Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

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Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown

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Musik klang Morrisseys Gesang sofort unvergesslich, auf eine theatralische Weise schwul, extrem lustig und intelligent, insbesondere an einem Punkt in der Popkultur, als Kleider (fast schon wie in den Tagen der Mods) wichtiger als das Leben selbst schienen: „I would go out tonight, but I haven’t got a stitch to wear – ich würde heute Abend gern ausgehen, aber ich habe nichts anzuziehen …“

      Freilich war ich damals jung, leicht zu beeindrucken und suchte verzweifelt nach etwas, woran ich glauben konnte. Doch ebenso wie die anderen Zuschauer im Venue schien mir bewusst zu sein, dass ich dem Beginn von etwas ganz Besonderem beiwohnte.

      Neben der schieren Qualität der live gespielten Musik ist mir vor allem das wohlige Gefühl in Erinnerung geblieben, dass wir alle Seelenverwandte waren. Niemand wurde aggressiv, niemand spuckte, nur ein paar Gladiolen und billige Narzissen flogen dann und wann über unsere Köpfe.

      Indem wir die Smiths akzeptierten, bekannten wir uns auch zu einer toleranteren und erträglicheren Welt; wir waren hinsichtlich Leben und Tod realistisch, konzentrierten uns auf die wichtigen Dinge und waren bereit, die Probleme anzusprechen, mit denen wir alle konfrontiert waren: Zukunftsangst, Mangel an Zuversicht, der unerfüllte Wunsch, wir selbst zu sein und bedingungslos um unser selbst willen geliebt zu werden.

      Andere Songs stachen mir in die Ohren und blieben in meinem Herzen stecken. „Still Ill“, „What Difference Does It Make?“, die absurde erste Single-Veröffentlichung und Visitenkarte „Hand In Glove“ („the sun shines out of our behinds – die Sonne scheint uns aus dem Hintern“) und „Reel Around The Fountain“, mit seinen Anklängen an Andy Warhol in seinem berühmten Verlangen „fifteen minutes with you – fünfzehn Minuten mit dir“.

      Nicht, dass dieser Morrissey zwischen den Songs besonders viel gesagt hätte. Seine Schüchternheit und Verlegenheit kehrte zurück, sobald die Musik aufhörte, als würde sein Selbstbewusstsein „Reise nach Jerusalem“ spielen. „Hallo, ihr grausamen Teufel“, witzelte er nach den ersten Stücken. Dann, nach der unvermeidlichen Zugabe, mahnte er: „Ihr müsst es irgendwann sowieso tun, also tut es lieber gleich … und akzeptiert euch selbst.“

      Kurz vor Schluss rief er noch dazu auf, die Bühne zu stürmen, doch selbst das war eine liebevoll pazifistische Angelegenheit, fast schon ein Love-In und weniger wie ein Gewühl im Stil von Sham 69. Das Sicherheitspersonal wirkte unsicher und fast schon in seiner Männlichkeit gekränkt, weil auf der Bühne ausgewachsene Männer ohne jede Scham den Leadsänger umarmten. Die einzige Gefahr, der Morrissey ausgesetzt war, war es aber, mit Blumen und Küssen erstickt zu werden. Welch eine Todesart! Ich hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen.

      Mit den grässlichen Schlusssequenzen von Top Of The Pops in den Siebzigern – als Püppchen in Miniröcken oder Hot Pants mit alternden DJs in Tank Tops tanzten – hatte das rein gar nichts zu tun. Vielmehr wurde die Kluft zwischen Künstler und Publikum auf wundervolle Weise überbrückt. Schließlich verabschiedete sich Morrissey elegant mit den Worten „Bleibt so schön“.

      Es war ein fantastischer, unvergesslicher Abend. Die mühelose Brillanz der Smiths hatte die tollen Go-Betweens wie eine Allerweltsband und beinahe gewöhnlich erscheinen lassen. Ich hatte schon andere bewegende Konzerte erlebt – T. Rex 1974, Talking Heads 1978, The Clash 1979 –, doch zwischen den Smiths und ihrer wachsenden Fangemeinde bestand eine viel stärkere, intimere und dauerhaftere Verbindung.

      Ian Curtis mag vergeblich „auf ein Leitbild“ gewartet haben, das ihn bei der Hand nahm. An jenem Abend in Westminster schien es, als hätten wir endlich jemanden gefunden, der wie wir selbst war. Nicht unbedingt ein Leitbild, aber die Stimme eines Rufenden in der Wüste für die Unsicheren, die Außenseiter, die zwielichtigen Gestalten und die Unverstandenen.

      Meinetwegen sollten sie uns doch als Asoziale abstempeln, als schwermütige Stubenhocker oder arbeitsscheue Untertanen, die vorsichtig versuchten, nicht unter die Räder des Thatcherismus zu geraten. Wenn man seine Seele nicht dem Kapitalismus verkaufen und sein Leben nicht dem Streben nach Geld widmen wollte, oder wenn man vielleicht Probleme mit der Liebe und Eigenliebe hatte, dann boten Morrissey und seine Smiths einen alternativen, erträglichen Weg durch das politische Chaos und die musikalische Mittelmäßigkeit der Achtziger – eine Selbsthilfegruppe mit großartigen Popsongs.

      Ich dankte Rose Rouse von Herzen und ging den ganzen Weg nach Hause allein zu Fuß, über die Vauxhall Bridge nach Kennington bis zu meinem gemieteten Zimmer in Camberwell. Ich fühlte mich durch die Smiths verjüngt. Es war nicht gerade ein religiöses Erlebnis, doch wenn man mit seiner Weisheit am Ende ist und etwas von Bedeutung braucht, an das man sich klammern kann, entfalten Kunstwerke eine ganz eigene Qualität. Ich hatte schon immer an die heilende Kraft der Musik geglaubt – Gil Scott Herons „Lady Day And John Coltrane“ war ein Musterbeispiel dafür. Doch stets war es die Musik meiner Vergangenheit gewesen, die nostalgische Erinnerungen an meine glückliche Kindheit wachrief. Während meiner Teenagerjahre hatte es aufregende Zeiten gegeben, in denen ich Bolan und Bowie, die Faces und Slade, Sparks und Cockney Rebel verehrte, doch vieles davon ließ sich mittlerweile schlicht als eskapistische Unterhaltung einordnen.

      Die kreative Kunst von Morrissey and Marr gab mir zum ersten Mal das Gefühl, etwas gesehen und gehört zu haben, das für die zeitgenössische britische Musik wichtig und von Bedeutung war. In der Musik lag eine Botschaft. Zwar gewannen zur selben Zeit auch U2 an Statur (mit War und Under A Blood Red Sky), und auch R.E.M. machten von sich reden (Murmur), doch ansonsten gab es nur wenig Erwähnenswertes.

      Schon gleich gar nicht – zumindest meiner persönlichen Meinung nach – The Alarm, Lloyd Cole & The Commotions oder Big Country. Ganz sicher nicht Duran Duran oder Spandau Ballet. Sie sagten mir alle überhaupt nichts. Bei der ganzen liebenswert jugendlichen Schrulligkeit von Orange Juice, Prefab Sprout und sogar Aztec Camera sagten diese Bands doch kaum etwas tiefschürfend Philosophisches oder Originelles oder sonst irgendetwas, das einen Einfluss auf das Leben des Zuhörers gehabt hätte. Leidenschaft vermisste man ganz. Hatte eigentlich überhaupt jemand in der aktuellen Popszene in seinen Texten irgendetwas Frisches, Neues oder gar Kontroverses zu sagen?

      Vielleicht suchte ich zu verzweifelt nach jemandem, der allem einen Sinn geben könnte, jemandem, der die Popmusik als Vehikel benutzen würde, um uns zu sagen, wie wir unser Leben führen sollten. Im Mainstream-Pop der frühen Achtziger ging es ausschließlich um Eskapismus – auszugehen, alles zu vergessen und es sich gut gehen zu lassen. Das hatte ich schon versucht. Es war nicht genug.

      Für diejenigen unter uns, die nach dem Post-Punk und nach Joy Division mehr wollten, war Morrissey wie eine Brise frischer Luft. Er war seltsam attraktiv und sympathisch. Er war ein Sexsymbol, wie man es selbst gerne gewesen wäre, mit dem man als Heterosexueller freilich jedoch keinen Sex haben wollte. (Obwohl seine Kunst dem Autor Will Self zufolge „das homosexuelle Element in heterosexuellen Männern anspricht“.) Im Gegensatz zu den meisten Frontmännern in der Popmusik der achtziger Jahre war Morrissey keiner von diesen Fokuhilas, die verkündeten: „Seht her, ich kann alle Frauen haben, die ich will, und ihr nicht.“ Stattdessen schien er auf einer philosophischen Ebene interessanter und vielversprechender als andere „Rockstars“ unserer Zeit.

      Es war nicht nur diese seltsame, selbstironische Bühnenpräsenz, die mich sofort anzog. Auch die Bezugspunkte in den Songs und Interviews und die visuelle Gestaltung der Album- und Single-Cover sprachen mich sofort an. Sie waren anders, provokativ, intelligent und doch sofort verständlich. Sie hatten etwas zu sagen. Freilich schienen sämtliche der bewusst gewählten zentralen Charaktere entweder schwule oder stark feministische Figuren zu sein, doch trugen sie ihren Teil zu der andersartigen, außergewöhnlichen Aura bei, die Morrissey und die Smiths besaßen. Musikalisch schien Morrissey ganz allgemein für Außenseiter zu sprechen; für junge Leute, die aus verschiedensten Gründen die vorgefertigten Erwartungen der Gesellschaft nicht ganz erfüllten.

      Die auf seinen Covern abgebildeten Stars waren stets Charaktere aus

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