The Who - Maximum Rock III. Christoph Geisselhart
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„Wir durchliefen beide die gleiche Art von pubertären Fantasien“, erklärt Roger. „Mit fünfzehn hatte ich dasselbe Ego. Wie er wollte ich viel Geld haben. Ich wollte ,the Face‘ sein, der Rädelsführer, die Nummer eins, und ich wollte das tollste Auto fahren. Auch ich war ein Straßenkämpfer. Ich machte das Gleiche durch wie er, aber mit Hilfe der Rockmusik. Ich musste nicht in einem gestohlenen Auto vor einer Bank lauern, um einen Adrenalinstoß zu bekommen. Das erlebte ich auf der Bühne. Aber wenn ich nicht zum Rock’n’Roll gefunden hätte, wäre ich wahrscheinlich eine Art John McVicar geworden. Teil einer Band zu sein, bedeutete meine Befreiung.“
Aus diesem Grund hielt Roger stets an den Who fest. Er meinte, dass die Band ihn vor einem fragwürdigen Schicksal im Arbeiter- und Kriminellenmilieu bewahrt hatte, und dafür war er unendlich dankbar. Einige seiner früheren Kumpel aus Shepherd’s Bush hatten inzwischen unerfreuliche Bekanntschaft mit Gerichten und Haftanstalten gemacht; andere mühten sich Tag für Tag mit schlecht bezahlter Lohnarbeit in Fabriken ab. Dass auch er unter ungünstigen Umständen wahrscheinlich ein solches Leben hätte führen müssen, vergaß Roger nie. Dafür schluckte er manches herunter, dafür ertrug er den Spott seiner Kollegen, und dafür kämpfte er jeden Tag auf der Bühne und hinter den Kulissen des Who-Konzerns.
Aus diesem Bewusstsein, für das Richtige einzutreten, zog er die Glaubwürdigkeit und innere Stärke, die Pete oft fehlte. Dessen Konzepte waren vorwiegend geistiger Natur. Seine Kreativität wurzelte im emotionalen Chaos, in den nur halb aufgearbeiteten Traumata seiner Kindheit und in seiner frühen Jugend, als er ein verklemmter, gehänselter Außenseiter mit Omnipotenzfantasien gewesen war. Die Angst vor Einsamkeit – beziehungsweise die unstillbare Sehnsucht nach Gemeinschaft – hatte ihn zur Rockmusik geführt und nicht zur Kunst oder in die Literatur, wohin er von seiner Veranlagung sicher ebenfalls gepasst hätte. Jetzt trieb ihn der kreative Eifer zu einer neuen Art von Selbstbestätigung und Selbstverwirklichung, zu größerer künstlerischer Freiheit und in die Nähe gefährlicher Abgründe.
Die unheilvolle Verknüpfung von Alkohol und Arbeit machte fast allen in seiner Umgebung Sorgen. Als die Who Mitte Dezember 1979 nach London zurückkehrten, um Weihnachten zu Hause zu verbringen, drohte das Privatleben der drei Partygänger Pete, John und Kenney zu kollabieren. Die trinkfreudigen Who-Instrumentalisten hatten während der Tournee die Vorzüge des Rockstardaseins bis zur Neige ausgekostet und ein kleines Heer von Groupies hinter sich hergezogen; selbst der brave Kenney ließ sich von den Verlockungen in Gestalt von willigen amerikanischen Girls überwältigen und musste als Folge erleben, wie ihm sein vormals geordnetes Familienleben immer mehr entglitt.
Was das Vernaschen von Groupies betraf, war Roger keine Ausnahme, wie er offen bekannte – abgesehen davon, dass er die Ladies nach einem leichten Gurkensandwich mit einer Tasse Tee diskret auf sein Zimmer bestellte und sie vor dem Zubettgehen zur Sicherung des Nachtschlafs wieder hinauswarf, wie Keiths getreuer Konzertbegleiter Dougal Butler berichtete. Aber Roger hatte die berufsbedingte Untreue sozusagen mit seiner Frau abgesprochen und einen Kodex vereinbart, der ihre Ehe stabil hielt. Er trennte innerlich streng zwischen Privatleben und seiner Rockstarexistenz:
„Ich habe eine unglaubliche Frau. Natürlich vögle ich herum. Und sie weiß es. Wenn sie das auch macht, sage ich: ‚In Ordnung, aber lass es mich nicht wissen.‘ Das ist typisch männlich, ich weiß, ich bin ein chauvinistischer Dreckskerl. Ich habe vermutlich die beste Frau im ganzen Musikgeschäft. Sie ist alles, was ich mir von einer Frau wünsche. Wahrscheinlich ist sie die klügere von uns beiden, und das ist gut so. Sie geht nie mit auf Tour, weil sie das nicht möchte.“
Pete, John und Kenney vermochten die emotionalen Aspekte des Rockmusikgeschäfts nicht so klar zu unterscheiden. Alle drei hatten Beziehungen mit jungen Verehrerinnen angefangen. John ließ sich von einer quirligen Amerikanerin namens Maxine sogar ständig begleiten, wenn er in den USA unterwegs war. Er hatte die hübsche Freundin, die noch nicht viel älter als zwanzig war, schon 1978 vor Keiths Tod im Prominentenlokal Rainbow Bar von Los Angeles kennen gelernt, wo sie als Kellnerin arbeitete und wo Keith die Jahre zuvor seine kalifornischen Exzesse ausgelebt hatte. Aus der Liaison war bald eine so ernsthafte Verbindung geworden, dass Alison Entwistle in der fröhlichen, dunkel gelockten Maxine eine ernste Bedrohung erkennen musste.
Die Ehen aller drei Who-Musiker gerieten gegen Jahresende immer stärker unter Druck. Auf Tournee wie Götter von dienstbaren Mädchen umschwärmt, die ihnen jeden erfüllbaren Wunsch von den Augen ablasen, mussten sie sich zu Hause gleichberechtigten Partnerinnen stellen, die ihnen Vorhaltungen wegen ihrer schlechten Gewohnheiten und ihrer langen Abwesenheit machten. Und alle mussten feststellen, dass ihre Kinder sie kaum mehr erkannten – eine Erfahrung, die Pete schon einmal zur Umkehr bewogen hatte. Dieses Mal genügte sie jedoch nicht, wie Pete in seinem schon erwähnten Traktat über Alkoholismus schrieb:
„Karen sagte mir: ‚Deine Trinkerei beginnt unsere Familie zu bedrohen. Ich möchte das nicht.‘ Ich antwortete: ‚Karen, ich kann nicht aufhören zu trinken, ich schaffe es nicht. Vor allem nicht, wenn ich arbeite.‘ Darauf sagte sie: ‚Gut, dann bleib weg, solange du arbeitest.‘ Das klang vernünftig, also hielt ich mich daran. Wenn ich Aufnahmen machte, mietete ich mich in einem Hotel ein, arbeitete etwas oder flog für ein paar Wochen in die USA (meist nach Kalifornien ins Warner-Plattenstudio). Dann kam ich heim und machte einen völligen Entzug durch, höchstens mal ein Glas Wein zum Sonntagsbraten. Dann ging ich wieder für ganze Monate fort, arbeitete und kam zurück … Schließlich entfremdeten wir uns, und ich begann anderswo Trost zu suchen. Ich stieß ziemlich viele alte Freunde vor den Kopf und fand ein paar neue Freunde. Ich begann lose Beziehungen mit Teilzeitfreundinnen. Ich konnte in jeden Nachtklub von London gehen, und jeder wusste, wer ich war. Ich verbrachte sehr wenig Zeit zu Hause. Damit begann alles. Karen und ich entschieden, dass es am besten wäre, wenn ich meine Probleme dauerhaft woanders hinbrachte.“
Pete bezog ein eigenes Apartment über einem Schuhgeschäft an der King’s Road und lebte, wenn er genug vom Stadtluxus hatte, in seinem Landhaus in Berkshire, wo er auch sein Studio eingerichtet hatte. Aus dem verantwortungsbewussten Rockstar-Familienvater wurde Schritt für Schritt ein heftig trinkender Partylöwe mit wechselnden Damenbekanntschaften. An die Stelle echter Beziehungen zu alten Freunden traten oberflächliche Bekanntschaften aus der Londoner Schickeria. Zeitungsfotos zeigen ihn oft sturzbetrunken am Arm einer namenlosen Blondine aus einem Nachtklub torkeln, und nach Konzerten war die Situation häufig noch chaotischer:
„Oft wachte ich in einem Raum voller Mädchen auf, die ich noch nie gesehen hatte, einfach weil ich die Nacht zuvor so betrunken gewesen war, dass ich sie nicht hinausgeworfen oder sie nicht höflich darum gebeten hatte zu gehen, oder was auch immer das richtige Verhalten gewesen wäre. Ich lebte damals gegen die meisten Prinzipien, die ich durch Baba kennen gelernt und als bereichernd empfunden hatte. Meher Baba wandte sich sehr eindeutig gegen Drogen. Und weil ich mich nicht an diese Prinzipien hielt, verbannte ich ihn für einige Zeit aus meinem Leben.“
Richard Barnes berichtet, dass er mit Pete noch während der USA-Tournee einen Besuch im Baba-Zentrum Myrtle Beach machen wollte. Sie mieteten sogar einen eigenen Learjet, um dorthin zu fliegen, doch „Pete setzte nie einen Fuß ins Zentrum. Er verbrachte die ganze Zeit damit, etwa eine Meile vom Baba-Zentrum entfernt im Hilton Hotel etwas Schlaf zu finden. Pete war damals extrem unglücklich. Ich erinnere mich, dass ich ihn schon in der ersten Nacht während der Tournee, in New York, halb betrunken auf dem Boden liegend fand, sein Ohr gegen einen Kassenrekorder gepresst, aus dem mit voller Lautstärke ‚Private Life‘ vom noch unveröffentlichten Album der Pretenders plärrte.“
Die seltsame Szene könnte allerdings auch einen anderen Hintergrund gehabt haben. Pete suchte einen Produzenten für sein Soloalbum, und er hatte Chris Thomas dafür ins Auge gefasst, der bereits erfolgreich mit den Pretenders und den Sex Pistols gearbeitet hatte. In diese Richtung wollte auch Pete seinen musikalischen Stil