You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson
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„Oh, mein Junge“, beginnt Mutter, aber Michael hebt die Hand. Noch spricht er.
„Sie sagen schreckliche Dinge über mich. Ich bin dies. Ich bin das. Ich bleiche mir die Haut. Ich vergehe mich an Kindern. Ich würde nie … es ist nicht wahr, es ist alles nicht wahr“, sagt er mit leiser, brüchiger Stimme.
Seine Hände zupfen an seiner Jacke, er mutet wie ein verzweifeltes Kind an, das sich ein Kostüm abstreifen will, und er tritt von einem Fuß auf den anderen, trotz seiner Rückenschmerzen.
„Michael“, beginnt meine Mutter wieder.
Aber jetzt kommen die Tränen. „Sie können mich anklagen und die Welt dazu bringen, dass sie ihnen Recht gibt, aber sie sind so falsch … sie sind so falsch.“
Joseph lähmt dieser Gefühlsausbruch. Mutter hat die Hände vor den Mund geschlagen. Michael zerrt an den Knöpfen der Jacke und versucht sich aus den Ärmeln herauszuwinden. Das Kleidungsstück rutscht ihm von den Schultern und hängt von den Oberarmen, so dass die nackte Brust zu sehen ist.
Er schluchzt. „Seht mich an! … Seht mich an! Niemand auf der Welt wird so sehr missverstanden wie ich!“ Er bricht zusammen.
Mit gesenktem Kopf steht er vor uns, als ob er sich schämte. Zum ersten Mal sehe ich das Ausmaß seiner Hauterkrankung, und es schockiert mich. Es ist ihm so peinlich gewesen, dass er seinen Körper bisher selbst vor seiner Familie verborgen hat. Sein Oberkörper ist hellbraun, aber über den Rippen und dem Bauch sind große Bereiche richtiggehend weiß, ebenso wie ein weiterer, ausufernder Fleck an der Hüfte, und eine Reihe kleinerer Tupfen zieht sich über eine Schulter und den Oberarm. Insgesamt ist ein größerer Teil seiner Haut jetzt weiß und nicht mehr braun: Er sieht aus wie ein Weißer, der mit Kaffee übergossen wurde. So macht sich die Hautkrankheit Vitiligo bemerkbar, von der die zynische Welt behauptet, dass er sie gar nicht habe, weil sie offenbar lieber glauben will, dass er sich die Haut bleicht.
„Ich habe versucht, andere zu inspirieren … Dinge weiterzugeben …“ Seine Stimme verstummt, als Mutter zu ihm tritt, um ihn zu trösten.
„Gott kennt die Wahrheit. Gott kennt die Wahrheit“, wiederholt sie ein ums andere Mal.
Wir alle stehen um ihn herum, trauen uns nicht, ihn zu umarmen, weil sein Rücken so schmerzt, aber unsere Nähe bedeutet dennoch Trost. Ich ziehe ihm die Jacke wieder hoch. „Sei stark, Michael“, sage ich. „Es wird alles in Ordnung kommen.“
Es dauert nicht lange, dann hat er sich wieder im Griff, und er entschuldigt sich. „Ich bin stark. Es ist alles okay“, sagt er.
Ich lasse ihn mit unseren Eltern allein und verspreche ihm, dass ich den Prozess weiter begleiten werde, sobald ich von einer Reise nach Übersee zurück bin. Wir Brüder übernehmen es abwechselnd, ihn zu unterstützen. In einigen Tagen werde ich wieder da sein.
Nachdem ich gegangen bin, erhalten die Bodyguards eine Nachricht seines Anwalts Tom Mesereau aus dem Gericht. Der Richter ist nicht begeistert, dass Michael sich verspätet, und wenn er nicht binnen einer Stunde im Gerichtssaal eintrifft, wird die Freilassung auf Kaution wieder aufgehoben. Dass er wirklich Schmerzen hat, darauf nimmt man keine Rücksicht, oder man glaubt es ihm nicht.
Im Hotel packe ich meine Sachen und sehe im Fernsehen, wie mein Bruder schließlich bei Gericht erscheint. Er schützt seine Haut mit einem Schirm vor der Sonne, als er zum Eingang schlurft, und er trägt noch dieselbe Kleidung wie vorhin, als ich bei ihm war, die Schlafanzughosen und die schwarze Jacke, ergänzt lediglich um ein weißes Unterhemd. Joseph und ein Leibwächter stützen ihn.
Michael hatte stets viel Wert darauf gelegt, wie aus dem Ei gepellt und mit viel Würde vor Gericht zu erscheinen, und er hat seine Kleidung stets sorgfältig ausgewählt. Dieser Auftritt jetzt im Schlafanzug muss für ihn schwer erträglich sein. Der ganze Zirkus gerät allmählich völlig außer Kontrolle … dabei haben wir erst zehn Tage hinter uns.
Über das Hoteltelefon tätige ich einen Anruf. Am anderen Ende bestätigt man mir, was ich noch einmal hören wollte: Ja, der Privatjet ist noch verfügbar. Ja, er kann vom Flughafen Van Nuys abheben. Ja, wir können abfliegen, wann immer wir wollen. Nur ein Tag Vorlaufzeit ist nötig, dann könnte diese DC-8 mit Michael an Bord gen Osten fliegen, nach Bahrain, wo er ein neues Leben beginnen und ihn die amerikanische Justiz mit ihren falschen Vorwürfen nicht belangen könnte. Nach dieser Scharade wäre ich bereit, meine Staatsbürgerschaft aufzugeben und Michael samt seiner Familie an einen Ort zu bringen, wo man ihm nichts anhaben kann. Es gibt jemanden, der uns unterstützt, einen guten Freund. Wir haben einen Piloten. Alles ist vorbereitet. Auf keinen Fall würde mein Bruder, ein unschuldiger Mann, wegen dieser Sache ins Gefängnis gehen. Das würde er nicht überleben, und ich kann deshalb nicht einfach dasitzen und den Gedanken an diese Möglichkeit hinnehmen.
Diesen „Plan B“ haben wir ohne sein Wissen arrangiert, aber da ich ihm sagte, er solle sich keine Sorgen machen, ahnt er wahrscheinlich etwas, will es aber offenbar nicht genauer wissen. Muss er auch nicht. Noch nicht.
Mit mir selbst habe ich abgemacht, dass ich dann, wenn Tom Mesereau andeutet, dass sich die Waagschalen der Justiz zu unseren Ungunsten neigen, alles vorbereite und Michael zum Flughafen im San Fernando Valley vor den Toren von L.A. bringe. Wir werden ihn nachts, unter einer Decke versteckt, aus Neverland herausschmuggeln. Oder etwas in dieser Art unternehmen. In der Zwischenzeit versuche ich, Ruhe zu bewahren, denn bisher hat Tom nichts weiter gesagt als: „Ja, das war ein guter Tag für uns“, auch wenn die Zeugenaussagen allesamt schrecklich klangen. Er kennt sich mit den Nuancen aus, die für die Beweisführung von Bedeutung sind, und er weiß, wann die Staatsanwaltschaft mit den schweren Geschützen danebenschießt. Wir haben schnell gelernt, den Prozess nicht nach der Medienberichterstattung zu beurteilen. Also warte ich ab, aber dieses Vertrauen kostet mich meine ganze Kraft und bringt mich dazu, Botschaften auf Badezimmerspiegel zu schreiben.
Als ich später ins Auto steige und wie mit eingeschaltetem Autopiloten nach Süden fahre, frage ich mich, woher Michael die Kraft und den Glauben nimmt, um all das durchzustehen. Ich spüre, dass enorm viel Stolz in ihm steckt, und das zu einer Zeit, in der man sich aufgrund der unausgewogenen Presseberichte darauf eingeschossen hat, ihn für schuldig zu halten, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Man suhlt sich im angenehmen Kitzel des vermuteten Verbrechens, während entlastende Punkte allenfalls in Fußnoten vermerkt werden. Wieder kommt mir in den Sinn, was Michael 2003 einmal zu mir sagte, als der ganze Irrsinn begann: „Lügen sind gute Sprinter, aber die Wahrheit ist ein Marathonläufer … und die Wahrheit wird gewinnen.“ Ein wahres Wort.
Ich versuche mir vorzustellen, dass er als freier Mann aus dem Gericht kommt. Wie eine Szene aus einem Film. Wenn diese ganze Geschichte vorüber ist, dann werde ich alles tun, um seinen guten Namen in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Es wird nichts mehr geben, was man ihm sonst noch vorwerfen kann. Und ich werde ihn verteidigen, weil ich weiß, was ihn antreibt – ich kenne sein Herz, seinen Geist, seine Seele, seinen Ehrgeiz. Ich kenne den Jungen in dem Superstar-Kostüm. Ich kenne den Bruder aus der Jackson Street 2300. Seit unserer Kindheit sind wir eng miteinander verbunden, haben alles gemeinsam erlebt: den Traum, die Jackson 5, den Ruhm, die Trennung, die Streitereien, die Sorgen, die Skandale, den wahnsinnigen Druck. Er hat vor mir geweint. Ich habe ihn angeschrien. Er hat sich geweigert, mich zu sehen. Er hat mich angefleht, bei ihm zu bleiben. Wir wissen um unsere gegenseitige Loyalität und auch um den unbeabsichtigten Verrat. Und wegen all der Dinge, die dahinterstecken, wegen unseres brüderlichen Zusammenhalts, kenne ich seinen Charakter und seinen Verstand so gut, wie man es als Blutsverwandter nur kann.
Eines Tages, sage ich mir, wenn 2005 hinter uns liegt, dann werden ihn die Leute in Ruhe lassen und versuchen, ihn zu verstehen, anstatt über ihn zu richten. Sie werden ihn so sanft und mitfühlend