Mafiatochter - Aufgewachsen unter Gangstern. Karen Gravano
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Der Boss meines Vaters in der Familie Gambino, Toddo Aurello, lieh ihm zehntausend Dollar, um die Kaution zu bezahlen – unter der Bedingung, dass er sie mit Zinsen zurückzahlte. Weil mein Vater weiteres Geld brauchte, um seine Anwaltsrechnungen zu bezahlen und die Familie zu ernähren, mussten wir zurück nach Bensonhurst ziehen. Wir zogen in die Fünfzimmerwohnung der Eltern meiner Mutter an der 15th Avenue. Meine Tante Diane lebte noch zu Hause. Wir teilten uns ihr kleines Zimmer, während sie auf dem Sofa im Wohnzimmer schlief.
Zurück im selben alten Viertel tat mein Vater jeden Abend dieselben schlechten Dinge. Er raubte und stahl, um genug Geld zur Finanzierung seiner Verteidigung zusammenzubringen. Er sagte, er habe die Morde zwar nicht begangen und dass es ein an den Haaren herbeigezogener Prozess sei, er jedoch trotzdem eine Verteidigung aufbauen müsse. Um die Anwaltsrechnungen und Gebühren bezahlen zu können, blieb ihm nichts übrig, als das Geld auf diese Weise zu verdienen. Damit machte er aber alles noch schlimmer, weil er dreimal verhaftet wurde, während er auf Kaution war. Die Anwalts- und Gerichtskosten stiegen also.
Zwei Wochen vor der geplanten Verhandlung des Doppelmordes wurde der Fall abgewiesen, weil die Geschichte des Ganoven zu viele Ungereimtheiten aufwies. So hatte der Typ etwa behauptet, mein Vater habe einen weißen ’72er Lincoln gefahren, doch mein Vater kaufte sich diesen Wagen erst Jahre nach den Morden. Obwohl mein Vater nun von allen Vorwürfen freigesprochen war, gab es für ihn kein Zurück mehr aus seinem kriminellen Dasein. Durch die Anwaltsgebühren hatte er sich verschuldet. Wenn er sich schon für das Berufsverbrechertum entschied, wollte er dies aber auch zu hundertprozentig tun. So war mein Vater eben: Was immer er auch tat, machte er hundertprozentig, ob als Krimineller, als Vater oder jemand, der mit den Behörden kooperierte. Wenn er sich einmal für etwas entschieden hatte, zog er es durch, ohne sich noch einmal umzublicken.
Bald »verdiente« er genügend Geld, um sich eine eigene Wohnung leisten zu können, und wir zogen aus der Wohnung meiner Großeltern in ein Apartment an der 61. Straße.
Meine Mutter war eine jener loyalen Ehefrauen, die mit ihrem Mann durch Dick und Dünn gingen und keine Fragen stellten. Sie zweifelte nie wirklich an meinem Vater, weil sie tief im Herzen fest daran glaubte, dass er es gut meinte. Ich weiß, dass sie wünschte, sie hätten Long Island und ihren Traum vom einfachen Leben nie hinter sich gelassen. Als die Mutter seiner Kinder trug sie alle seine Entscheidungen mit, wofür auch immer er sich entschied.
Ich bin sicher, dass sie bisweilen wünschte, alles wäre anders gelaufen, doch sie begriff eines: Wenn die Ernährer nach Hause kamen, erzählten sie den Frauen nicht, was sie taten, und die Frauen stellten keine Fragen. Also umgab sie sich mit ihren Kindern, ihrer Schwester, ihren Eltern und einigen Ehefrauen von Männern aus der Clique meines Vaters, die diesen Lebensstil verstanden.
Alle meine Großeltern hatten nie etwas mit der Mafia zu tun gehabt. Meine Großmutter und mein Großvater mütterlicherseits arbeiteten beide, um ihre Familie zu ernähren. Mein Großvater arbeitete nachts bei der Western Electric Telephone Company, wo er Schaltplatten zusammensetzte, und meine Mutter hatte einen Job in einer chemischen Reinigung. Es gelang ihnen, genug Geld für ein Sommerhäuschen in Pennsylvania zusammenzusparen, wo sie der Stadt entfliehen konnten.
Die Eltern meines Vaters waren aus Italien nach Amerika gekommen. Die Familie war sehr arm. Als erste hatten die Männer die Überfahrt unternommen, dann wurden die Frauen und Kinder nachgeholt. Mein Großvater – »Giorlando« in Italien, aber »Gerry« in den USA – war der jüngste Junge und der Letzte, der nach Amerika gelangte. Er war noch ein Teenager, als er ganz allein mit dem Frachter von Sizilien nach Kanada reiste. Als das Schiff in Kanada anlegte, ging er von Bord und musste nur anhand einer Telefonnummer seinen Weg nach New York finden. Weil er illegal in die Vereinigten Staaten einwanderte, blieb ihm eine Einbürgerung für immer versagt. Er war sehr italienisch, geleitet von seinen strengen italienischen Traditionen, und sprach entweder Italienisch oder sehr gebrochen Englisch mit starkem italienischen Akzent.
Die Mutter meines Vaters hieß eigentlich Caterina, wurde aber von allen Kay genannt. Sie war in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen und zog ihre drei Kinder englischsprachig auf, weil sie wusste, dass sie es nur so zu etwas bringen würden. Ich erinnere mich, dass ich als Kind dachte, wie seltsam es war, dass meine Großmutter, meine Tanten und mein Vater gut Englisch sprachen, mein Großvater hingegen nicht.
Als Großvater Gravano einst nach New York gekommen war, hatte er eine Arbeit als Anstreicher gefunden. Ich weiß nicht, wie er meine Großmutter kennen lernte, doch als sie heirateten, arbeitete sie als Näherin.
Durch den ständigen Kontakt mit Farbe holte sich mein Großvater eine Bleivergiftung, also musste meine Großmutter, eine ehrgeizige und hart arbeitende Frau, die Familie durchbringen. Der Boss meiner Großmutter half ihr, eine Kleiderfabrik in Bensonhurst zu eröffnen, und mein Großvater half ihr bei den Geschäften. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter immer hübsche Kleider trug. Sie ging viel zu Fuß, sodass sie ihre gute Figur behielt.
Meine Großeltern bekamen erst relativ spät Kinder, was durch eine Reihe von Fehlgeburten bedingt war. Schließlich zeugten sie drei Kinder, zunächst die beiden Töchter Jeannie und Fran, dann einen Sohn, Salvatore. Papas Eltern nannten ihn »Sammy«, weil er seinem Onkel Sammy so stark ähnelte. Den Namen behielt er. Er war das »Baby« meiner Großmutter.
Meine Großeltern hatten zwar keine Verbindungen zur Mafia, in direkter Nachbarschaft lebten aber viele Mitglieder der Organisation. In Sizilien, wo die Cosa Nostra gegründet worden war, beschützen die Mafiosi ihr jeweiliges Viertel. Als sie aus Italien nach Amerika kamen, fanden sie, sie sollten dort dasselbe tun. Deshalb wurden sie in den Gemeinden geachtet. Großvater Gravano war mit der Kultur der Mafia vertraut und begegnete ihren Mitgliedern stets mit dem notwendigen Respekt.
Wenn mein Großvater und mein Papa auf dem Weg zur Kleiderfabrik waren, saßen die Mafiosi immer vor den Gesellschaftsvereinen. Sie kannten meinen Großvater mit Namen und begrüßten ihn stets freudig auf der Straße. Mein Vater war neugierig, woher mein Großvater sie kannte. Mein Großvater erklärte, dass sie keine hart arbeitenden, netten Leute seien. »Es sind schlechte Leute, aber es sind unsere schlechten Leute«, pflegte er zu sagen.
Er erklärte meinem Vater, dass sie diejenigen seien, an die sich die italienische Gemeinde wandte, wenn es Probleme zu lösen gebe. Den Italienern gegenüber bestünden große Vorurteile, daher fänden es die Italiener besser, sich um ihre Angelegenheiten so zu kümmern, wie sie es in der alten Heimat getan hätten. Er machte ihm unmissverständlich klar, dass man die Mafiosi zwar respektieren, ihnen aber besser aus dem Weg gehen solle.
Mein Vater sagte, er sei eines jener Kinder gewesen, die auf dem Spielplatz der Schule ständig in eine Schlägerei geraten seien. Er war ein lausiger Schüler und deshalb gnadenlos gehänselt und gedemütigt worden. Die einzige Möglichkeit, sich Respekt zu verschaffen, habe darin bestanden, etwas draußen zu regeln, vor der Tür. Dort ließen ihn die Tyrannen in Ruhe. Als mein Papa in der vierten Klasse war, blieb er sitzen, weil er angeblich eine Lernschwäche hatte. Er war ein starker Legastheniker, doch seine Lehrer hielten ihn für geistig zurückgeblieben. Er versuchte, es mit einem Lachen abzutun, indem er den Klassenclown spielte. Die Fäuste zu gebrauchen und Stänkerer zu Boden zu schlagen, war jedoch leichter und befriedigender, also wurde jeder, der ihn hänselte, nach der Schule verprügelt.
Zu Sammys zehntem Geburtstag kauften ihm meine