Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

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Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown

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wird viel greifbarer. Interessanterweise erinnerte der Klang der Stimme stark an die von John Hurt in Der Elefantenmensch. Wissen Sie noch, wie er sprach? Mit ganz sanfter Stimme. Ich glaube, sie war den damaligen Theatersprechstimmen nachempfunden, weil sich John Merrick fürs Theater interessierte. Und genau so sprach Wilde.“

      (Leider bestehen Zweifel an der Echtheit dieser angeblich wenige Monate vor Wildes Tod entstandenen Aufnahme. Im Sommer 1900 besuchte er die Weltausstellung in Paris und soll dabei einen Auszug aus The Ballad Of Reading Gaol gelesen haben. Wie Morrissey möchte ich gern glauben, dass die Aufnahme echt ist, doch viele Wilde-Experten behaupten das Gegenteil.)

      „Haben Sie von diesem anderen Buch über Oscar Wilde gehört?“, fährt Morrissey fort. „Es trägt den Titel Who Was That Man? Der Autor ist ein gewisser Neil Bartlett. Noch nie von ihm gehört. Das Buch bietet einen ganz anderen Blickwinkel auf Wildes Leben. Es beleuchtet den Londoner Untergrund im Jahre 1888. Wirklich hochinteressant.“

      Das Buch eröffnet tatsächlich einen ganz anderen Blickwinkel. Bartletts Who Was That Man? A Present For Mr Oscar Wilde (Wer war dieser Mann? Ein Geschenk für Herrn Oscar Wilde) wurde von Edmund White als „fantastische, persönliche Betrachtung über Oscar Wilde und die letzten hundert Jahre englischer Homosexualität“ gelobt. Der Schauspieler und Autor Simon Callow beschrieb es ebenfalls als „wichtiges Gegenstück zu Ellmanns vielleicht etwas zu ausgewogener Biografie“.

      In seinem Buch vergleicht und kontrastiert Bartlett das schwule Leben der 1880er mit dem der 1980er Jahre, beschreibt sexuelle Begegnungen in heutiger und viktorianischer Zeit, geht Wildes Kontakten zum Straßenstrich und zur Sado-Maso-Szene nach und erörtert die im schwulen Untergrund des viktorianischen England gebräuchliche Geheimsprache „Polari“ oder „Palare“. Diese Sprache inspirierte Morrissey später dazu, ein Album Bona Drag zu nennen, dessen Titel auch eine Hommage an Hugh Paddick und Kenneth Williams ist, die als Julian und Sandy in der BBC-Radioserie Round The Horne zwischen 1965 und 1968 auf ebenso komödiantische wie radikale Weise Palare einsetzten. Darüber hinaus kam Morrissey so auch auf die Idee, sein als Single veröffentlichtes Stück „Piccadilly Palare“ über männliche Prostitution zu schreiben.

      Wilde ist also immer noch einer der wichtigsten Einflüsse in Ihrem Leben?

      „Oh, ja, absolut! Und er wird immer stärker. Der NME behauptet jedoch immer, ich hätte in seinem Haus gewohnt, was vollkommen falsch ist.“

      Das Haus in der Tite Street?

      „Die Wohnungen dort, genauer gesagt. Eine wurde neulich für 130 000 Pfund zum Verkauf angeboten.“

      Für Sie ist das doch nur ein Wochenlohn, oder?

      „Ja, die Tantiemen aus einem Extra-Song auf CD. Wenn nur …“

      In diesem Augenblick begann es mir zu dämmern, wie stark diese eine außergewöhnliche historische Figur Morrisseys gesamtes Leben und seine Kunst beeinflusst, inspiriert und sogar dominiert hatte. „Alles ist ­miteinander verkettet, alles lässt sich zurückverfolgen“, sagte er mir einmal viele Jahre später. Wenn das stimmt, dann führt der Großteil von Morrisseys Werk, vielleicht sogar alles, auf die eine oder andere Weise zurück zu … Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde.

      Wir unterhielten uns weiter über Wilde im Zusammenhang mit einer Parisreise, die ich im Auftrag des NME unternommen hatte, um dort ein Interview mit dem rebellischen südafrikanischen Musiker Johnny Clegg zu führen. Nach meinem Treffen mit Clegg beschloss ich, Oscar Wildes letzte Ruhestätte auf dem nahe gelegenen Friedhof Père Lachaise aufzusuchen.

      Inzwischen wusste ich einige Einzelheiten über Wildes Einfluss auf Morrisseys künstlerische Entwicklung. Nicht nur, weil ich die frühen Interviews oder mein Gespräch mit ihm im Cadogan Hotel inzwischen verarbeitet hatte, sondern auch durch andere offensichtliche Hinweise: Smiths-Stücke wie „Oscillate Wildly“ und „Paint A Vulgar Picture“, das Sample „everyone’s clever nowadays (Heutzutage sind alle schlau)“ (von John Gielgud aus The Importance Of Being Earnest – Ernst sein ist alles) am Schluss von „Rubber Ring„; das Sarony-Portrait von Oscar auf den roten Backsteinwänden von Salford im Video zu „Stop Me If You’ve Heard This One Before“, die Wilde’schen Schlussrillen wie „Talent Borrows Genius Steals (der Talentierte borgt, ein Genie stiehlt)“ auf The Queen Is Dead oder die Verherrlichung Wildes in dem falsch geschriebenen „Cemetry Gates“: „Also gehen wir hinein und lesen traurig die Inschriften; all diese Leute, all diese Leben, wo sind sie jetzt?“

      Es war ein grauer Tag für die Besucher des Friedhofs Père Lachaise, der letzten Ruhestätte bedeutender Franzosen wie Piaf, Proust, Molière, Modigliani oder des kopflosen Danton. Die wahren Attraktionen jedoch waren die ewigen Touristen dieses schönen Gottesackers – internationale Megastars wie Chopin, Gertrude Stein, Jim Morrison und Oscar Wilde.

      Doors-Fanatikern dürfte der schlimme Zustand von Jim Morrisons Grab bekannt sein. Die Anwesenheit seiner ledernen Überreste hatte die Friedhofsverwaltung lange Zeit irritiert und in Verlegenheit gebracht; sie tilgten sogar seinen Namen aus den Friedhofskarten, um die Zahl der Hippie-Pilger zu reduzieren.

      Gerüchten zufolge soll man nach dem Ende seiner Grabpacht versucht haben, Jims störende Knochen umzubetten. Trotzdem kamen sie immer noch, saßen mit feuchten Augen auf den umliegenden Tafeln, legten Kränze nieder, erneuerten die Rosen in der unverzichtbaren Flasche Tequila. Jims Büste war gestohlen worden, der nicht weiter gekennzeichnete Grabstein lag vornübergekippt im Dreck, und irgendein Idiot hatte darauf gekritzelt: „This is the end, beautiful friend (das ist das Ende, mein schöner Freund)“! Ein trauriges, schäbiges Szenario.

      Dann gingen wir weiter zu Wildes gewaltiger Gedenkstätte, einem Werk des bekannten Bildhauers Jacob Epstein. Niemand, so versicherte ich mir, hätte es gewagt, Oscar Wildes Grab zu schänden.

      Aber was war das? Da stand in deutlich lesbaren Buchstaben eingeritzt: „There is a light that will never go out (Es gibt ein Licht, das niemals verlöschen wird)“!?! „Keats and Yeats are on your side/While Wilde is on mine“!?! (Keats und Yeats sind auf deiner Seite/doch Wilde liegt auf meiner)“!?!

      Wie weit war es mit der Welt bloß gekommen. Chopin-Groupies schrieben ja auch nicht in pianistischer Bewunderung „Du warst der Top of the Chops, Freddie“ auf dessen Grab. Und Fans von Edith Piaf ritzten auch nicht „Du bist nicht zu bedauern“ auf ihren Grabstein!

      Wie konnte ein Smiths-Fan, der halbwegs bei Verstand war, so etwas tun? Morrissey würde so etwas nicht gefallen, oder?

      Morrissey: „Die Schmierereien?“

      Haben Sie sie gesehen?

      „Nein, aber meine Mutter besuchte das Grab in diesem Jahr und fiel fast um vor Schreck und Stolz darüber, was geschehen war. Ich muss allerdings zugeben, dass es auch vorher nicht ganz makellos war.“

      Sind Sie nicht schockiert?

      „Im Gegenteil, ich fühle mich sehr geschmeichelt. Es ist mir egal, dass das Grab geschändet wurde und so weiter, weil es kein besonders schönes Grab ist. Es ist eigentlich nur ein großer Klotz.“

      Aber es ist ein Epstein!

      „Jaaaa … was genau steht darauf?“

      Naja, zum Beispiel: „There is a light that never goes out …“

      „Das ist doch toll!“

      Und jemand anders hat geschrieben „Ich liebe Morrissey“ und „Es lebe Manchester“.

      „Ach, das hätten sie

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