Im Gespräch mit Morrissey. Len Brown

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Im Gespräch mit Morrissey - Len  Brown

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rang nach Atem. Es war so überzeugend und wahrhaftig.“

      Denken Sie dasselbe über seine Gedichte?

      „Eher weniger. Doch auch sein Leben und seine Persönlichkeit waren fesselnd, und ich denke, das ist es, was einen wirklich vollkommenen Künstler ausmacht. Ganz abgesehen davon, wie er schrieb und in der Öffentlichkeit auftrat, war sein Privatleben überaus erstaunlich. Daran kann man einen wahren Künstler letztendlich erkennen. Ich glaube nicht, dass es ausreicht, einfach einen Schalter umzulegen; tagsüber Künstler zu sein und abends Hockey zu spielen. Das ist für mich nicht überzeugend.“

      Haben Sie alles von ihm gelesen?

      „Ich habe praktisch alles gelesen. Es gibt ein paar Sachen, die ich bislang nicht finden konnte. Aber ich besitze eine riesige Sammlung von Erstausgaben. Ich sammle seit vielen Jahren. Ich habe eine sehr beeindruckende Büchersammlung. Eines davon ist von Ellen Terry signiert, die eine alte Tussi von Oscar war.“

      Morrissey hat nie ein Geheimnis um sein Faible für Oscar Wilde gemacht. Während seiner gesamten Zeit mit den Smiths überragte Wilde alle anderen Persönlichkeiten aus der Geschichte, der Popkultur und Literatur. Er ist in Morrisseys Leben – soweit es den Journalisten bekannt ist – allgegenwärtig und dürfte einen stärkeren Einfluss gehabt haben als die Schauspieler von Coronation Street, die Lagerinsassen der Carry-On-Filme, der Dunstkreis von Andy Warhol und die Musikszene New Yorks (allen voran die New York Dolls und Patti Smith), als James Dean oder Diana Dors, als die britischen Sängerinnen der Sechziger oder das ganze Pantheon schwuler und feministischer Autoren zusammen.

      Morrissey erklärte einmal: „In meinen späten Teenagerjahren war ich ziemlich isoliert. In gewisser Weise wurde er [Wilde] zu einem Kameraden, und je älter ich werde, desto größer wird meine Bewunderung für ihn. Es hat beinahe etwas Biblisches, wie wenn man seinen Rosenkranz mit sich herumträgt.“ Sogar 1997 noch sagte er in einer Sendung des in Los Angeles ansässigen Radiosenders KROQ: „Oscar Wilde war mir in meinen jüngeren Jahren sehr wichtig, weil er ein großartiger Schriftsteller war, der ein außergewöhnliches Leben geführt hat. Er ist wahrscheinlich die bedeutendste Persönlichkeit der Literaturgeschichte. Im Laufe der Zeit wird er für die Menschen immer interessanter … Er wird am häufigsten zitiert, vielleicht sogar noch mehr als Shakespeare. Die Leute kennen zwar viele Shakespeare-Zitate, wissen aber nicht, was sie eigentlich bedeuten.“

      Ich näherte mich Oscar Wilde aus einer ganz anderen Richtung als Morrissey. Für die meisten christlich erzogenen Kinder schien in den Sechzigern und Siebzigern die allgemeine Botschaft von der Kanzel zu lauten, dass heterosexuell gleich gut und homosexuell gleich böse war. (Unter dem liberalen Deckmäntelchen der anglikanischen Kirche des 21. Jahrhunderts hat sich an dieser Gleichung nicht viel geändert.) Obwohl Wildes Stücke in meiner Jugend regelmäßig im Theater und im Fernsehen liefen, sah man es nur ungern, wenn sich die Schuljungen für das Leben oder die Persönlichkeit des Künstlers interessierten.

      Wir beschäftigten uns mit dem Leben von Shakespeare und Dickens, später sogar mit Hardy und Lawrence, doch niemals mit Wilde. Das warf die Frage auf: „Wer war dieser Mann, und warum weigerten sich die Lehrer so hartnäckig, über ihn zu sprechen?“ Ich weiß, es klingt hoffnungslos übertrieben (und steht mit dem Bild des Durchschnittsmachos, das ich nach außen zu tragen versuche, überhaupt nicht in Einklang), aber als ich im Alter von 13 Jahren mit meinem Vortrag von Wildes The Remarkable Rocket einen Lesewettbewerb an der Schule gewann, riet man mir nachdrücklich, den erhaltenen Buchgutschein nicht für eine Biografie des Autors einzulösen. Das steigerte freilich nur meine Neugier.

      Als ich bei meinen Eltern in deren Ausgabe von Chambers Biographical Dictionary (erschienen 1946) den kurzen Eintrag zu Oscar Wilde las, bekam ich den Eindruck, dass er eine wahrhaft abstoßende Figur in der britischen Geschichte gewesen sein musste. Der Abriss über sein Leben endete mit dem Satz: „The Ballad Of Reading Gaol (1898) und De Profundis (1905) zeigen die Spuren von zwei Jahren Zwangsarbeit für unzüchtige Praktiken.“ Ich nahm an, dass Wilde ein Massenmörder wie Jack The Ripper oder ein Giftmörder wie Dr. Crippen gewesen sein musste.

      Als ich schließlich in einem zerlesenen Taschenbuch einen Bericht mit den Einzelheiten seiner Gerichtsverhandlung fand, schockierten oder verdarben mich diese Erkenntnisse nicht, sie machten mich nur unsagbar traurig. Schon damals schien die Moral der Geschichte dieselbe zu sein wie später bei Joe Orton: Wenn man ein sexuell „schlechtes“ oder anderes Leben führte, dann erwartete einen der Tod oder ein Schicksal, das schlimmer als der Tod war – trotz aller kreativen Begabungen. (Wie der Carry On-Star Charles Hawtrey einmal so trefflich bemerkte: „Oh, puh! Ich weiß nichts über den Tod, aber ich habe die andere Sache ausprobiert. Der Tod kann nicht halb so schlimm sein, wie immer behauptet wird.“)

      Als frommer Teenager aus einer Familie der Mittelschicht im Nordosten Englands begriff ich nicht, warum meine Eltern und deren Bekannte einerseits Vorurteile, Rassismus und Sexismus stets scharf verurteilten, mich aber andererseits vor allen und allem fernhielten, was sie als sexuell unkonventionell betrachteten.

      In der Schule war es Pflicht, normal auszusehen, sich männlich zu verhalten und diejenigen Kinder links liegen zu lassen, die nicht so aussahen und sich nicht so kleideten oder verhielten wie wir anderen. Ich habe sie nicht tyrannisiert oder gedemütigt, sondern wollte einfach nichts von ihnen wissen und blieb auf Abstand, als hätten sie eine ansteckende Krankheit. Wenn ich zusammen mit Steven Patrick Morrissey die Schule besucht hätte, hätte ich ihn vielleicht auch links liegen lassen.

      Im wirklichen Leben der Siebziger, in der schwarzweißen Männerwelt des St. James Park in Newcastle an einem Samstagnachmittag, waren rassistische und schwulenfeindliche Übergriffe an der Tagesordnung. Manchmal wurden auch langhaarige Fußballer aus London beschimpft, weil sie ein bisschen anders aussahen oder schlicht und einfach mit der Mode gingen. Frisierte Spieler wie Rodney Marsh und Mervyn Day wurden mit dem Gegröle „Wie ist das, wenn man eine Schwuchtel ist?“ empfangen. (Manche mögen nun sagen, dass alles bloß ein Scherz war, doch ist dies dasselbe engstirnige, schwulenfeindliche Newcastle, vor dem auch Pet Shop Boy Neil Tennant in „Being Boring“ flüchtete.)

      Seltsamerweise schien es jedoch gestattet, über nicht-maskuline Männer zu lachen, etwa über Stanley Baxter, der im Sunderland Empire als Mutter Goose auftrat, oder über John Inman in Are You Being Served?, über Dick Emery in Frauenkleidern, über Larry Grayson oder über die schwächlichen, aber sehr lustigen Charaktere Hawtrey und Kenneth Williams in den Carry-On-Filmchen. Vielleicht waren sie nicht „gefährlich“, wenn sie sich im Fernsehen oder auf der Bühne schwul produzierten, solange sie bloß nicht zu nahe kamen.

      Als ich etwa siebzehn war, wurde meine Mutter zum ersten Mal in ein Schiedsgericht berufen. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mit ein paar Schulfreunden in einem Pub im Bezirk Cowgate in Newcastle saß, als ein Mann, den wir alle aus der Kirche kannten, zu uns herkam und fragte, ob er mich einmal unter vier Augen sprechen könne. Das Ganze erschien mir äußerst seltsam. Im Vertrauen sagte er mir, dass ihn die Polizei auf einer Toilette in der Nähe der Kathedrale erwischt habe und er nun fürchte, dass meine Mutter den Fall vor Gericht verhandeln müsse. Zu meiner Schande ging ich einfach weg, wütend, verwirrt und angeekelt, und sah oder hörte nie wieder von ihm. Ich weiß nur, dass er für schuldig befunden (wenn auch nicht von meiner Mutter), abgeurteilt und von der örtlichen Presse zerrissen wurde. Er sollte den Namen unserer Kirche nie wieder beschmutzen.

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