Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

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Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown

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haben stets Menschen fasziniert, die versucht haben, ihr Leben vollkommen anders zu gestalten, selbst auf die Gefahr hin, vom System gebrochen zu werden. Diese Obsession hat seine eigenen radikalen politischen und sexuellen Ansichten geprägt. Seine gesamte Karriere hindurch hat Morrissey versucht, Künstler zu feiern, die als Ausgestoßene und Außenseiter lebten und starben.

      Für die bodenständigen Konservativen des viktorianischen England (eine Philosophie, die im England der Achtziger unter Thatcher wiederbelebt wurde) war Wilde das ultimative Beispiel für jemanden, der den Status quo bedrohte: ein verheirateter Mann, der sich den herrschenden Moralvorstellungen widersetzte und durch seine Handlungen öffentliche Entrüstung hervorrief. Für Morrissey war Wilde immer der wichtigste Einfluss. Er stand für Geschmack und Mut und Schönheit und den Willen, das Establishment herauszufordern; für den Willen, anders, individuell und stark zu sein, sich der Freude und der Kunst hinzugeben und die Wahrheit zu suchen.

      Gehasst für die Liebe („die Liebe, die ihren Namen nicht auszusprechen wagt“ – so die umstrittene Zeile aus Two Loves von seinem Geliebten Lord Alfred Douglas), ertrug Wilde seine zwei Jahre harter Zwangsarbeit in Pentonville, Wormwood Scrubs und schließlich in Reading Gaol, wo er seine berühmte Ballade über die Grausamkeit und Ungerechtigkeit des viktorianischen Strafsystems verfasste. Nach seiner Entlassung aus der Haft verbrachte Wilde den Rest seines kurzen Lebens mittellos und krank als Bettler in den Straßen von Paris. Viele Freunde, die nur wenige Jahre zuvor seinen brillanten Witz und seine großartigen Werke gepriesen hatten, rümpften nun über ihn, den Paria, verächtlich die Nase.

      Es ist Teezeit in Wildes Hotelzimmer im Cadogan Hotel (das einst auch die Heimat von Oscars Freundin und Geliebter, der legendären Schauspielerin Lillie Langtry war). Ich esse einen Obstkuchen, während Morrissey mit einem Käsesandwich kämpft – „Gurken rühre ich nicht an“, verkündet er. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals muss der große irische Denker und Dramatiker jetzt friedlich auf seinem Pariser Knochenacker schlummern.

      Erzählen Sie mir mehr über Wildes Persönlichkeit. Was war an ihm so anders, was schockierte vielleicht sogar?

      Morrissey antwortet freundlich, leidenschaftlich, als ginge es um die Liebe seines Lebens: „Er war ein bemerkenswert großzügiger Mensch, eine bemerkenswert offene Persönlichkeit. Er verpackte seinen Spott zwar sehr geschickt, aber er verspottete trotzdem die britische Gesellschaft, den Adel und so weiter. Und das ist der Grund, warum es für sie eine solche Genugtuung war, ihn endlich zu überführen und zu bestrafen. Er tat es jedoch mit viel Geschmack und großartigem Gespür, aber auch mit einem verblüffenden Grad an Traurigkeit. Aus verschiedenen Gründen glaube ich mittlerweile, dass in einigen Bibliotheken versucht wird, Oscar Wildes Bücher auf den Index zu setzen, weil in ihnen eine ganz bestimmte Geisteshaltung zum Ausdruck kommt. Die Dinge ändern sich nicht wirklich.“

      Diese „ganz bestimmte Geisteshaltung“ – die Richard Ellmann in seinem biografischen Meisterwerk Oscar Wilde als Wildes Herausforderung der „traditionellen Männlichkeit“ bezeichnete – ziert auch viele von Morrisseys Texten; Worte, die soziale Konventionen ins Lächerliche ziehen und die traditionelle Rollenverteilung auf den Kopf stellen; Pop-Poesie voller verwirrender, verführerischer, stichelnder und alles durchdringender sexueller Doppeldeutigkeit.

      Dem NME gegenüber sagte Morrissey vor längerer Zeit einmal: „Mir gefällt die Vorstellung einer männlichen, aber ziemlich verletzlichen Stimme, die ein bisschen künstlich klingt – statt dieses andauernden Macho-Gehabes, das alle nur noch langweilt … Ich finde, es ist einfach Zeit für eine Stimme mit einem etwas anderen Ausdruck.“

      In Ihren eigenen Texten haben Sie die „traditionelle Männlichkeit“ ebenfalls sehr häufig in Frage gestellt. Können Sie erklären, wie Wilde das getan hat?

      „Mit der Kraft der Sprache. Das war Teil seiner Rebellion und gleichzeitig der Grund, warum man ihn so fürchtete – weil den Leuten so etwas noch nie untergekommen war. Es war zu verwirrend für sie, und sie kamen damit einfach nicht zurecht.“

      Stieß auch jemand wie Joe Orton auf eine ähnliche Reaktion?

      „Ich finde, es ist okay, wenn man sich in seinem eigenen Zuhause verhält, wie man will, solange man nicht im Licht der Öffentlichkeit steht. Man lebt ja sozusagen nicht draußen auf der Straße. Doch sobald man bekannt wird und loyale Zuhörer gewinnt, wird es ziemlich schnell gefährlich, das ist klar.“

      Sie glauben also nicht, dass sich die Gesellschaft seit den Zeiten von Oscar Wilde sonderlich verändert hat?

      „Ich glaube, dass sie sich überhaupt nicht verändert hat, in keinerlei Hinsicht. Sie steht Individualisten immer noch vollkommen intolerant gegenüber. Ich finde sogar, dass es Rückschritte gegeben hat. Nicht nur in der Literatur, sondern ganz eindeutig auch in der Popmusik. Nein, die Gesellschaft hat sich keinesfalls verändert.“

      Wie denken Sie über dieses Zimmer – wo Oscar vor über hundert Jahren seinen letzten Abend in Freiheit verbrachte?

      Er lässt seine Blicke traurig umherschweifen und sagt: „Ich glaube, sie haben die Energie übermalt. Es würde mich sehr überraschen, wenn sich hier noch etwas fände, das aus seinen Tagen übrig geblieben ist.“

      Ein paar Monate später staune ich nicht schlecht, als eines Nachmittags eine obskure Verfilmung von Oscar Wildes Leben im Fernsehen läuft. Hauptdarsteller ist der korpulente Robert Morley als Oscar, während Ralph Richardson Wildes irischen Schulfreund Carson spielt, der später vor Gericht gegen ihn aussagte. Hinsichtlich der Natur von Wildes Verbrechen bleibt der Film begreiflicherweise vage – er entstand zu einer Zeit, als Homosexualität in Großbritannien immer noch illegal war. Trotzdem ist Gregory Ratoffs Oscar Wilde (1960) ein bewegender und mitfühlender Versuch, das tragische Leben des irischen Dramatikers nachzuzeichnen.

      Neben John Neville als Lord Alfred Douglas und Dennis Price als Wildes Vertrauter und loyaler Freund Robert Ross sollte aufmerksamen Morrissey-Kennern außerdem Tony Doonan in der Rolle des 17-jährigen Strichjungen und Erpressers Alfred Wood auffallen. Doonans Sohn Patric, der später Suizid beging, wurde in einer von Morrisseys besten Solonummern unsterblich gemacht: „Now My Heart Is Full“ auf Vauxhall & I.

      Während der Abspann läuft, klingelt in meiner Wohnung in Brixton das Telefon, und Morrisseys herzlich-schwule Stimme fängt an, über den Film zu sprechen, als wäre unsere frühere Unterhaltung über Oscar Wilde noch in vollem Gange.

      „Es ist ein sehr selten gezeigter Film, der im selben Jahr gedreht wurde wie The Trials Of Oscar Wilde (deutscher Verleihtitel: Der Mann mit der grünen Nelke), ein anderer Film mit Peter Finch als Oscar Wilde. Weil The Trials Of Oscar Wilde in Farbe gedreht wurde, überschattete er Morleys Version fast vollständig. Außerdem war The Trials Of Oscar Wilde fantastisch. Und Robert Morley hat mir nie so recht gefallen.“

      Er war kein besonders attraktiver Wilde.

      Er lacht: „Nein, zumindest nicht für mich.“

      Wir sprechen über Richard Ellmanns hoch gelobte Wilde-Biografie. Ellmann ist im Jahr zuvor gestorben und hat noch weitere wegweisende Studien über berühmte Iren hinterlassen, darunter Bücher über Yeats und Joyce.

      „Ziemlich bemerkenswert, dass Ellmanns Buch einer der größten Verkaufsschlager des Jahres ist. Es ist ein ausgezeichnetes Buch, das viel Vergnügen bereitet, denn ganz abgesehen von seinem Thema ist Ellmann auch ein bemerkenswerter Autor. Wie er das Buch geschrieben hat, ist ganz erstaunlich. Haben Sie diese irische Dokumentation über Wilde mit dem Titel Spendthrift Of Genius gesehen?“ (Spendthrift … war eine Produktion des irischen Fernsehens. Das Drehbuch stammt von Ellmann, als Produzent und Regisseur fungierte Sean O’Mordha.) „Darin wurde zum ersten Mal eine Tonaufzeichnung ausgestrahlt,

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