Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Im Gespräch mit Morrissey - Len Brown страница 12
Es war die Ära von Thatcher und Reagan, die Zeit einer Musik für die Ich-ich-ich-Generation, zu deren Stars Bands wie Duran Duran und andere aufgedonnerte Jüngelchen zählten. Popmusik war tanzbar, radiofreundlich und bemühte sich redlich, ihren Hörern eine heile Welt vorzugaukeln. Diese Zeit wurde später in dem ironischen „Opportunities (Let’s Make Lots Of Money)“ der Pet Shop Boys sehr zutreffend beschrieben.
Nach Dons Tod konnte ich die große Masse der synthetischen, keyboardlastigen, gespielten oder programmierten emotionslosen Popmusik der frühen Achtziger nicht mehr ertragen. Die Visionäre des Punk, die es kommerziell geschafft hatten, waren als Verräter gebrandmarkt; der Rest verblasste winselnd statt mit einem großen Knall. Popmusik, insbesondere die New-Romantics-Bewegung (der ich noch im Jahr zuvor hedonistisch gefrönt hatte), schien auf einmal unglaublich trivial, bedeutungslos und leer, als ginge es mehr um die kosmetische Präsentation als um künstlerische Kreativität. Das Aussehen war wichtiger als das, was man sagte. Der aufkommende neue Promi-Kult und die zunehmende Bedeutung von MTV im Gefolge von Thriller brachten es mit sich, dass das Video als neuer Gott die Musik in den Hintergrund drängte.
Rückblickend war ich damals wohl verzweifelt auf der Suche. Ich wollte mich davon überzeugen, dass Popmusik wieder wichtig und positiv und schön sein konnte; dass sie immer noch etwas bedeuten konnte. Irgendetwas.
Natürlich las ich den New Musical Express wie eine religiöse Schrift. Vielleicht war es der einzige Glaube, der mir geblieben war: die Evangelien von Paul Morley und Ian Penman, Charles Shaar-Murray und Tony Parsons. Ermuntert von Freunden und inspiriert durch die Plattensammlung meines verstorbenen Bruders, begann ich mit dem Schreiben. Eher halbherzig hatte ich mir das vage Ziel gesetzt, Musikjournalist zu werden.
Anfang 1983 erschien im NME mein Artikel über das Lebenswerk von Gaspar Lawal – jenes afrikanischen Schlagzeugers, dessen Musik John Peel spielte und den meine Mutter verehrte. Darauf folgte eine Kritik des Debütalbums einer Band namens The Box, die aus der Asche der beeindruckenden Sheffielder Gruppe Clock DVA entstanden war (deren „4 Hours“ auf Fetish eine der großen vergessenen Singles ist).
Es war ein Anfang, wenngleich ich mich wie ein Unfallopfer fühlte, das wieder aufs Motorrad stieg, und ich kam immer noch nicht ohne Stützräder aus. Ich bemühte mich, mein Leben zu genießen, weinte aber immer noch an Bushaltestellen und trank, um meinen Schmerz zu betäuben. Kurz, ich klammerte mich an den Scherbenhaufen einer unwiederbringlichen Vergangenheit. Ich hasste die Welt dafür, dass sie sich einfach weiter drehte, als wäre nichts geschehen, und hatte Schuldgefühle, weil auch ich selbst versuchte, weiterzuleben. Es war, wie Samuel Beckett am Schluss von Malone stirbt schreibt: „Ich kann nicht mehr. Ich mache weiter.“ (In seinem Exemplar des Buches hatte mein Bruder Don danach das Wort „irrational“ an den Rand geschrieben.
Im Sommer 1983 hatte Rose Rouse, eine Exfreundin von mir, für die Zeitschrift Sounds zu schreiben, die mir ganz ähnlich wie der NME erschien, aber ohne den Geschmack, das Sendungsbewusstsein, die Intelligenz oder den Anstand. Man versuchte, die eigene Rock-Vergangenheit der Siebziger abzuschütteln, als das Blatt mit den auf seinen „Live“-Seiten abgebildeten Titten und Ärschen vor allem heranwachsende Jungen erfreute. Als erklärte Feministin betrachtete Rose Sounds als echte Herausforderung, was typisch für sie war. Sie hatte begonnen, über Künstler zu schreiben, die von der alten Sounds-Redaktion als wenig interessant eingestuft wurden, und widmete sich vorrangig kreativen Gruppen wie den Thompson Twins und den Eurythmics.
An einem Herbstabend Ende September 1983 versuchte sie mich zu überreden, das Venue in der Nähe der Victoria Station in London zu besuchen. Dort trete „eine neue Band aus Manchester“ auf, „mit dem seltsamen Namen The Smiths.“ Ich hatte bereits von ihnen gehört, dachte jedoch, negativ wie ich damals eingestellt war, dass es eine Band mit dem Namen „The Smiths“ wohl kaum besonders weit bringen würde. Was hatten sie sich bloß dabei gedacht? Die meisten erfolgreichen Bands der damaligen Zeit hatten komplexe, geheimnisvolle Namen wie Depeche Mode, Blue Rondo A La Turk, Orchestral Manoeuvres In The Dark, Duran Duran, Spandau Ballet, vielleicht sogar noch Kajagoogoo. Aber The Smiths?!? Ich fragte mich sogar, ob sie vielleicht irgendetwas mit dem allgegenwärtigen Robert Smith von The Cure zu tun hätten, der auch bei Siouxsie & The Banshees spielte.
Ich erinnerte mich, dass ich Jim Shelleys Kritik im NME gelesen hatte, laut welchem die Band sämtliche „Independent“-Kriterien erfüllte. Zynisch, wie ich damals war, hatte ich jedoch angenommen, dass es sich bei Shelley nur um einen weiteren Schreiberling aus Manchester handelte, der für ein paar seiner Post-Punk-Kumpels die Werbetrommel rührte. Auf dem Cover ihres Debütalbums dankten die Smiths Shelley.
Zunächst wies ich Roses Einladung ab. Es war nicht allein meine Geldknappheit oder mangelndes Interesse, vielmehr das schicksalhafte Wort „Manchester“. Ich hatte es so noch nicht formuliert, doch offenbar verband ich die Stadt mit dem Faible meines Bruders für Joy Division und New Order, mit dem Club Hacienda, mit den schaurigen Bildern von Ian Curtis auf Granada Television, in denen er zu „Shadowplay“ oder „Transmission“ hohläugig und wie wahnsinnig tanzt; mit der sich schließenden Tür im Video zu „Love Will Tear Us Apart“; mit dem zum Sterben schönen, aber finsteren Begräbnis-Puls von Atmosphere.
Offen gestanden wäre ich an jenem Abend gar nicht aus dem Haus gegangen, wenn nicht Rose und – ebenso wichtig – die Go-Betweens gewesen wären. Don hatte mir ihre auf Postcard veröffentlichten Singles hinterlassen, und „Hammer The Hammer“ war früher in jenem Sommer eine der besten Neuerscheinungen auf Rough Trade gewesen. Ich fand immer mehr Gefallen an der australischen Band und hatte erst kürzlich „Cattle & Cane“ und „Before Hollywood“ erworben. (Grant McLennans „A Bad Debt Follows You“ sprach mich ungeheuer an.)
Mein Plan im Bus zur Victoria Station an jenem Abend war, das Konzert der Go-Betweens zu besuchen, von Rose ein paar Drinks zu schnorren und dann kurz noch diese Smiths anzusehen. Die Go-Betweens waren eine bereits gut bekannte Band, deren Indie-Label Pedigree sich in der Szene zunehmend Gehör verschaffte. Es erschien mir daher äußerst seltsam, dass sie nun lediglich als Vorgruppe einer Band aus dem Norden auftraten, die gerade erst angefangen hatte. In Wahrheit wusste ich so gut wie nichts über die Debütsingle der Smiths, „Hand In Glove“ – außer, dass auf dem Cover zwei nackte männliche Hinterbacken abgebildet waren. Schon ziemlich seltsam.
Bald erfuhr ich, dass die Smiths im Jahr zuvor in Manchester gegründet worden waren und erst kürzlich einen Vertrag mit Rough Trade Records unterschrieben hatten. Sie hatten gerade eine John Peel-Session aufgenommen und waren außerdem in der Sendung von Kid Jensen bei Radio One aufgetreten, doch war es „Hand In Glove“ nicht gelungen, sich ernsthaft in den britischen Mainstream-Charts zu behaupten. Als ich die in der Presse erschienenen Artikel über die Smiths durchlas, erschienen sie mir nicht gerade wie meine künftige Lieblingsband. Interessanterweise allerdings beschrieb Barney Hoskyns im NME den Song als „wahre Erlösung von allen Leiden, die je in den Abfluss der Liebe gegossen wurden“.
Als ich an jenem Abend das Venue betrat, bot sich mir ein völlig unerwartetes Bild. Die Stimmung war gespannt und voller Erwartung, die Atmosphäre außergewöhnlich. Das Publikum war bunt gemischt, nicht nur die puristische New-Romantics-Clique aus dem Beat Route oder dem Billys, auch nicht die schwulen Szenegänger aus dem Heaven and Hell. Unter den Zuschauern waren auch viele Studenten sowie eine Menge Teenager in schicken Secondhand-Klamotten von Flip oder Lawrence Corner, die sich unter die Opfer der JoBoxers-Mode und andere abtrünnige Elemente der Londoner Musikszene im Jahre 1983 mischten.
Die Go-Betweens waren wie immer sehr unterhaltsam und spielten ihre süßlich interpretierten, leicht schrägen, australisch verschrobenen Songs. Als ihr Auftritt vorüber war, erwartete ich eigentlich, dass sich die Stimmung veränderte. Bestimmt würde sich die Menge ausdünnen, da die Mehrheit der Anwesenden wie ich erwartete, dass es die Smiths im Gefolge ihrer selbstsicheren Labelkollegen von Rough Trade schwer hätten.
Ich