ICH. Ricky Martin
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Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt fand unser »kleinstes« Konzert vor rund 70 000 Zuhörern statt. Zugleich stellten wir bei unserem Auftritt im Morumbi-Stadion in São Paulo mit 200 000 Besuchern einen Weltrekord auf. Doch sobald wir dann Zeit mit diesen Kindern verbrachten, um ein wenig Freude in ihr Leben zu bringen, existierte der ganze Glamour – Privatjets, Luxushotels, Privatköche, eigene Bodyguards, Privatlehrer, Assistenten und so weiter – gar nicht mehr. Die Organisatoren sagten damals zu uns: »Hört mal zu! Ihr werdet jetzt Kinder kennenlernen, die nicht weniger wert sind als ihr. Nur führen sie ein völlig anderes Leben.« Die Chance, mit diesen Kindern zusammen zu sein, empfinde ich als eine der wertvollsten Erfahrungen überhaupt, die ich Menudo zu verdanken habe. Ich lernte, das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Diese Lektion ist für einen Heranwachsenden, der von Reichtum und Luxus umgeben ist, von größter Bedeutung.
Mir wurde damals klar, wie viele Kinder vor allem die Schattenseiten des Lebens kannten. Das war nicht einfach für mich. Es war wohl so etwas wie ein Realitätsschock, doch die Erfahrung hat mir sehr viel gegeben. Es war auch deshalb etwas Besonderes, weil ich der Jüngste in der Band war – ich war damals zwölf. Das zweitjüngste Bandmitglied war vierzehn Jahre alt. Es ist ein großer Unterschied, ob man zwölf oder vierzehn ist. Und fast alle Kinder, die wir zu unseren Shows einluden, waren so alt wie ich oder noch jünger. Deshalb gelang es mir innerhalb kürzester Zeit, eine besondere Beziehung zu ihnen aufzubauen. Sie hatten eine völlig andere Lebenserfahrung als ich, und so konnte ich unglaublich viel von ihnen lernen.
Es war nicht so, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, weil es mir in materieller Hinsicht so viel besser ging als diesen Kindern. Im Gegenteil: Ich fühlte mich gut, weil ich etwas mit ihnen teilen konnte. Aber zugleich wurde mir bewusst, dass sie viele Dinge besaßen, die ich nicht hatte – zum Beispiel Freiheit. Alles im Leben ist relativ, und was für dich das Normalste der Welt ist, kann für einen anderen etwas sehr Wertvolles sein. Diese Kinder hatten trotz ihrer materiellen Armut die Freiheit, jederzeit dorthin gehen zu können, wo sie wollten. Und so sehr ich es auch genoss, auf der Bühne zu stehen und von den Fans umschwärmt zu werden, mir wurde damals klar, dass ich ein sehr streng geregeltes Leben führte. Ein typischer Tag begann für uns um acht Uhr morgens mit Schulunterricht. Vor dem Mittagessen mussten wir Platten signieren. Und am Nachmittag standen dann Fotoshootings, Proben und Interviews auf dem Programm. Diese Kinder dagegen konnten tun und lassen, was sie wollten, sie lebten schließlich auf der Straße. Zugegeben, diese Freiheit ist mit vielen Entbehrungen verbunden. Trotzdem wurde mir der Gegensatz zwischen uns damals voll bewusst: Ich selbst hatte, auch wenn ich nur eine Runde um den Block drehen wollte, jedes Mal um Erlaubnis zu fragen. Sie dagegen mussten zu niemandem hingehen. Wir wurden keinen Moment aus den Augen gelassen und mussten aus Sicherheitsgründen eine ganze Reihe von Regeln befolgen. Keine Frage: Ich hatte ein wunderbares, einzigartiges und glückliches Leben. Doch die absolute Freiheit dieser Kinder hatte in meinen Augen auch etwas für sich.
Ich bin nicht sicher, ob mir damals klar war, welche Auswirkungen diese Erfahrungen langfristig auf mein Leben haben würden. In diesem Moment dachte ich bestimmt nicht: »Diese Erfahrung wird mein Leben für immer beeinflussen.« Ich glaube, ich habe erst viele Jahre später erkannt, wie sehr mich die Zeit, die ich mit diesen Kindern verbrachte, geprägt hat. Denn diese Erfahrungen legten den Grundstein zu der philanthropischen Arbeit, die ich später begann und bis zum heutigen Tag fortführe.
Lektionen fürs Leben
Die Jahre bei Menudo waren für mich eine Zeit zahlreicher Veränderungen und lehrreicher Erfahrungen. Zum einen war Menudo gewissermaßen meine Jugend, eine sehr wichtige Entwicklungsphase eines jeden Menschen. Zum anderen lernte ich in dieser Zeit Disziplin und konnte an meiner Aufgabe wachsen. Was ich damals gelernt habe, bildete zweifellos die Basis für alles, was danach kam. Ohne meine ganzen Erlebnisse und Erfahrungen bei Menudo wäre ich nicht dort angelangt, wo ich heute bin.
Während des Schreibens wird mir klar, dass ich eine sehr intensive und ungewöhnliche Jugend hatte. Damals jedoch schien sich alles ganz natürlich zu entwickeln. Trotz des ganzen Rummels war und blieb ich ein Junge mit ganz ähnlichen Bedürfnissen, Interessen, Ängsten und Zweifeln wie andere Jungen in meinem Alter auch. Nur musste ich eben im Rampenlicht der Bühne erwachsen werden, weit weg von meinen Eltern und unter den Augen Tausender und Abertausender Menschen. Ich und die anderen Menudo-Mitglieder waren gerade mal vierzehn, fünfzehn und sechzehn Jahre alt und wurden von circa 250 000 Mädchen bestürmt. Konnte ich mit dieser Situation überhaupt umgehen? Damals hätte ich die Frage sofort bejaht. Doch später wurde mir klar, dass ich zu dieser Zeit meilenweit davon entfernt war.
Als ich in die Band einstieg, hatte ich von Sex keinen blassen Schimmer – für einen Zwölfjährigen sicherlich bis zu einem gewissen Grad völlig normal. Doch in meiner Familie wurde über dieses Thema auch nie gesprochen. Kaum zu glauben, nicht? Heute muss ich darüber schmunzeln. Denn mein Vater ist ein sehr attraktiver Mann, der das Leben genießt, seine Romanzen hatte und heute eine schöne Frau an seiner Seite hat. Da hätte er mich doch zumindest ein bisschen aufklären können. Doch das Thema Sexualität wurde – sei es aus Scheu oder aus Schamgefühl – konsequent gemieden.
Mein Vater war damals wahrscheinlich der Meinung, ich sei noch zu jung, um aufgeklärt zu werden. Verständlich. Doch Sexualität war ein Thema, das bereits von allen Seiten auf mich einstürmte: Durchs Fernsehen, durch Gespräche mit Schulkameraden oder älteren Geschwistern und Cousins. Die heutigen Kinder sind diesen Informationen viel stärker ausgesetzt als frühere Generationen. Dank Internet brauchst du nur eine Taste zu drücken, und schon landest du in einer Welt, von der du nie zu träumen gewagt hättest. Deshalb ist es wichtig zu wissen: Wenn dein Sohn oder deine Tochter zu dir kommt und dich so etwas fragt, was ich damals meinen Vater gefragt habe, kannst du dir fast sicher sein, dass er oder sie die Antwort schon kennt. Die Kinder wollen nur sehen, welche Antwort du ihnen darauf gibst. Sie wollen testen, ob du es draufhast. Deshalb sollte man unbedingt mit seinen Kindern offen über das Thema sprechen, bevor sie von einer wildfremden Person aufgeklärt werden.
In der Familie haben wir immer ganz offen über viele Dinge gesprochen. Mit meiner Mutter konnte ich schon immer gut reden, und auch zu meinem Vater habe ich heute einen sehr guten Draht. Doch das Thema Sex war damals aus irgendeinem Grund tabu. Mein Vater ist ein großartiger Mensch. Er ist von Beruf Psychologe und hat eine ganz eigene, sehr offene Sichtweise der Dinge. Alle lieben ihn. Er hat jahrelang mit psychisch Kranken in Puerto Rico gearbeitet, und der Himmel weiß, was für Geschichten er sich anhören musste. Doch ich bin davon überzeugt, dass er gerade aufgrund dieser Erfahrungen und natürlich seines besonderen Wesens so liebevoll zu seinen Mitmenschen ist. Er war schon immer ein absoluter Familienmensch, und die Beziehung, die wir heute zueinander haben, zeigt, wie viel er mir gegeben hat und immer noch gibt. Ich bin 39 Jahre alt, mein Vater ist 62. Und obwohl wir während eines großen Teils meiner Jugend voneinander getrennt waren, haben wir das Versäumte wettgemacht und stehen uns heute sehr nahe.
Obwohl ich also damals dank Menudo ein großer Star war, entpuppte ich mich in anderer Hinsicht als Spätzünder. Viele meiner Freunde hatten bereits Herzen gebrochen und sogar schon mit Mädchen geschlafen. Um ehrlich zu sein, alle außer mir. Das heißt, ich war von all meinen Freunden die einzige Jungfrau, und deshalb setzten sie mich permanent unter Druck. Ständig fragten sie: »Wann passiert’s? Wann bist du bereit dafür?« Bis schließlich der Tag kam, an dem ich mit einem Mädchen Sex hatte. Sie war ganz nett, doch ich machte es in erster Linie, weil meine Freunde mich dazu drängten. Zudem herrscht in unserer Gesellschaft ein gewisser Druck, dass man als Mann niemals nein sagen sollte, wenn