The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart
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Johns Aussage bezieht sich vor allem auf die Scoop-Alben, Petes später erschienene Sammlung von Outtakes; sein Ärger über Petes Alleingänge und die öffentliche Wahrnehmung der Rollenverteilung bei The Who klingt unverhohlen durch. Vermutlich liegt die Wahrheit wie immer in der Mitte. Pete legte etwas vor, was die anderen auf ihre spezielle und unnachahmliche Weise bearbeiteten; Pete als Komponist fand Gefallen an manchen Eingriffen seiner Kollegen, an manchen auch nicht, und daraus entwickelten sich weitere Versionen seines Songs. Fakt ist, dass einige Titel von Petes Soloalben verdächtig wie Who-Produktionen klingen. Das gilt besonders für die Zeit von 1980 bis 1982, als Petes Alben Empty Glass und All The Best Cowboys Have Chinese Eyes mit den beiden Who-Produktionen Face Dances und It’s Hard konkurrierten.
An „Empty Glass“, dem Titelstück von Petes Soloalbum, und an „Rough Boys“, seiner ersten Solosingle in den Charts, die angeblich nur deswegen kein Who-Song wurde, weil Roger die Tonlage zu hoch war und er kein Lied über Schwule singen wollte, lässt sich die Ambivalenz, in der sich The Who und ihr Komponist bewegten, gut verdeutlichen. Roger erklärte 1994 im legendären „Goldmine-Interview“, er besitze noch immer das Originaldemo und einen Brief, in dem Pete zugab, er habe „Rough Boys“ für Roger geschrieben. Unbestreitbar wurde „Empty Glass“ schon 1978 geschrieben und von den Who mit Keith am Schlagzeug aufgenommen, wie 1996 durch die erweiterte Neuauflage des Albums Who Are You überraschend bekannt wurde, als Pete sich gegen Rogers Vorwürfe zur Wehr setzte, er habe in den achtziger Jahren die besten Stücke für sich genommen und der Band nur den Ausschuss gelassen.
1980 nahm Pete die beiden umstrittenen Songs abermals auf – mit verschiedenen Schlagzeugern. „Rough Boys“ spielte er mit Kenney Jones ein, „Empty Glass“ mit Simon Phillips, einem technisch außerordentlich versierten Drummer, der neun Jahre später als Zweiter den Versuch wagen sollte, Keith Moons Stuhl bei The Who zu übernehmen. „Wir trafen uns das erste Mal in den Wessex Studios“, erzählt der 1957 geborene Brite vom Beginn einer zwanzigjährigen Zusammenarbeit. „Petes Manager hatte mich angerufen und für die Aufnahmen von Empty Glass gebucht.“
Pete und Simon Phillips verband eine biografische Gemeinsamkeit: Auch Simons Vater war ein bekannter Musiker gewesen, und die beiden hatten sich sogar gekannt. „Mein Vater hat Klarinette gespielt und seine eigene Dixieland-Tanzband gegründet, die Sid Phillips Band“, sagt Simon Phillips. „Ich war dort Schlagzeuger von 1969 bis 1973, bis mein Vater starb. Mein Vater kannte Cliff Townshend gut, und ich wusste, wer Petes Vater war.“
Simon interpretierte Petes Songs schon aufgrund seiner eher jazzigen Grundausbildung völlig anders als Kenney. Er war auch ein ganz anderer Drummer als Keith, weniger instinktiv und viel weniger schlampig vor allem, aber ebenfalls sehr dramatisch und vielschichtig. Darum gebeten, sich über Keith zu äußern, meinte er:
„Ich habe Keith nie persönlich kennen gelernt, aber nachdem ich mit Pete, Roger und John auf Tournee war, bekam ich das Gefühl, ihn trotzdem ein bisschen zu kennen. Er war ein sehr flüssiger Schlagzeuger, bewegte sich viel und spielte immer innerhalb der Musik. Er war kein fundierter, geerdeter Drummer – er hatte einen völlig anderen Stil als ich. In gewisser Weise war er das Rockgegenstück zu Tony Williams, der als einflussreicher Jazzdrummer vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Miles Davis berühmt geworden war.“
Simon Phillips spielte gleichwohl ähnlich variabel, aber auf präzise Weise unvorhersehbar. Oft begannen seine Wirbel auf dem zweiten Schlag und endeten zum ersten oder dritten Schlag des Folgetakts. Für Pete, der sämtliche Spielarten der Unterhaltungsmusik in seine Kompositionen einbezog, war Phillips eigentlich der ideale Drummer (nach Keith Moon natürlich). Das glaubt auch Simon:
„Petes Songs repräsentieren meinen Stil wahrscheinlich am besten. Bei manchen Stücken braucht man eine Weile, bis man heraus hat, wie man sie am besten angeht, andere spielen sich sozusagen wie von allein. Das liegt eindeutig an Petes Art und Weise, Songs zu schreiben. Ich erinnere mich daran, dass ich mir seine Demos anhörte und sagte: ‚Und? Was soll ich da noch machen? Hört sich für mich schon ziemlich fertig an.‘ Er freute sich über mein Kompliment, war fast verlegen, wollte aber auf jeden Fall, dass ich alles auf meine Weise einspielte. Wir spielten es live ein, mit Rabbit am Klavier, Tony Butler am Bass und Pete an der Gitarre – traumhaft!“
Pete spielte nicht nur Gitarre und Keyboards und programmierte die Synthesizer, während Rabbit die eher traditionelle Tastenarbeit am Klavier übernahm – er sang auch alle Titel selbst, was für ihn keine Selbstverständlichkeit war: „Ich hatte zwar immer eine ganz nette Stimme“, meint er selbstkritisch, „aber ich bildete mir wenig darauf ein, bis Chris Thomas, der Produzent meines ersten Soloalbums, fragte: ‚Warum singst du nicht einfach drauflos?‘ Ich antwortete: ‚Weil ich wie Andy Williams klinge‘, ein populärer amerikanischer Entertainer. Chris meinte bloß: ‚Na und?‘ Und so klinge ich eben wie Andy Williams – er hat eine wunderschöne Stimme.“
Wer sich das fertige Album unvoreingenommen anhört, muss konstatieren, dass einige Songs von Empty Glass in der Tat einen merklich stärkeren Eindruck hinterlassen als Who-Songs der gleichen Ära. Sie sind komplexer, experimentierfreudiger, mutiger und engagierter, und zwar nicht nur in Bezug auf das Arrangement und die Komposition an sich, sondern auch, weil sie schlichtweg hervorragend eingespielt wurden, mit Musikern, die sich Pete nach seinen Wünschen aussuchte.
Roger, der sich Empty Glass ebenfalls kritisch anhörte, dürfte besonders hinter den Namen Simon Phillips ein dickes rotes Kreuz vermerkt haben. Dieser Tausendsassa machte nicht bloß „bumm-tschick-bumm-tschick“ wie Kenney Jones, den Pete ja unbedingt als Who-Drummer in der Band haben wollte, sondern er spielte komplex wie Keith und versiert wie Ginger Baker. Für Roger stellte sich deswegen die Frage, warum Pete für sein Soloalbum offensichtlich den besseren Schlagzeuger verpflichtet hatte, während er für The Who auf einer zweitklassigen Lösung beharrte.
Pete ärgerte sich über diesen Vorwurf. Er ärgerte sich noch mehr, als er erfuhr, dass die Who-Filmgesellschaft nach der Produktion von Rogers McVicar kein Geld mehr übrig hatte, um seinen geplanten Lifehouse-Film in Angriff zu nehmen, der schätzungsweise zwölf bis fünfzehn Millionen Pfund verschlungen hätte. Regisseur Nicolas Roeg war allerdings sowieso empört über Petes Annäherungsversuche an seine künftige Braut ausgestiegen und wollte mit Lifehouse nichts mehr zu schaffen haben.
Bis zum Frühjahr hatte Pete – inzwischen wieder bartlos, so dass ihn seine Kinder kaum mehr erkannten – Empty Glass abgeschlossen. Absurderweise widmete er das Album seiner Frau, jenem Menschen, mit dem er sich über die Arbeit an diesem Werk doch entfremdet hatte. Eine weitere seltsame Wiedergutmachung war die Widmung für die erste Singleauskopplung „Rough Boys“: Sie ging nicht an Roger, der das Stück abgelehnt hatte, sondern an Petes zwei Töchter und an die Sex Pistols.
Für The Who begannen die wenig Glück bringenden achtziger Jahre offiziell erst am 27. März 1980 mit einem Konzert in der Essener Grugahalle. Christian Suchatzki, unverändert ein begeisterter Who-Fan, war aus München angereist und natürlich live dabei:
„Den Fans schien mit Keiths Tod erst bewusst geworden, dass ein Who-Konzert etwas Einmaliges, Unwiederbringliches darstellt. Man wusste ja nicht, ob sie noch mal in der gleichen Besetzung auftraten oder gar nicht mehr. Es klingt paradox, aber mit Keiths Ableben erlangten Who-Konzerte einen höheren Stellenwert. Die Halle konnte deswegen mit zehntausend Plätzen mühelos ausverkauft werden, und die Fans verhielten sich dermaßen fanatisch, als würden sie dem letzten Konzert ihres Lebens beiwohnen. Von überall wurde ununterbrochen gedrückt und geschoben, so dass man fürchten musste, erbarmungslos zerquetscht zu werden.“