You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson. Jermaine Jackson
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Keime wurden als unsichtbare Ungeheuer dargestellt. Von Keimen wurde man krank, hörten wir. Andere Menschen übertrugen Keime. Keime waren in der Luft, auf der Straße, auf allen Oberflächen. Ständig wurde uns das Gefühl vermittelt, wir seien von einer unsichtbaren Invasion bedroht. Wenn einer von uns nieste oder hustete, kam das Rizinusöl auf den Tisch, und jeder von uns bekam einen Löffel, um die Infektion gleich zurückzudrängen. Ich weiß, dass ich hier auch für Michael, La Toya und Janet spreche, wenn ich sage, dass wir mit einer beinahe neurotischen Angst vor Keimen aufwuchsen, und es war nicht schwer zu erraten, weshalb.
Bevor es beim Abwasch mit dem Singen losging, bekamen wir unsere erste wichtige Lektion: „Wir waschen nur mit sauberem Wasser ab … mit SAUBEREM Wasser!“ Lektion Nummer zwei: „Macht das Wasser so heiß, dass ihr es gerade noch aushaltet, und nehmt ordentlich Seifenlauge.“ Jeder Teller wurde geschrubbt, bis die oberste Keramikschicht ganz dünn war. Jedes Glas wurde gespült und abgetrocknet und dann gegen das Licht gehalten, um zu überprüfen, ob sich nicht noch Wasserflecken fanden. Wenn ja, dann musste man noch einmal von vorn anfangen.
Wenn wir von draußen ins Haus kamen, wurden wir zunächst einmal entseucht. Mutters erste Worte waren stets: „Habt ihr eure Hände gewaschen? Los, ab, Hände waschen!“ Wenn sie dann nicht binnen Sekunden das Wasser rauschen hörte, gab es Ärger. Morgens vor der Schule gab es die gleiche Hygiene-Inspektion: „Hast du dein Gesicht gewaschen? Deine Füße? Zwischen den Zehen? Die Ellenbogen?“ Darauf folgte der Lackmustest: Sie fuhr uns mit einem in Alkohol getauchten Wattebausch über den Nacken. Wenn der sich grau färbte, waren wir nicht sauber genug. „Geh noch einmal ins Bad und wasch dich richtig.“ Wenn wir Schokoladenkuchen oder einen Keks haben wollten, mussten wir zunächst unsere Hände vorzeigen. „Aber ich habe sie vorhin erst gewaschen!“, protestierte ich oft. „Du hast aber Türklinken angefasst, Junge – geh und wasch sie dir noch mal!“
Kleidungsstücke wurden höchstens zwei Tage hintereinander getragen, dann wurden sie gewaschen und gebügelt. Niemand aus unserer Familie ging je mit einer Knitterfalte oder einem Fleck auf dem Hemd auf die Straße. Mit sechs Jahren wusste jeder von uns, wie er bei der Wäsche mit anpacken konnte. Das gehörte einfach zu der perfekten Ordnung, die man brauchte, wenn man so viele Kinder – und das damit einhergehende Chaos – im Griff behalten wollte.
Als ich 2007 ins Big-Brother-Haus in Großbritannien einzog, machten sich alle darüber lustig, wie sehr ich von Hygiene besessen war und dass ich meine Mitbewohner dauernd fragte, ob sie sich auch die Hände gewaschen hätten, bevor sie das Essen zubereiteten. Meine Frau Halima überraschte das nicht. Ihr zufolge habe ich eine „Keimphobie“, und das kann ich kaum bestreiten. Bis heute fasse ich in einer öffentlichen Toilette keinen Türgriff an, weil ich weiß, wie viele Männer sich eben nicht die Hände waschen. Auch berühre ich in öffentlichen Gebäuden keine Treppengeländer oder Rolltreppenhandläufe. Und wenn ich mein Auto betanke, dann lege ich ein Taschentuch um den Griff des Zapfhahns. Im Hotel wische ich die Fernbedienung für den Fernseher erst einmal mit Alkohol ab, bevor ich sie benutze. Ich erwarte von jeder Oberfläche eine Seuchenattacke.
Michael war genauso. Als seine Fans noch richtig nahe an ihn herankommen konnten, machte er sich sogar Sorgen wegen der Stifte, die sie ihm für die Autogramme reichten. Aber seine Neurose konzentrierte sich vor allem auf Keime in der Luft. Die Leute machten sich lustig darüber, dass er oft einen Mundschutz trug, und es wurde viel darüber spekuliert, ob er damit schönheitschirurgische Eingriffe verstecken wollte. Ich musste immer lachen, wenn ich Artikel zu sehen bekam, in denen es um diese Masken ging, und es dann hieß, es herrsche deswegen „Besorgnis über Michaels Gesundheitszustand“. Denn genau das war der Grund: Michaels Angst davor, dass er krank werden könnte. Wenn er eine Maske trug, dann hatte er vermutlich das Gefühl, dass eine Erkältung oder dergleichen im Anzug oder sein Immunsystem gerade nicht richtig auf der Höhe war. Genau wie ich fürchtete auch er sich sein Leben lang vor Keimen. Zumindest war das der Ursprung seiner Angewohnheit, einen Mundschutz zu tragen; später wurde er wahrscheinlich auch eine Art Mode-Accessoire, das ihm zudem die Möglichkeit bot, sich zu „verstecken“ – ein Mini-Schutzschild für einen Mann, der sich verzweifelt jedes noch so kleine Stück Privatsphäre zu erhalten versuchte.
Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der Mutter nicht schwanger war. Wenn sie die Straße entlangging, dann stets mit diesem typischen Watschelgang und mit zwei Tüten in jeder Hand, die entweder Lebensmittel oder gebrauchte Kleidungsstücke enthielten. Zwischen 1950 und 1966 brachte sie neun Kinder zur Welt. Eine reife Leistung, wenn man bedenkt, dass sie und Joseph eigentlich höchstens drei Kinder geplant hatten.
Als Erste kam meine Schwester Rebbie (Rie-bie ausgesprochen) zur Welt, dann Jackie (1951), Tito (1953), ich (1954), La Toya (1956), Marlon (1957), Michael (1958), Randy (1961) und Janet (1966). Wir wären zehn Kinder gewesen, aber Brandon, Marlons Zwillingsbruder, starb bei der Geburt. Deswegen sagte Marlon bei der Trauerfeier 2009 in seiner Botschaft an Michael: „Bitte umarme unser Geschwisterchen, meinen Zwillingsbruder Brandon, an meiner Stelle.“ Das Band zwischen Zwillingen bleibt eben über den Tod hinaus bestehen.
Als Kinder erfuhren wir viel Zärtlichkeit von unserer Mutter. Es wird gern erzählt, dass wir eine unglückliche Kindheit voller Kälte und Distanz gehabt hätten, aber wir wuchsen ganz im Gegenteil in einem liebevollen Umfeld auf, mit einer Mutter, die uns viel küsste und in die Arme nahm. Die Stärke, die diese Liebe in uns erwachsen ließ, spüren wir alle noch heute. Ich war ein echtes Mamakind – ebenso wie Michael –, und wir beide, wie auch La Toya, kämpften stets um den begehrten Platz an Mutters Seite, eng an ihre Beine geschmiegt, die Hände an den Rock geklammert. La Toya gab sich dann immer alle Mühe, mich aus dem Feld zu schlagen.
Wenn Mutter nicht zu Hause war und wir Brüder miteinander Streit hatten, versuchte jeder sie auf seine Seite zu ziehen. „Versprich uns, dass du nichts erzählst, La Toya. Versprich es!“
„Versprochen“, sagte sie dann ganz überzeugend. „Ich verrate nichts!“ Sobald Mutter aber zur Tür hereinkam, war das Versprechen vergessen, und es folgte eine dramatische Schilderung der Ereignisse. „Mutter, Jermaine hat sich geprügelt.“ Wir hätten es ihr gern einmal richtig heimgezahlt, dass sie dauernd petzte. Sie war die stille Beobachterin, die sich alles merkte, um es später auszuplaudern. Notfalls erfand sie auch irgendwelche Geschichten – sie wollte sich einfach bei Mutter einschmeicheln, während ich zur Strafe zusätzliche Arbeiten im Haushalt aufgebrummt bekam. Aber später witzelten wir oft darüber, dass ich trotzdem sehr hoch in Mutters Gunst stand und „Mamas Liebling“ war, wie Rebbie das nannte.
„Du warst das Lieblingskind!“, meinte auch Michael, und das war schon ein bisschen dreist, weil er in ihren Augen auch nichts falsch machen konnte.
Ich fühlte mich jedenfalls nicht als etwas Besonderes, aber wenn Mutter mich wirklich jemals bevorzugt haben sollte, dann lag das vermutlich an einer Geschichte, die sich ereignete, als sie mit Michael schwanger war. Mit ungefähr drei Jahren wollte ich unbedingt ausprobieren, ob ich eine ganze Packung Salz essen konnte, und landete prompt mit Nierenversagen im Krankenhaus. Ich selbst kann mich an diese traumatische Erfahrung nicht mehr erinnern. Zwar war ich ein kräftiges Kind, aber ich musste trotzdem drei Wochen lang unter ärztlicher Aufsicht bleiben. Mutter und Joseph konnten es sich nicht leisten, jeden Tag zu mir zu fahren. Wenn sie aber kamen, dann erzählte ihnen die Schwester, dass ich mir den ganzen Tag die Lunge nach ihnen aus dem Hals schrie. Und wenn sie sich wieder verabschiedeten, stand ich heulend auf meinem Bett. Ich bin heute froh, dass ich mich nicht an Mutters Gesichtsausdruck erinnere, wenn sie mich wieder allein lassen musste. Es sei ein schreckliches Gefühl gewesen, sagte sie später.
Schließlich durfte ich wieder nach Hause, aber vielleicht ist dieses Erlebnis eine Erklärung dafür, weshalb ich so empfindlich wurde und mich so übermäßig an sie klammerte, immer in der Angst, wieder alleingelassen zu werden. Am ersten Schultag riss ich mich von der Lehrerin