Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown
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Als mich Morrissey erblickt, steht er langsam auf und sagt leise und schüchtern hallo. Obwohl ich ihn schon viele Male zuvor auf der Bühne und im Radio sprechen gehört habe, scheint seine Stimme in persona tiefer, wärmer, voller und theatralischer als gedacht. Vielleicht hatte ich ein bisschen mehr Falsett erwartet. Wenn er einem gegenübersteht, klingt er mehr wie Albert Finney, vielleicht sogar wie Ian McKellen. Mein Kollege Paul Du Noyer vom NME beschrieb seine Stimme einmal als „sanfte Pflastersteinstimme aus dem Norden“.
Nervös strecke ich Morrissey meine Hand entgegen, die er sehr zögernd ergreift, als wäre ihm diese Handlung fremd. Darauf folgt das seltsamste, halbherzigste Schütteln, das man sich nur vorstellen kann. Er beobachtet, wie sich unsere verschlungenen Hände heben und senken, dann zieht er seine Hand zurück und lässt sie hastig wieder in der Jackentasche verschwinden. Das Ganze kommt einem vor wie ein krimineller Akt.
Der Hotelportier rettet uns. Als wären wir ein Ehepaar, das nicht zusammenpasst, weist er uns beide an, ihm auf „Ihr Zimmer“ zu folgen. An Bord des scheppernden Fahrstuhls stehen wir gezwungenermaßen so dicht beieinander, das wir den Atem des anderen spüren können. Verstohlen beobachtet uns der Portier, der uns wie Verdächtige bei einer polizeilichen Gegenüberstellung mustert.
Morrisseys berühmte Billy Fury-Tolle ist zurechtgestutzt und ragt nicht mehr gar so hoch auf. Er trägt ein braunes Cordjackett über einem schicken Hemd, und seine Designerjeans – die auf glänzenden Schnürschuhen aufsitzen – sind am Hintern nicht mehr so weit geschnitten wie noch in den Anfangstagen der Smiths. Zwangsläufig bin ich weniger bemerkenswert gekleidet. Ich stecke in ein paar schlecht sitzenden Klamotten, der NME-Uniform eines alternden Indie-Fans: einem verwaschenen weißen Promo-T-Shirt und einem „rundheraus vulgären roten Pullover“.
Unsere Begrüßung lässt für das anstehende Interview keinen positiven Verlauf erwarten. Ich kann Morrissey nicht ansehen. Während der Fahrstuhl nach oben fährt, frage ich mich, was der Hotelportier wohl von uns denkt. Zwei junge Männer, kein Gepäck, das Zimmer für den Nachmittag gebucht. Das kommt einem doch komisch vor. Einer von uns sollte es ihm erklären. In einem Anlauf, das Schweigen zu brechen, frage ich den Portier: „Kommen viele Leute hierher … Sie wissen schon, um es zu besuchen?“
„Was besuchen?“
„Das Zimmer.“ (Pause) „Wo man ihn verhaftet hat.“
„Verhaftet? Davon weiß ich überhaupt nichts, mein Herr“, grummelt er, von Sekunde zu Sekunde misstrauischer. „Ich bin aus Bristol.“
„Wir haben hier einen Haftbefehl, Herr Wilde, für ihre Verhaftung wegen unsittlicher Handlungen.“
„Wohin werde ich gebracht?“
„In die Bow Street.“
Morrissey und ich sitzen im selben Zimmer, Nummer 118, wo Oscar Wilde am 5. April 1895 von zwei Polizeibeamten in Zivil festgenommen wurde.
„Ich bin im Augenblick fast ein bisschen sprachlos“, erklärt Morrissey, als er sich im Zimmer umsieht. „Das ist ein sehr historischer Ort, der mir bekanntlich sehr viel bedeutet … hier zu sitzen und Oscars Fernseher anzuschauen und genau den Videorekorder, auf dem er sich Leather Boys angesehen hat.“
Warum sind wir hierher gegangen?
„Ich dachte, die Aura des Zimmers würde ein paar interessante physische Schwingungen erzeugen, was in gewisser Hinsicht ja auch zutrifft.“
Nach jenem Freitagabend, der Wildes Life ruinierte – der Beginn einer Verkettung von Ereignissen, die schließlich zu seinem frühen Tod im Alter von 46 Jahren führten –, wurde er zu zwei Jahren schwerer Zwangsarbeit verurteilt, seine Theaterstücke und Gedichte wurden verboten, und die Geschäftsführung des Cadogan Hotels bemühte sich verzweifelt, ihre Rolle bei dieser schmutzigen Angelegenheit zu vertuschen. Ich glaube, es war ihnen zutiefst peinlich, in einen solchen Skandal verwickelt zu sein.
„Das waren sie ganz bestimmt.“
Morrissey scheint angesichts der überaus komfortablen, neu eingerichteten Umgebung enttäuscht zu sein. Doch abgesehen von dem schmucken Dekor handelt es sich tatsächlich um das Zimmer, wo Oscar Wilde festgenommen wurde. Er befand sich vor 103 Jahren genau hier.
„Ja, er wurde hinaus auf die Straße gezerrt und schrie und trat um sich …“
Wirklich? Ich dachte, er wäre alles sehr würdevoll abgelaufen?
„Ja, so war es tatsächlich, sehr würdevoll. Er schrieb damals gerade eine Oper. Ein sehr bewegendes Ende.“
Aber warum hat Wilde nicht das Land verlassen, bevor sie ihn verhaften konnten? Er wusste doch, dass sie einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatten. Er hatte die Verleumdungsklage gegen den Marquis von Queensberry verloren (der ihn aus Verärgerung über seine Beziehung zu Queensberrys Sohn Lord Alfred Douglas alias „Bosie“ als „Sodomit“ bezeichnet hatte) und wusste, dass er des „schweren Vergehens“ der Homosexualität angeklagt werden würde. Warum floh er nicht?
Leise und traurig sagt Morrissey: „Ich denke, dass er damals einfach nicht glaubte, dass sich alle seine Freunde gegen ihn wenden würden. Oder dass ihn die Menschen, deren Leben er aufgebaut und denen er zu einem gewissen Grad gesellschaftlicher Bekanntheit verholfen hatte, ihn auf der Stelle im Stich lassen würden. Doch genau das taten sie. Abgesehen von einem einzigen Freund, maximal zweien, war er in den letzten paar Jahren seines Lebens vollkommen alleine.“
Trennte sich nicht auch seine Frau von ihm?
„Ja, sie trennte sich von ihm. Und sie gestattete ihm nicht, seine Kinder zu besuchen. Während er im Exil war, ließ sie ihre Nachnamen ändern. Wenn man bedenkt, dass dieser Mann die englische Literatur und praktisch die ganze englische Sprache verändert hat … ein bemerkenswert trauriges Ende für eines der farbenprächtigsten Leben der Literaturgeschichte.
„Ich glaube, auf der Höhe seines Ruhms, der nur von ziemlich kurzer Dauer war, wäre es fast unmöglich erschienen, dass er nur ein paar Jahre später einsam, verbittert und ruiniert endet. Und außerdem einen derart hässlichen Tod findet.“
Hörten sie auf, seine Stücke zu spielen?
„Ich glaube, zumindest in England war er einige Jahre lang praktisch verboten, oder ganz bestimmt auf irgendeine Art und Weise zensiert. Ich denke jedoch, etwa von 1905 an wurde er wiederentdeckt. Und das in solch einem Ausmaß, dass er zum meistgelesenen Autor dieser Zeit wurde. Ich glaube, das Lesepublikum war ihm gegenüber immer sehr loyal und hat seinen Namen am Leben erhalten.“
Was hat Sie an seinem Werk besonders angesprochen?
„Es war die Spannung zwischen dem Humor und der Tragik. Dazwischen schien es nichts zu geben. Die Extreme der Worte, der Sprache, der Einfachheit! Bis zu dem Zeitpunkt, als ich begann, Oscar Wilde wirklich zu entdecken und zu verstehen, hatte ich immer den vagen Eindruck, dass man als Autor vollkommen unlesbar sein müsse, um ausdrucksstark zu sein. Ich weiß, man sagt, dass Größe bedeutet, missverstanden zu werden. Oscar Wilde war jedoch der erste Autor, der eine einfache Sprache kraftvoll, überwältigend und amüsant einsetzte. Das war mir bis dahin noch nicht untergekommen. Obwohl