You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson
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Während seiner Schulzeit hatte Joseph Angst vor einer Lehrerin. Er war besonders angehalten, Respekt vor den Lehrern zu haben, weil sein Vater Direktor der örtlichen High School war und an strenge Disziplin durch körperliche Züchtigung glaubte. Die furchteinflößende Frau machte Joseph offenbar so viel Angst, dass er schon zu zittern begann, wenn sie nur seinen Namen aufrief. Einmal, so wurde uns erzählt, sollte er vor die Klasse treten und vorlesen, was an der Tafel stand. Zwar wusste er genau, welche Worte es waren, aber die Angst verschlug ihm die Sprache. Die Lehrerin fragte ihn ein zweites Mal. Als er wieder keine Antwort gab, folgte die Strafe auf dem Fuße, in Form eines hölzernen Bretts, das er auf den nackten Hintern bekam. Das Ding hatte noch dazu Löcher, damit es bei jedem Schlag auch richtig zog. Während sie ihn bestrafte, sagte sie ihm auch, wieso er die Prügel bekam: Er hatte ihr nicht gehorcht, als er nicht laut lesen konnte. Zwar hasste er sie dafür, aber er respektierte sie auch. „Aus diesem Grund hörte ich ihr zu und gab immer mein Bestes“, sagte er.
Genauso war es, wenn Papa Jackson ihn schlug. So war er erzogen worden, nach der alten Maxime, dass man jemandem, den man kontrollieren will, erst einmal eine Heidenangst einjagen muss. Diese Lehre wurde ihm sozusagen Schlag für Schlag eingetrichtert. Einige Wochen später veranstaltete dieselbe Lehrerin einen Talentwettbewerb, und die Schüler durften sich dabei aussuchen, was sie tun wollten – Gedichte, eine Kurzgeschichte, eine Theaterszene schreiben oder malen. Joseph hatte keine künstlerische Ader, er verstand sich nicht auf Worte – er hatte sich immer nur Stummfilme angesehen. Ihm fiel nur eins ein, die Stimme seines Vaters, wenn der „Swing Low, Sweet Chariot“ sang. Also beschloss er zu singen, aber als er an die Reihe kam, zitterte er so sehr, dass seine Stimme flatterte und er kaum einen Ton traf, und die ganze Klasse fing an zu lachen. Mit dem Gefühl der Erniedrigung kehrte er auf seinen Platz zurück und erwartete wieder Schläge. Als die Lehrerin zu ihm trat, duckte er sich. „Du hast sehr schön gesungen“, sagte sie jedoch. „Sie lachen, weil du nervös warst, und nicht, weil du schlecht warst. Das war ein guter Versuch.“
Als er von der Schule nach Hause ging, schwor sich Joseph, er würde es ihnen zeigen, und er begann von einem Leben im Showgeschäft zu träumen. Von dieser Geschichte erfuhr ich erst vor kurzer Zeit, als er sie plötzlich wieder ausgrub, vielleicht bei dem Versuch, ihr im Licht der jüngsten Ereignisse neue Bedeutung zu verleihen. Ich glaube nicht, dass einer von uns Jacksons sich je besonders viel Mühe gegeben hat, sich intensiver mit unserer Familiengeschichte zu beschäftigen oder auch nur darüber zu reden. Michael sagte einmal, dass er Joseph nie wirklich gekannt habe. „Das ist traurig für einen Sohn, der seinen Vater immer verstehen wollte“, schrieb er 1988 in seiner Autobiografie Moonwalk – Mein Leben.
Joseph hat vermutlich etwas an sich, das sich nicht entschlüsseln lässt. Es ist schwer, hinter seine Mauern zu dringen, die er sich vielleicht aus Verlustängsten heraus erbaut und mit seinem Bedürfnis nach Respekt verstärkt hat. Keiner von uns kann sich je daran erinnern, dass er uns umarmt oder mit uns gekuschelt hätte oder dass er je „Ich habe dich lieb“ gesagt hätte. Er hat nie mit uns herumgerangelt oder uns abends ins Bett gebracht, und es gab auch keine innigen Vater-Sohn-Gespräche über das Leben. Wir alle erinnern uns an Respekt, an Anweisungen, an Aufgaben und Befehle, aber nicht an Zuneigung. Wir kannten unseren Vater und wussten, wie er war. Ein Mensch, der wollte, dass andere zu ihm aufsahen, und dem es wichtig war, seine Familie zu versorgen – ein richtiger Kerl eben.
Wenn man das akzeptierte, dann kannte man ihn tatsächlich ein wenig – so weit das eben möglich war. Aber auch, wenn es Michael sehr schwerfiel, mit Josephs Art zurechtzukommen, er versuchte doch stets, ihn zu verstehen, und er richtete nicht über ihn. Traurig war allerdings, dass Michael diese Hintergrundgeschichte, die ich gerade erzählt habe, vermutlich nie gehört hat. Wahrscheinlich kennen die meisten Menschen ihre Eltern in erster Linie als „Mutter“ und „Vater“ und nicht als die Menschen, die sie waren, bevor sie selbst Kinder bekamen. Aber je mehr wir über die Kindheit und Jugend unserer Eltern wissen, desto besser können wir vielleicht verstehen, warum wir so geworden sind, wie wir sind. Die Geschichten aus Josephs Schulzeit erklären jedenfalls eine ganze Menge, glaube ich.
Im Gegensatz zu den meisten Arbeitern in Indiana träumte Joseph nicht nur von einem Leben in Kalifornien, ohne zu wissen, wie es dort wirklich war. Er hatte tatsächlich schon eine kurze Zeit im Westen gelebt und war auf den Geschmack gekommen. Seine Ziele waren eng verbunden mit den Sonnenuntergängen über dem Pazifik und dem Anblick des Hollywood-Schriftzugs. Mit 13 Jahren war er aus Arkansas nach Oakland in der Bucht von San Francisco gezogen, und auf der Zugfahrt dorthin war er durch Los Angeles gekommen. Grund für den Ortswechsel war, dass sein Vater von der Affäre erfuhr, die Josephs Mutter Chrystal mit einem Soldaten hatte. Er gab seine Stelle als Lehrer auf und fand in Oakland Arbeit auf einer Werft. Dabei war Samuel Jackson zunächst allein aufgebrochen und hatte Joseph zu Hause zurückgelassen. Drei Monate später, nachdem viele bittende Briefe zwischen Vater und Sohn hin- und hergegangen waren, fällte Joseph „die allerschwerste Entscheidung“ und ging in den Westen. Noch mehr Briefe folgten, dieses Mal zwischen Joseph und seiner Mutter. Unser Vater war offenbar schon als Kind mit einer großen Überzeugungskraft gesegnet gewesen, denn einige Monate später verließ Chrystal Jackson ihren neuen Freund und kehrte zu dem Mann zurück, von dem sie sich erst kürzlich hatte scheiden lassen.
Das Familienglück hielt ein Jahr, bevor Chrystal wieder nach Osten zog, um ein neues Leben mit einem anderen Mann in Gary, Indiana, anzufangen. Joseph fühlte sich vermutlich wie der Strick bei dem Tauziehen, das zwischen seinen Eltern stattfand. Dabei war gerade er ein Mensch, dem der Zusammenhalt und der Familienverband so unendlich wichtig waren. Ich weiß nicht, wie er das aushielt. Ich weiß nur, dass er sich eines Tages in den Bus setzte und von Oakland nach Gary fuhr. Er fand die Stadt zunächst „klein, dreckig und hässlich“, aber seine Mutter lebte dort, und wenn ich heute zwischen den Zeilen lese, dann glaube ich, dass er sich ein wenig wie eine „Berühmtheit“ fühlte – für die anderen Jugendlichen in seinem Alter kam er nicht aus Arkansas, sondern aus Kalifornien, und mit seinen Geschichten vom Leben an der Westküste war ihm die Aufmerksamkeit der Mädchen von Gary sicher. Und so blieb der sechzehnjährige Joseph mit seiner Mutter in Indiana, aber in Gedanken hielt er daran fest, dass er eines Tages nach Kalifornien zurückkehren würde. „Wir gehen in den Westen. Wartet nur ab, bis ihr gesehen habt, wie es dort ist“, pflegte er zu uns zu sagen, wie ein Entdecker, der seine Reise nur kurz unterbrochen hat, um sein großes Abenteuer zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen.
Die Jahre harter Arbeit hatten Falten und Furchen in Josephs Gesicht hinterlassen, er hatte buschige Brauen, die den Eindruck vermittelten, als runzele er beständig die Stirn, und nussbraune Augen, die direkt bis auf den Grund der Seele seines Gegenübers sehen konnten. Ein strenger Blick genügte uns Kindern, damit wir zu zittern anfingen. Aber wenn er von Kalifornien sprach, wurden seine Züge weicher. Er erinnerte sich an den „goldenen Sonnenschein“, an die Palmen, an Hollywood und überhaupt daran, dass die Westküste „der beste Ort zum Leben“ sei. Keine Verbrechen, saubere Straßen und zahlreiche Möglichkeiten, um bis ganz nach oben zu kommen. Wenn wir Fernsehserien wie Maverick guckten, dann zeigte er uns die Straßen, die er kannte. Im Laufe der Zeit wurde Los Angeles für uns auf diese Weise zu einem fiktiven Paradies, wie ein entfernter Planet: Wenn Menschen zum Mond zu fliegen vermochten, dann konnten wir vielleicht auch eines Tages nach L.A. reisen. Wenn die Sonne in Indiana unterging, dann sagten wir immer: „Bald geht die Sonne in Kalifornien unter.“ Wir wussten: Irgendwo da draußen gab es einen Ort und ein Leben, die besser waren als unsere aktuelle Wirklichkeit.
Lange bevor Michael zu Welt kam, als Mutter noch mit mir schwanger war, unternahm Joseph erste Schritte, um eines Tages „den Durchbruch zu schaffen“. Gemeinsam mit seinem Bruder Luther und ein paar Freuden gründete er eine Bluesband namens The Falcons, in der er Gitarre spielte. Als ich zur Welt kam, hatten sie schon ein gutes Programm ausgearbeitet und traten auf Partys und in kleinen Clubs im Ort auf,