Das ist meine Zeit. Howard Carpendale
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Wenn ich das heute erzähle, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Ein unbeschreibliches Gefühl. Mein Sohn hatte im fernen Deutschland den Entschluss gefasst, zu mir zu fliegen, weil er spürte, dass bei seinem Vater der Punkt erreicht war, an dem er seine Probleme nicht mehr selber meistern konnte. Wayne war zu der Zeit mit Yvonne Catterfeld liiert. Sie musste damals das Weihnachtsfest in Deutschland ohne Wayne verbringen, weil der eine Mission bei seinem Vater zu erfüllen hatte. Na ja, wir haben das Beste aus den Feiertagen gemacht – wie drei Männer eben versuchen, ein kleines Fest zu feiern. Wir redeten und redeten. Für Wayne war klar, dass ich dringend professionelle Hilfe brauchte. „Ich fliege nicht ohne dich nach Deutschland zurück“, gab er mir deutlich zu verstehen. Eine klare Ansage von einem sehr entschlossenen Sohn.
Und Cass?
Genau diese Frage schoss mir damals auch durch den Kopf. Was sollte mit Cass passieren? Der Junge war gerade mal achtzehn Jahre alt, er ging noch zur Schule, sein Leben war bis dahin sehr behütet verlaufen. „Wir müssen eine Wohnung für Cass finden, und das muss schnell gehen“, erklärte Wayne noch immer sehr entschlossen. Er war überzeugt, dass dieser Weg einem Achtzehnjährigen durchaus zuzutrauen sei. Fünf Tage später fand Wayne tatsächlich eine Wohnung für Cass. Jetzt war Wayne der Chef im Ring. Er führte die nötigen Gespräche von Bruder zu Bruder.
Mir tat Cass unglaublich leid, aber der Junge schlug sich mehr als tapfer: „Es ist nicht so schlecht, das wird schon klappen“, meinte er zu mir. Dieser Satz konnte mein Gewissen nur bedingt beruhigen. Mir blieb aber auch keine andere Wahl. Ich wusste, dass Waynes Entscheidung richtig war. Anfang Januar 2007 flogen wir gemeinsam nach Deutschland. Detlev, mein langjähriger Assistent, reiste nach Amerika, um Cass bei der Einrichtung seiner Wohnung zu helfen. Eine weitere kleine Gewissensberuhigung für mich. Wesentlich ruhiger wurde ich allerdings erst, als ich einige Zeit später erfuhr, dass Cass bei den Eltern seiner Schulfreundin einziehen durfte. Ein unendliches Glück, dass diese Familie Cass zur Seite stand.
In Deutschland begann deine Therapie?
Ja. Wayne hatte zuvor mit Marc, dem Psychologen, alles detailliert besprochen. Beide entschieden sich für diesen Weg. Für mich. Für den Weg nach Zist. Ich habe es ja bereits geschildert: eine Klinik ohne Luxus. Ein ganz stiller Ort. Im Januar 2007. Bitterkalt, mitten im Winter. Wayne brachte mich auf direktem Weg vom Flughafen dorthin. Als ich mein kleines Zimmer bezog, brachen bei mir alle Dämme. Ich weinte hemmungslos. Fünfundvierzig Minuten später rief ich Wayne an, dass er mich wieder abholen müsse. Mir erschien es unmöglich, die Zeit dort zu überstehen. Wayne machte sich auf den Weg. In der Zwischenzeit ging ich an die frische Luft, ich musste atmen – und lernte dort einen der Köche kennen. Er machte gerade eine kleine Pause, und wir führten ein zufälliges Gespräch. Manchmal kommt so etwas gerade zur rechten Zeit. Irgendwie fasste ich neuen Mut – und als Wayne vorfuhr, versicherte ich ihm, er könne nun wirklich ohne mich wieder nach München zurückkehren.
Ich nahm sie an – die Herausforderung Zist. In aller Abgeschiedenheit. Andere Bewohner und Patienten nahmen mir die Geschichte ab, dass ich Gast in Zist sei, um ein Buch zu schreiben. Das funktionierte offensichtlich. Nicht mal die Boulevardmedien bekamen davon etwas mit. So konnte ich drei Monate lang sehr gründlich über mein Leben nachdenken.
Mit Erfolg?
In sehr kleinen Schritten und natürlich mit Hilfe von Medikamenten. Ich habe nicht sofort eine Besserung gespürt. Meine Gedanken drehten sich zunächst völlig im Kreis. Ich bekam sie einfach nicht geordnet. Nur die Gedanken an einen Suizid, die bildeten sich in dieser Phase klar heraus. Ich bin sicher, sie wären wahr geworden, wenn ich mein Leben nicht in den Griff bekommen hätte. Niemand würde bei mir auf derartige Gedanken kommen – dachte ich. Einem Top-Psychologen wie Marc konnte ich jedoch kein Theater vorspielen. Er durchschaute mich. Er konnte mich lesen – so wie ein guter Fußballtrainer die Taktik des Gegners liest und exakt analysiert.
Zweimal wöchentlich fuhr ich nach München, um dort Gespräche mit Marc zu führen. Im Zentrum selbst besuchte mich regelmäßig eine sehr freundliche Psychologin. Wir sprachen miteinander – über mein Leben, meine Probleme, meine Karriere, meine Kinder, Donnice und Claudia. In den Anfangswochen war meine Verzweiflung derart groß, dass ich fast bei jedem Gespräch sehr heftig weinen musste. Irgendwie waren diese Tränen aber auch befreiend. Und ganz allmählich spürte ich, dass mein Kopf klarer wurde. Meine Gedanken fanden wieder eine wohltuende Ordnung. Der Nebel in meinem Gehirn lichtete sich. Nach langen Wochen der Leere, Unsicherheit und Verzweiflung empfand ich wieder etwas Stabilität. Ich fühlte mich nun derart stark, dass ich bereit war, wieder auf Tour zu gehen. Willkommen zurück im Leben! So dachte ich zumindest, aber so weit war ich noch nicht.
Das heißt, dass du Zist verlassen hast, aber damit nicht komplett wieder gesund warst?
So ist es. Ich war nach den drei Monaten dort sicher ein ganz anderer Mensch als im Januar 2007. Die Medikamente und begleitenden Gespräche gaben mir ein solides und stabiles Gefühl. Meine Gedanken waren absolut positiv, ohne dass ich deswegen ab sofort ein komplett fröhlicher Mensch gewesen wäre. Die Depression war schon noch da. Ja, sie war immer noch eine Begleiterin, die ich aber weitgehend auf Distanz halten konnte. Bei meiner Ankündigung in der Talkshow von Johannes B. Kerner, wieder zurück auf die Bühne gehen zu wollen, war die Euphorie unglaublich. „Ich will wieder“ – diese drei Worte fühlten sich sehr gut an.
Man könnte meinen, dass solche tollen Momente doch sofort eine Depression komplett wegpusten müssten. Ich habe dann diese Tournee sehr genossen. Meine engsten Vertrauten konnten aber an meinen Augen und Blicken ablesen, dass ich noch nicht der Alte war. Aber, Stefan, du wirst überrascht sein, wenn ich später erzähle, wann ich mich zum ersten Mal wieder richtig gesund fühlte.
Da bin ich gespannt …
Ach, jetzt kommen wir zu einem Thema, zu dem ich schon lange etwas sagen wollte. Wie oft wurde ich gerade in der letzten Zeit zum Schlager befragt, ebenso nach meinen Einschätzungen zur Zukunft des Schlagers? Ich werde hier jetzt kein Plädoyer pro oder contra Schlager schreiben. Was ist denn Schlager heute überhaupt? Und was noch viel drängender ist: Was ist das Problem mit dem Schlager? Egal, was heute am Markt erfolgreich ist, es braucht immer eine sofortige Zuordnung. Damit es schön kompliziert wird, überschlägt sich die Musikbranche mittlerweile mit einer Flut neuer Bezeichnungen. Man nennt das innovativ.
Für mich ist das ein Zeichen der Unsicherheit. Da hatte ich es früher einfacher: Es gab nur Schlager. Und das übrigens als Begriff national sowie international. Denn was war ein Schlager – sogar wörtlich übersetzt – anderes als ein Hit, ein Erfolg? Komischerweise liest man den Begriff Kassenschlager heute noch oft im Bereich Kino, und sogar beim Fußball spricht man von Schlagerspielen. In der Musik blendet man das aus. Liegt das an dem mangelnden Selbstbewusstsein, das in der Branche inzwischen vorzuherrschen scheint? An dem fehlenden Mut, einfach mal zu machen und loszulegen, auch auf die Gefahr hin, dass es einen Flop geben könnte?
Oder liegt es daran, dass zu viele anspruchslose und einfallslose Kompositionen produziert und als Schlager auf den Markt gebracht werden, um schnelles Geld zu machen? Vielleicht verlor der Schlager so sein Herz. Ist das der Grund, weshalb sich viele Künstler davon distanzieren wollen?
Junge Künstler können heutzutage immer schwerer ausbrechen. Wenn man sie nicht gleich einordnen kann, werden sie nicht weiter unterstützt. Wenn sie nicht unterstützt werden, hört sie keiner. Einige passen sich an, andere bleiben authentisch und versuchen es mit einem eigenen Weg und eigenen Produktionen.
Ich hatte eine tolle Zeit – und