You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson

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in Führung gingen. Marlon verlor auch nicht gern, und deshalb hatte Michael einen ernstzunehmenden Konkurrenten. Marlon war jemand, der nie verstand, wieso er nicht endlich seinen eigenen Schatten überholen konnte. Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er über die Straße rannte und dauernd zur Seite sah, erst voll wilder Entschlossenheit und schließlich ganz frustriert, weil ihm sein Schatten unüberwindlich auf den Fersen blieb.

      Wir schoben die Go-Karts über die Piste, bis die Metallkrampen über den Asphalt kratzten und die Räder blockierten oder abfielen, so dass Michael in seinem Gefährt auf die Seite kippte und ich so lachen musste, dass ich kaum noch stehen konnte.

      Auf einem Spielplatz nahe der Schule gab es ein kleines Karussell, auf dem wir unsere Lust am Geschwindigkeitsrausch ebenfalls auslebten. Man kauerte sich ziemlich in der Mitte hin, hielt sich an den Eisenstangen fest und brachte seine Brüder dazu, das Ding so schnell zu drehen, wie es irgend ging. „Schneller! Schneller! Schneller!“, rief Michael, die Augen fest geschlossen und vor Begeisterung lachend. Er setzte sich meist rittlings auf die Haltestangen und ließ sich dann herumwirbeln. Die Augen zugekniffen. Den Wind im Gesicht.

      Wir alle träumten davon, eines Tages einmal mit einem richtigen Zug zu fahren, ein echtes Go-Kart-Rennen zu bestreiten und bei Disney in einem großen Karussell zu sitzen.

      Noch bevor wir je etwas von Roald Dahl und seiner Geschichte von Willy Wonkas Schokoladenfabrik hörten, kannten wir schon dessen afro-amerikanische Version, Mr. Long. Er war wie ein Zauberer, mit weißem Haar, runzligen Gesichtszügen und lederartiger dunkler Haut, der in der nächsten Straße, der 22. Avenue, Süßigkeiten verkaufte. Sein Haus lag auf dem Weg zu unserer Grundschule am anderen Ende der Jackson Street.

      Viele Kinder machten sich wie wir regelmäßig auf zu Mr. Longs Haus, weil sein jüngerer Bruder auf unsere Schule ging. Weil wir Timothy kannten, bekamen wir immer einen guten Preis; für zwei oder fünf Cent gab es eine kleine Papiertüte voller Lakritz, Karamellbänder, Zitronendrops oder Kaubonbons mit Bananengeschmack – Mr. Long hatte einfach alles, ordentlich auf einem Bettgestell im Vorderzimmer ausgelegt. Er sagte nicht viel und lächelte auch nicht, aber wir freuten uns trotzdem jedes Mal darauf, ihn morgens vor der Schule zu besuchen; wir zeigten auf das, was wir haben wollten, und er packte es in unsere Tüte. Michael war verrückt nach Süßigkeiten, und dieses morgendliche Ritual ließ den Tag immer gleich viel freundlicher erscheinen. Wie wir an das nötige Kleingeld dafür kamen, ist eine andere Geschichte, die ich später erzählen will.

      Wir alle bewachten unsere Papiertüten mit den Süßigkeiten wie einen Goldschatz, und zu Hause, in unserem Zimmer, hatten wir alle unsere eigenen Verstecke, die natürlich die anderen Brüder aufspüren wollten. Ich bunkerte meine Sachen unter dem Bett oder unter der Matratze, und man kam mir immer auf die Schliche, aber Michael war wie ein Eichhörnchen und fand sehr clevere Verstecke, die nie einer von uns entdeckte. Wenn ich ihn später, als wir erwachsen waren, daran erinnerte, grinste er nur. So lachte Michael zeitlebens: eine Mischung aus Kichern, Glucksen und Grinsen, immer ein wenig schüchtern und meist auch ein bisschen verlegen. Michael spielte gern Einkaufsladen: Er bastelte sich einen Ladentisch, indem er ein Brett über ein paar aufgestapelte Bücher legte, darüber breitete er ein Tischtuch, und dann packte er seine Süßigkeiten aus. Der „Laden“ befand sich entweder in der Tür zu unserem Kinderzimmer oder auf dem untersten Etagenbett, und er kniete dann immer dahinter und wartete auf Kundschaft. Wir handelten und tauschten viel miteinander, dazu nahmen wir entweder das Wechselgeld, das wir von Mr. Long bekommen hatten, oder kleine Münzen, die wir auf der Straße gefunden hatten.

      Aber Michael war zum Entertainer geboren, nicht zum gewieften Geschäftsmann. So viel wurde klar, als unser Vater ihn eines Tages fragte, wieso er so spät von der Schule nach Hause komme. „Wo warst du?“

      „Ich habe Süßigkeiten gekauft“, antwortete Michael.

      „Wie viel hast du dafür bezahlt?“

      „Fünf Cent.“

      „Und für wie viel willst du sie jetzt verkaufen?“

      „Für fünf Cent.“

      Joseph gab ihm einen harten Klaps auf den Hinterkopf. „Man verlangt doch nicht nur denselben Preis, den man selbst bezahlt hat!“

      Das war typisch Michael: Immer viel zu fair, nie gerissen genug. „Wieso kann ich die Sachen nicht für fünf Cent weggeben?“, fragte er später im Kinderzimmer. Die Logik dahinter blieb ihm verschlossen, und der unverdiente Klaps hatte ihn verletzt. Ich ließ ihn auf dem Bett sitzen, wo er vor sich hin murmelte, während er seine Süßigkeiten sortierte und offenbar immer noch im Kopf Einkaufsladen spielte.

      Ein paar Tage später erwischte ihn Joseph hinten im Garten, wo er anderen Kindern aus der Straße Süßigkeiten durch den Zaun reichte. Kindern, die es nicht so gut hatten wie wir. Natürlich war er umlagert. „Für wie viel hast du ihnen den Kram verkauft?“, fragte Joseph.

      „Ich habe nichts verkauft. Ich habe es ihnen so gegeben.“

      Knappe dreitausend Kilometer entfernt vom Ort unserer Kindheit besuchte ich Michael mehr als zwanzig Jahre später auf seiner Ranch, Neverland Valley, bei Santa Ynez in Kalifornien. Er hatte viel Zeit und Geld darauf verwandt, das riesige Grundstück in einen richtigen Freizeitpark zu verwandeln, und die Familie war nun eingeladen, sich die fertige Märchenwelt anzuschauen. Neverland wurde in den Medien stets als verrücktes Produkt einer überbordenden Phantasie beschrieben, das sich stark an Disneyworld orientierte. Teilweise mag das stimmen, aber die Wahrheit liegt wesentlich tiefer, und das erkannte ich sofort, als ich mit eigenen Augen sah, was er hier geschaffen hatte.

      Es war eine Reise zurück in meine Kinderzeit: Weiße Weihnachtslichterketten säumten den Bürgersteig und die Pfade, beleuchteten die Bäume, das Dach und die Regenrinnen des im Tudorstil erbauten Hauses. Sie blieben das ganze Jahr über angeschaltet, damit es tatsächlich „jeden Tag Weihnachten“ war. Eine riesige Dampflok mit mehreren Wagen verkehrte zwischen den Läden und dem Kino, und ein ­Miniaturzug umrundete das ganze Anwesen und den Zoo. Wenn man im Haupthaus an der Tür am lebensgroßen Modell eines Butlers vorbeigekommen war, die breite Treppe nach oben nahm und dann einen langen Flur entlangging, kam man ins Spielzimmer. In diesem Raum, dessen Tür von lebensgroßen Superman- und Darth-Vader-Figuren bewacht wurde, befand sich ein enorm großer Tisch, auf dem eine alte Lionel-Eisenbahnlandschaft aufgebaut war. Zwei oder drei Züge drehten voll beleuchtet ihre Runden durch eine Miniaturwelt aus Hügeln, Tälern, Städten und Wasserfällen. Drinnen wie draußen hatte sich Michael die größten Spielzeugeisenbahnen gegönnt, die man sich vorstellen konnte.

      Auf dem Außengelände hatte er eine professionelle Go-Kart-Bahn mit allen Schikanen und engen Kurven konstruieren lassen und ein hübsches Karussell mit prachtvoll ausstaffierten Pferdchen aufgestellt, die sich zur Musik drehten. Es gab einen Süßigkeiten-Laden, in dem die Leckereien nichts kosteten, und einen Weihnachtsbaum, der das ganze Jahr über geschmückt blieb. 2003 sagte Michael, er habe sich die Ranch so eingerichtet, um alles zu haben, was er als Kind nie besaß. Aber er baute sich auch die Sachen nach, die ihm kurzzeitig durchaus viel Spaß gemacht hatten, nun jedoch in einer viel größeren, überdimensionierten Version. Er selbst bezeichnete sich als „Phantasie-Fanatiker“, und Neverland war seine ewige Phantasie.

      Neverland brachte uns die verlorenen Kindertage zurück, denn so stufte er seine frühen Jahre ein – als Verlust. Er, das ewige innere Kind, das durch seine Vergangenheit streifte und versuchte, sich irgendwie zukünftig mit seiner Vergangenheit zu versöhnen. Es war dabei nicht die Weigerung, erwachsen zu werden, denn wenn man ihn fragte, dann sagte er, dass er sich niemals wie ein kleiner Junge gefühlt habe. Von Michael war stets erwartet worden, dass er sich auch schon als Kind erwachsen verhielt, und daher verwandelte er sich in ein Kind, als er eigentlich ein Erwachsener hätte sein sollen. Er war eher Benjamin Button als Peter Pan, auch wenn er letzteren Vergleich

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