auch verinnerlichte er die Trennung seiner Eltern. Da er die Tiefe der Kluft zwischen ihnen nicht hatte ahnen können, verstand er auch den Grund für die Scheidung nicht. „Er dachte, es wäre alles seine Schuld“, erzählte Mari. „Für Kurt war das ein Trauma, weil sich alles, worauf er vertraut hatte – seine Sicherheit, seine Familie –, vor seinen Augen auflöste.“ Anstatt seinen Ängsten Luft zu machen, verkroch Kurt sich in sich selbst. In jenem Juni schrieb er an die Wand seines Schlafzimmers: „Ich hasse Mom, ich hasse Dad. Dad hasst Mom, Mom hasst Dad. Man möchte einfach nur noch ganz traurig sein.“ Dies hier war ein Junge, der als Kleinkind seiner Familie so eng verbunden war, dass er gegen den Schlaf ankämpfte, wie Mari in ihrem Aufsatz sieben Jahre zuvor geschrieben hatte, weil „er sie nicht verlassen“ wollte. Jetzt – ohne dass er etwas dafürgekonnt hätte – hatten sie ihn verlassen. Iris Cobain bezeichnete 1976 einmal als „Kurts Jahr im Fegefeuer“.
Auch physisch machte Kurt die Scheidung zu schaffen. Mari erinnert sich daran, dass Kurt während dieser Zeit einmal ins Krankenhaus musste; sie hatte von ihrer Mutter gehört, dass er nicht richtig aß. „Ich weiß noch, dass Kurt wegen Unterernährung ins Krankenhaus musste, als er zehn war“, sagte sie. Kurt erzählte seinen Freunde, er müsse Barium trinken und sich den Bauch röntgen lassen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass das, was man damals für Unterernährung hielt, das erste Symptom der Magenstörung war, die ihm später zu schaffen machen sollte. Seine Mutter hatte mit Anfang zwanzig ein Magenleiden gehabt, kurz nach seiner Geburt, und als Kurt die ersten Beschwerden zeigte, nahm man an, es handle sich um dieselbe Reizbarkeit wie bei ihr. Um die Zeit der Scheidung entwickelte Kurt außerdem ein nervöses Zucken der Augenlider. Die Familie führte das auf den Stress zurück, was wahrscheinlich zutrifft.
Während seine Eltern sich scheiden ließen, blieb Kurt in seiner vorpubertären Entwicklung mit all ihren innerlichen Umwälzungen natürlich nicht stehen. Kurz bevor er in die vierte Klasse kam, begann er Mädchen als sexuelle Wesen wahrzunehmen und sich Gedanken um seinen Status in der Gesellschaft zu machen. In jenem Juli erschien ein Bild von ihm in der Aberdeen Daily World, als sein Baseballteam in der Aberdeen Timber League den ersten Platz machte – seine Mannschaft hatte von fünfzehn Spielen nur eines verloren. Der zweite Höhepunkt jenes Sommers war die Aufnahme eines schwarzen Kätzchens, das er durchs Viertel hatte streunen sehen. Es war sein erstes Haustier, er nannte es Puff.
Drei Monate, nachdem die Scheidung rechtskräftig geworden war, äußerte Kurt Interesse daran, bei seinem Vater zu wohnen. Er zog zu Don, Leland und Iris in den Trailer, aber bereits Anfang Herbst mieteten Vater und Sohn sich einen eigenen, kleineren Wohnwagen, gleich auf der anderen Straßenseite. An den Wochenenden besuchte Kurt Wendy, Kim und Puff.
Das Zusammenleben mit seinem Vater befriedigte einige von Kurts emotionalen Bedürfnissen – hier stand er im Mittelpunkt des Interesses, war praktisch wieder ein Einzelkind. Don hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Scheidung, das er mit materiellen Geschenken überkompensierte. Er kaufte Kurt eine Yamaha Enduro 80, ein Minimotorrad, das sofort die Attraktion des ganzen Viertels wurde. Lisa Rock, die nur einige Straßen weiter wohnte, lernte Kurt in jenem Herbst kennen: „Er war ein ruhiges, unheimlich sympathisches Kind. Ständig lächelte er. Er war ein bisschen schüchtern. Es gab da eine Wiese, auf der er mit seinem Minibike herumkurvte, und ich fuhr mit dem Fahrrad neben ihm her.“
„Ruhig“: Das Adjektiv, mit dem Lisa Rock den kleinen Kurt beschrieb, findet sich auch immer wieder in Berichten über den erwachsenen Kurt. Er konnte stundenlang schweigend dasitzen, ohne auch nur das Bedürfnis nach Smalltalk zu verspüren. Kurt und Lisa waren am selben Tag geboren, und als die beiden zehn wurden, feierten sie ihren Geburtstag gemeinsam bei ihr. Kurt freute sich über die Einladung, fühlte sich angesichts all der Aufmerksamkeit aber nicht so recht wohl in seiner Haut. Als Vierjähriger war er ein furchtloser Draufgänger gewesen; als Zehnjähriger war er überraschend ängstlich. Seit der Scheidung war er im Umgang mit anderen reserviert geworden, wartete stets darauf, dass der andere den ersten Schritt tat.
Nach der Scheidung und mit dem Einsetzen der Pubertät nahm die Bedeutung des Vaters für Kurt noch um einiges zu. Nach der Schule blieb Kurt bei den Großeltern, aber sobald Don nachhause kam, verbrachten sie den Rest des Tages zusammen, und Kurt machte gern bei allem mit, was Don von ihm verlangte, selbst wenn er dazu auf den Sportplatz musste. Nach den Baseballspielen aßen die beiden Cobains gelegentlich zusammen im örtlichen „Malt Shop“, wo Milchshakes, Limonaden, Eis, Hotdogs und Ähnliches verkauft werden. Beide genossen sie dieses Beisammensein, ohne dabei aber den Kummer über den Verlust der Familie vergessen zu können – es war, als hätte man ihnen einen Arm oder ein Bein amputiert: Es ging irgendwie ohne, aber die Erinnerung daran ließ sie nicht los. Ihre Liebe füreinander war in jenem Jahr stärker als je zuvor oder zu irgendeinem Zeitpunkt danach, trotzdem waren sie beide zutiefst einsam, Vater wie Sohn. Aus Angst, seinen Dad zu verlieren, bat Kurt Don, nicht wieder zu heiraten. Der gab seinem Sohn die Hand darauf und versprach ihm, sie beide würde immer zusammenbleiben.
Im Winter 1976 wechselte Kurt auf die Beacon Elementary School in Montesano. Die Schulen in Montesano waren kleiner als die in Aberdeen, und schon innerhalb weniger Wochen nach dem Wechsel erfreute er sich einer Beliebtheit, wie er sie bis dahin nicht gekannt hatte – und mit ihr schien sich auch die alte Furchtlosigkeit wieder einzustellen. Aber trotz des zur Schau getragenen Selbstbewusstseins blieb ihm doch die Verbitterung über sein Schicksal: „Man sah ihm an, dass ihn die Scheidung seiner Eltern regelrecht quälte“, erinnerte sich Darrin Neathery, ein Klassenkamerad aus der Zeit.
Als er im Herbst 1977 in die fünfte Klasse kam, war Kurt aus „Monte“, wie die Einheimischen ihre Stadt nennen, nicht mehr wegzudenken – jeder Schüler der Stadt kannte ihn, und die meisten mochten ihn auch. „Er war ein hübscher Junge“, erinnerte sich John Fields. „Er war clever, und die Dinge liefen gut für ihn.“ Mit seinem blonden Schopf und den blauen Augen war Kurt bald der Liebling aller Mädchen. „Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er eines der beliebtesten Kinder war“, bemerkte Roni Toyra. „Es gab da eine Gruppe von etwa fünfzehn Kindern, die zusammen rumzogen, und er war ein wichtiger Teil dieser Gruppe. Er war wirklich süß mit seinen blonden Haaren, den großen blauen Augen